Augusta Holmès – Foto L. Taponnier
Französische Frauenpower in Nord-Rhein-Westfalen, erster Teil:
Die Oper Dortmund, die in den letzten Jahren immer wieder unbekannte französische Werke mit Erfolg ausgegraben hat wie “Frédegonde” von Fernand Cortez, spielt nun die Oper “La montagne noire” (Der schwarze Berg) von Augusta Holmès. Sie ist die erste französische Komponistin der in diesem Januar an einem Opernhaus in Nord-Rhein-Westfalen mit einer Premiere gehuldigt wird.
In 14 Tagen folgt dann das Aalto Theater in Essen mit Louise Berton und ihrer Oper “Fausto”.
Augusta Holmès (1847-1903)
LA MONTAGNE NOIRE
Lyrisches Drama vier Akten und fünf Bildern
Libretto von der Komponistin
Musikalische Leitung Motonori Kobayashi
Inszenierung Emily Hehl
Bühnenbild Frank Philipp Schlößmann
Kostüme Adriana Naldoni
Yamina Aude Extrémo
Mirko Sergey Radchenko
Aslar Mandla Mndebele
Héléna Anna Sohn
Dara Alisa Kolosova
Père Sava Denis Velev
Gusla-Spielerin Bojana Peković
Dortmunder Philharmoniker
Opernchor Theater Dortmund und Projekt-Extrachor (Einstudierung: Fabio Mancini)
Theater Dortmund, Oper Dortmund, 14. Januar 2024
von Jean-Nico Schambourg
Augusta Holmès, französische Komponistin irisch-schottischer Abstammung, muss eine starke, selbstbewusste Frau gewesen sein, die sich gegen alle Vorurteile und Probleme der damaligen Zeit hinweggesetzt hat. Sie lebte ihr Privat- und ihr Künstlerleben nicht nach den Vorstellungen der damaligen Gesellschaft.
Da war zuerst das Problem ihrer Herkunft: obschon in Frankreich geboren und aufgewachsen, durfte sie wegen ihrer irischer Abstammung nicht das Konservatorium in Paris besuchen. Dies war auch Franz Liszt untersagt worden. Sie erlang 1871 die französische Staatsbürgerschaft. Das “è” in ihrem Namen hatte sie sich allerdings schon vorher zugelegt, wie die Manuskripte ihrer Kompositionen zeigen. Sie fühlte sich zeitlebens als Französin.
Folglich musste sie Privatunterricht nehmen. Sie lernte Klavier und Orgel. Sie zeigte Franz Liszt einige ihrer frühen Kompositionen. Ihr großer Lehrer und Mentor aber wurde César Franck.
Dann war das Problem, dass sie eine Frau war, das in der damaligen Zeit bedeutete, dass sie sich, wenn verheiratet, einem Ehemann hätte unterordnen müssen. Um jegliche Probleme dieser Art zu vermeiden, hat sie niemals geheiratet, obschon es ihr an Verehrern nicht fehlte. So hat Camille Saint-Saëns ihr, vergeblich, einen Heiratsantrag gemacht. Sie unterhielt eine langjährige außereheliche Beziehung zum französischen Poeten Catulle Mendès, aus der fünf Kinder hervorgingen.
Der frühe Tod ihrer Eltern, die ihre Tätigkeit als Komponistin nicht unterstützten, erlaubte es ihr, ihre Leidenschaft auszuleben. Sie war mehrsprachig und besaß eine gute Mezzostimme, die auch bei Richard Wagner, ihrem großen Vorbild, dem sie einmal vorsang, Anerkennung fand.
Ihr größter Erfolg war, als man ihr 1889 zur Pariser Weltausstellung die Komposition einer feierlichen Ode zum 100. Gedenktag der französische Revolution in Auftrag gab. Die von ihr komponierte “Ode triomphale” vereinte auf der Bühne etwa 1200 Musiker, davon alleine 900 Choristen.
