Foto: Tomasz Konieczny und Dirigent Michal Krężlewski vor den Farben der Ukraine © Krzysztof Mystkowski/KFP
Opera Baltycka, Danzig, 12. März 2022
Fidelio, Ludwig van Beethoven
Apokalypse, Tomasz Konieczny
Freiheitsoper in der Stadt der Befreiung. Wo, wenn nicht in Danzig, wäre Beethovens „Fidelio“ zurzeit passender angesiedelt. In der polnischen Arbeiterstadt wurzelt der Keim, der 1989 schließlich in teilweise freien Wahlen mündete. Von der Danziger Werft, die nur einen Steinwurf von der Oper entfernt liegt, begann der Aufstand der „Solidarność“.
Tausende polnische Arbeiter stiegen 1980 auf die Barrikaden. Sie forderten demokratische Rechte und freie Gewerkschaften. Dadurch kam es zur politischen Lösung Polens aus dem Einflussbereich der Sowjetunion. Das ist nun über 30 Jahre her. Dass jetzt ein anachronistischer Machthaber das Rad der Zeit wieder zurückdrehen möchte, verleiht dieser Produktion eine enorme Brisanz.
Regietheater vom Feinsten
Regisseur und Dramaturg Michael Sturm verpackt das teilweise deutlich in seiner Arbeit. Dabei dürfte der gebürtige Nordfriese gar nicht gewusst haben, wie sich das Blatt wenden würde. Premiere seiner vielschichtigen Arbeit war nämlich bereits im September 2021. Die geschichtsträchtige Vergangenheit der Stadt hatte er aber mit Sicherheit im Sinn.
Sonst hätte er Don Fernando zu Ende nicht in einen weißen Papst Talar gepackt, Lech Wałęsa nicht von einer Video-Installation blicken lassen und überhaupt vieles aus der Zeit der Wende in seine Regie gepackt. Immerhin vertreten viele die Meinung, Papst Johannes Paul II. sei nicht zufällig auf dem heiligen Stuhl gelandet. Karol Wojtyła, wie er bürgerlich hieß, war Pole. Damals seit hunderten Jahren der erste Papst, der nicht aus Italien stammt. Und seine Wahl ein deutliches Zeichen, um die politische Wende bereits symbolisch herbeizusehnen.
Nicht die einzige Schicht, die Sturm in seiner Arbeit frei scharrt. Sein „Fidelio“ sei aufgebaut wie ein „Triptychon“, lässt er knapp vor der Vorstellung wissen. Wer dabei an das berühmte Bild von Hieronymus Bosch denkt – chapeau. Der hatte in seinem „Weltgerichtstriptychon“ ebenso drei Welten offengelegt: das Paradies, das Weltgericht und die Hölle. Bei Sturm scheint nicht alles ganz so durchsichtig.
Vor allem die erste Schicht lässt viele Fragezeichen offen. Nicht unbedingt ein Manko, da nicht immer alles nachvollziehbar sein muss. Immerhin liegt darin für viele auch der Reiz, der dem sogenannten „Regietheater“ innewohnt. Der Gefahr, sich aber total in den Weiten des Intellekts zu verlieren, der konnte Sturm widerstehen. Davon zeugen die beiden anderen Schichten. Neben der dritten, der „Solidarność-Ebene“, die den Weg in die Freiheit symbolisiert, überwiegend auch die Zweite. Eine klare Anspielung auf das Dritte Reich. Anders kann man öffentliche Bücherverbrennungen von Soldaten gar nicht deuten. Kant, Schiller, Goethe und viele andere große Schriftsteller, alle landen hier im Feuer.
Dass Sturm dabei auch in die Partitur und ins Libretto eingreift, bleibt Geschmackssache. Die einen lehnen es rigoros ab, die anderen meinen, Kunst sei grundsätzlich frei. Letztere hätten ihre Freude, weil Sturm einige Passagen verbaut, die nicht im Original zu finden sind. Dabei sind teils polnische Rezitative in fremdsprachigen Ländern eher noch die Regel als die Ausnahme. Die Ode an die Freude, die er ebenso erklingen lässt, wie eine weitere Ouvertüre, spiegeln dann wieder den Freigeist des junggebliebenen Regisseurs, der mit Harry Kupfer und Achim Freyer zusammengearbeitet hat. In Zeiten des Kriegs sicherlich eher passend als umgekehrt.
Konieczny, der Name bürgt für Qualität
An Sängerdarstellern mangelt es in Polen nicht. Wem bislang nur der eine Konieczny ein Begriff war, dem sei der zweite auch ans Herz gelegt: Neben Tomasz Konieczny, der bereits auf eine große internationale Karriere zurückblicken kann, greift Sturm in der Danziger Oper auch auf Łukasz Konieczny zurück. Den jüngeren Bruder, der bei weitem kein so klingender Name ist wie Tomasz, der in Wien, Bayreuth und New York zu den Stammgästen zählt. Beide allerdings in völlig unterschiedlichen Produktionen.
Während Łukasz Konieczny abends im „Fidelio“ als Rocco überzeugt, verdunkelte sich beim großen Bruder bereits zu Mittags ordentlich der Himmel. „Apokalypse“ heißt das Projekt. Ein von Trauer, Tod und Düsternis gezeichnetes Projekt, das Tomasz Konieczny und Adam Dudek bereits vor zwei Jahren szenisch entwickelt haben. Die Idee dahinter: Die schwere Zeit der Pandemie zu verarbeiten. Dass kurz danach auch noch Koniecznys Mutter sterben sollte, verleiht dem finsteren Programm noch mehr Authentizität.