In der Folge dieses Erfolges kam es dann am 8. Februar 1895 am Palais Garnier in Paris zur Aufführung ihrer Oper “La montagne noire” (Der schwarze Berg). “La montagne noire” ist ihre vierte Oper, aber die einzige, die jemals öffentlich aufgeführt wurde. Es war, nach der Aufführung der Oper “Esmeralda” von Louise Bertin, erst das zweite von einer Frau komponierte abendfüllende Werk, das jemals am Palais Garnier in Paris gespielt wurde.
Die Geschichte der Oper spielt in Montenegro, was den Namen des Werkes erklärt: Monte-Berg, und negro-schwarz. Es ist die Zeit der Kriege gegen die Osmanen. Mirko und Aslar haben sich gegenseitig einen Blutsschwur abgelegt, was beide zu Brüdern im Leben und im Tode vereint. Das Dorf feiert den Sieg in der Schlacht gegen die Türken, als Yamina, eine Türkin, von den Kämpfern herbeigeschleppt wird. Alle wollen den Tod von Yamina, da sie als Spionin und Feindin angesehen wird. Nur Mirko setzt sich für sie ein. Er hat sich beim ersten Anblick in sie verliebt, obschon er mit Héléna verlobt ist. Er bittet seine Mutter Dara, die Dorfälteste, Yamina zu verschonen. Diese wir als Sklavin bei Dara arbeiten müssen.
In der Folge verführt Yamina Mirko und sie flüchten zusammen aus dem Dorf. Aslar glaubt an die Unschuld seines Bruders und verfolgt die beiden, um Mirko zur Rückkehr zu bewegen. In den Bergen findet er sie. Während Yamina schläft, überzeugt er Mirko von ihr abzulassen. Yamina erwacht und redet ihrerseits auf den schwach werdenden Mirko ein. Es kommt zu einem Handgemenge, im Verlauf dessen Aslar scheinbar tödlich verwundet wird.
Yamina flieht während Mirko sich am vermeintlichen Tode seines Bruders die Schuld gibt und sich den herbeieilenden Kämpfern Montenegros stellen will. Da erwacht der Totgeglaubte und schützt seinen Bruder, indem er behauptet, sie wären beide von Türken angegriffen worden und Mirko hätte ihn gerettet.
All dieser Aufwand war aber umsonst, denn im letzten Akt der Oper finden wir Mirko wieder bei Yamina in einem türkischen Dorf. Wiederum erscheint Aslar um Mirko auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. Als dieser definitiv ablehnt, ersticht ihn Aslar, gemäß dem Blutsschwur: vereint im Leben und im Tode. Yamina entflieht. Aslar wird von gegnerischen Kugeln tödlich getroffen. Als die schlussendlich siegreichen montenegrinischen Kämpfer die beiden Leichen finden, glauben sie, die beiden Brüder wären im Kampfe gegen die Türken gefallen und huldigen ihnen als Helden.
Die Oper fiel in Paris durch und wurde nach dreizehn Abenden abgesetzt. Von da an schwand der Bekanntheitsgrad der Komponistin. War die Resonanz beim Publikum im Allgemeinen positiv, so reichten die Rezensionen von positiver Anerkennung bis um völligen Verriss.
Hauptkritikpunkt war das schwache Libretto, das Holmès selbst verfasst hatte. Dabei ist auch dieses in einem Punkt revolutionär: Yamina, die “femme fatale” überlebt. Im Gegensatz zu anderen Figuren ihrer Art, wie zum Beispiel Carmen oder Dalila, wird sie nicht bestraft.
Andere Kritiker sahen Kritikpunkte bei der Musik. So meinten einige, dass es dem Instrumentaleinsatz an Körper mangelte. Als bekennende Wagnerianerin hatte Holmès natürlich die Wagner-Gegner fast automatisch gegen sich. Andererseits scheiterte sie aber auch vielleicht an dem Vorhaben, ihrem Vorbild nachzueifern. Dessen große Bögen konnte sie nicht realisieren.
Nach der Premiere in Dortmund kann ich den Zwiespalt der Rezensionen nachvollziehen. Die ersten beiden Akte vor der Pause begeisterten mich nicht. Das Libretto ist ziemlich schwach, teilweise haarsträubend. Als Beispiel kann der Gemütszustand von Mirko dienen: hin und hergerissen zwischen seiner Leidenschaft zu Yamina und seinem Pflichtgefühl gegenüber seiner Verlobten, seinem Bruder und seinem Vaterland, wechselt Mirko alle fünf Minuten die Seiten. Das Libretto alleine kann es aber nicht sein, denn dieses wird auch nach der Pause nicht besser.
Auf der musikalischen Seite fehlt etwas! Ist es die schon von den Kritikern der Pariser Aufführung bemängelte Instrumentation? Auch die vielen Chorszenen, in denen sich die Komponistin von slawischer Volksmusik inspirierte, hinterlassen einen unausgewogenen Eindruck, besonders im Zusammenspiel mit der Musik der Hauptfiguren. Es gibt zwar zwischendurch Ansätze von schönen Melodien, aber es ergibt sich kein Ganzes. Es klingt, als ob Holmès keine einheitliche Richtung für ihre Komposition findet.
Und dann nach der Pause, o Wunder, schwenkt meine Stimmung plötzlich um. Gleich zu Beginn des dritten Aktes erklingt ein wunderbares Duett zwischen Yamina und Mirko, gefolgt von einem weiteren zwischen Mirko und Aslar. Von jetzt an erklingt ein Werk wie aus einem Guss, als ob die Komponistin endlich ihren Stil, denjenigen einer französischen Komponistin, gefunden hätte. Melodien und Klangfarben, Instrumentation und Harmonien passen zusammen und bilden ein opulentes Klangbild.
Dass dies nicht nur mein Endruck ist, höre ich am Applaus des Publikums. War dieser zur Pause noch “höflich”, so ist er am Schluss der Oper doch recht stürmisch, mit vielen Bravo-Rufen!
Diese gehören natürlich auch den Aufführenden dieses Abends. Yamina wird gesungen von Aude Extrémo, die mit sattem Mezzosopran die richtigen Farben in der Stimme hat, um die Verführung von Mirko glaubhaft zu interpretieren. Ihr “Gegenspieler” Aslar ist ihr musikalisch ebenbürtig in der Person von Mandla Mndebele. Der Tenor von Sergey Radchenko klingt manchmal ein wenig angestrengt und steif, was sicherlich an einer gerade überstandenen Erkältung liegt. Eine diesbezügliche Ansage hat der Intendant der Oper Dortmund vor der Aufführung für ihn und Alisa Kolosova in der Rolle seiner Mutter Dara verkündet. Radchenko meistert die gesanglich anstrengende Rolle jedoch im Allgemeinen sehr gut. Anna Sohn singt mit schönem lyrischen Sopran die unglückliche Héléna, die von Mirko verlassen wird. Alisa Kolosova hört man ihre Erkältung nicht an, so sicher klingt ihre Stimme. Denis Velev singt mit gutem Bass den Père Sava.
Chor und Orchester liefern eine exzellente Leistung ab unter der Gesamtleitung von Motonori Kobayashi.
Die Gusla-Spielerin, Bojana Peković, gestaltet die Rahmengeschichte, die von der Regisseurin Emily Hehl in die Aufführung eingeführt wird. Mit einem slawischen Lied auf Marko Kraljević, einer slawischen Heldenfigur, startet sie den Abend: ein beeindruckender Beginn.
In ihrer Inszenierung zeigt die Regisseurin Emily Hehl wie falsche Heldenmythen entstehen. Dabei hilft ihr die Wiedereinführung der Schlussszene, in der die montenegrinischen Kämpfer die beiden Leichen finden, die dann von Père Sava als Helden gesegnet werden. Diese Szene war bei der Pariser Uraufführung gestrichen worden. So gibt es bei der Aufführung in Dortmund diesbezüglich eine Weltpremiere.
Kostüme in der montenegrinischen Tradition und ein ästhetisches Bühnenbild runden auch visuell einen gelungenen Opernabend mit der Entdeckung einer interessanten musikalischen Rarität ab.
Jean Nico Schambourg, 15. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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