Das Programm selbst spricht Bände: Gustav Mahlers Kindertotenlieder gepaart mit drei Kompositionen, die Tomasz Konieczny selbst in Auftrag gegeben hat, treffen genau den Nerv der Zeit. Die Neukompositionen basieren auf Texten des polnischen Dichters Krzysztof Kamil Baczyński, der 1944 im Warschauer Widerstand ums Leben kam. Dazu hat man den polnischen Komponisten Aleksander Nowak ins Boot geholt. In Wien und München durfte man das Projekt bereits im November 2021 live erleben. Das Novum in Danzig: Statt der bisherigen Begleitung nur mit Klavier, setzt man hier auf eine Orchesterversion.
Sicherlich eine gute Idee. Die erhellen nämlich, die sonst so pechschwarzen Kindertotenlieder und schenken zumindest etwas Hoffnung, in einer Zeit, die für viele bestimmt nur trostlos erscheinen mag. Gereinigt aus dem Saal zu ziehen, gelingt aber nur teilweise. Das sei immerhin ein Ziel von Tomasz Konieczny, das er mit „Apokalypse“ verfolge, wie er im Vorfeld erörterte. Während ihm der Duktus der Kindertotenlieder weniger liegen dürfte, sind ihm die polnischen Lieder hingegen wie auf den Leib geschnitten. Damit trifft er mit seinem markant gefärbten Bassbariton genau ins Schwarze.
Mit Michal Krężlewski steht ihm dabei ein junger polnischer Dirigent zur Seite, der das Baltic Opera Orchestra nicht nur durch die „Apokalypse“ führt, sondern abends auch den „Fidelio“ mit ausladenden Gesten und breiten Tempi zeichnen wird.
Kleines Haus, teils große Stimmen
Dass man in der Danziger Oper kleinere Brötchen backt als in größeren Opernhäusern dieser Welt, dürfte niemanden überraschen. Deutlich wird das vor allem beim Baltic Opera Orchestra. Obwohl selbst renommierte Orchester, bei der Besetzung des Blechs an ihre Grenzen stoßen, an der Intonation der Streicher gibt es wenig zu diskutieren. Umso erstaunlicher, wie man bei der Sängerbesetzung teils so hervorragende Stimmen aus dem Ärmel gezaubert hat. Diesbezüglich hat dieser Danziger „Fidelio“ keinen Vergleich zu scheuen.
Einerseits wäre da die beeindruckende, polnische Sängerin Katarzyna Wietrzny. Bezaubernd ihr Sopran, der jugendliche Frische vermittelt, noch dazu in allen Lagen sattelfest sitzt und auf einer grundsoliden Technik basiert. Sicherlich die Hauptattraktion des Abends. Wie sie ihre Leonore gestaltet, schraubt den Wert der musikalischen Gesamt-Leistung enorm in die Höhe. Ebenso der bereits erwähnte Łukasz Konieczny, der schon in deutschen Theatern öfters bewiesen hat, dass sein eher heller Bass unglaublich geschmeidig fließen kann. Als Gefängniswerter Rocco, der in Sturms Inszenierung des Öfteren subtile Einlagen zu bewältigen hat, überwältigt er vor allem in der Mittellage.
Ein weiterer Stern am Danziger Opernhimmel: Leszek Kuk, der als Don Pizarro nach anfänglichen Problemen, noch kraftvoll und energisch als clownesker Feldherr in den Kampf zieht.
Nicht mithalten können da Ewa Majcherczyk als Marzellina und Tomasz Kuk als Florestan. Majcherczyk, weil ihr abgesehen vom übermäßigen Vibrato, die Koloraturen um die Ohren fliegen und es generell an der Geschmeidigkeit der Stimme mangelt. Kuk, weil der Charakter seiner Stimme nicht zur eher dunklen Partie des verschollenen Häftlings passt und auch ziemlich farblos bleibt. Erwähnenswert: Der Chor, der positiv überrascht.
Ansonsten bleibt noch zu sagen: Wer es satt hat, dicht gedrängt und ohne Freiraum seiner Beine in einen Sitz gezwängt zu werden, der wird in der Danziger Oper glücklich werden. Hier erlebt man Oper genauso gemütlich, wie in einem modernen Kino-Komplex. Trifft auf ein enorm junges Publikum, das in manch deutschsprachigen Gefilden nicht einmal im Theater zu finden ist. Und erlebt den Charme einer alten Ostblock-Metropole, von der aus Geschichte geschrieben wurde. Alles in allem: Danzig ist eine Reise wert!
16. März 2022, klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Michal Krężlewski, Dirigent
Michael Sturm, Regie
Katarzyna Wietrzny, Leonore
Ewa Majcherczyk, Marzelline
Tomasz Kuk, Florestan
Leszek Kuk, Don Pizarro
Łukasz Konieczny, Rocco
Jan Żadło, Jaquino
Piotr Lempa, Don Fernando
Tomasz Konieczny, Interview, Apokalypse Münchner Künstlerhaus, 7.11.21, Musikverein Wien, 16.11.21