Fotos im Beitrag: © Igor Omulecki
Tomasz Konieczny braucht man unseren Lesern nicht vorzustellen. In dem von Jürgen Pathy geführten Interview hat er bereits sein neues Projekt – das Baltic Opera Festival – erwähnt. Dieses soll eine Reaktivierung der Wagner-Festspiele sein, die 1909-1944 an der Waldoper (Opera Leśna) in Zoppot stattfanden; jedoch in einer neuen, internationalen Form. In der Zwischenzeit hat mir Tomasz das Buch Einhard Luthers „Die Zoppoter Waldoper. Das Bayreuth des Nordens“ empfohlen, das eine äußerst wertvolle Informationsquelle über die Geschichte des Zoppoter Festivals darstellt. Nach der Lektüre habe ich beschlossen, mit Tomasz darüber zu sprechen, was er aus der alten Tradition übernehmen und was er Neues einführen möchte.
Interview: Jolanta Łada-Zielke
Im letzten Kapitel seines Buchs verweist Einhard Luther auf das 100-jährige Jubiläum der Waldoper im Jahr 2009 und die Konzertvorstellung von „Das Rheingold“, die zu diesem Anlass stattfand. Das Bild des Plakats im Buch ist leider sehr klein und man kann kaum lesen, was da steht. Ich gehe jedoch davon aus, dass sich dort Dein Name findet, weil Du Alberich sangst. Bist Du damals auf die Idee gekommen, das Festival zu reaktivieren?
In der Tat waren diese Plakate zu dieser Zeit bescheiden und es kamen ungefähr 2.500 Menschen zur Vorstellung. Wenn es um die Versuche geht, das Festival wieder aufzunehmen, da hat man schon früher welche unternommen. Selbst Wolfgang Wagner wollte dies tun. 1985 inszenierte das Teatr Wielki aus Łódź „Die Walküre“ an der Waldoper und 2000 präsentierte dort die Baltische Oper den „Tannhäuser“. Die Menschen waren sich also bewusst, dass dieser Ort mit der Wagner-Tradition zusammenhängt und die auf irgendeine Weise fortgesetzt werden kann.
Die konzertante „Rheingold“-Aufführung im Jahr 2009 initiierte der in Dreistadt geborene Dirigent jüdischer Herkunft Maestro Jan Latham Koenig. Außer mir nahm Daniel Kotliński als Donner an dieser Vorstellung teil, der sich auch für das Thema interessierte und wie Koenig ein Veranstalter des Ereignisses war. Ich konnte mich zu dieser Zeit nicht darum kümmern, weil ich andere Pläne hatte. In den folgenden Jahren sang ich auf Festivals in Salzburg und Bayreuth. Und dann kam das Pandemiejahr 2020, das so schwierig für die Kultur war. Ich habe mich entschlossen, dieses Projekt mit einer Gruppe Wagner-Enthusiasten durchzuführen, auch um zumindest einigen Arbeitnehmern der Kulturbranche eine Beschäftigung zu bieten.
Wer unterstützt Euch?
Viele Politiker und Diplomaten, aus Polen und Deutschland. Wir haben bereits die Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen, Dr. Andrzej Duda. Katharina Wagner, die Urenkelin des Komponisten, der Direktor der Metropolitan Opera Peter Gelb und Dominique Meyer, Direktor der Mailänder Scala, sind Mitglieder des Ehrenkomitees des Festivals.
Die Akustik war und ist ein großer Vorteil der Opera Leśna.
Es ist der Wald, der eine so gute Akustik bietet, weil Bäume zu einer besseren Schallausbreitung beitragen. Nach einer umfassenden Renovierung der Waldoper erstreckt sich das Kuppeldach nun über die gesamte Bühne, was diese Resonanz weiter verstärkt.
Die Sänger, die an den ersten Festivals teilnahmen, hatten zunächst Angst, dass die Geräusche des Waldes ihre Aufführung stören würden. Aber bereits nach den ersten Proben waren sie begeistert. Lily Hafgren-Dinkela erzählte, wie einmal während einer Probe von „Die Walküre“ eine goldflügelige Libelle sich auf ihre Brust setzte. Die Sängerin behauptete, dass ihr kein anderes Theater solche Eindrücke bieten könnte.
Doch, das Festspielhaus in Bayreuth bietet auch heute noch ähnliche Eindrücke. Bei einer der Aufführungen von „Lohengrin“ 2018 flogen Fledermäuse über die Bühne, die, wie sich herausstellte, unter dem Dach des Theaters lebten. Kein Wunder, es ist ein Holzgebäude, ohne Klimatisierung. Was die Waldoper betrifft, weiß ich aus damaligen Presseberichten, dass dort die Vögel zusammen mit Brünnhilde sangen. Dies ist der Reiz solcher Orte.
Im Programm des ersten Baltic Opera Festivals steht „Der fliegende Holländer“, den Du inszenierst und in dem Du die Hauptrolle singst. Diese Oper wurde in den Kriegsjahren 1940-41 an der Waldoper aufgeführt. Warum hast Du sie jetzt gewählt?
Es war aus praktischen Gründen. Im Jahr 2023 trete ich als Holländer an der Metropolitan Opera auf, daher möchte ich diese Partie vorher auf verschiedenen Bühnen singen können. Im Sommer 2020 habe ich sie beim Opernfest in Mikulov (Weinviertler Festspiele) aufgeführt, ich werde sie noch an der Opéra Bastille und an mehreren anderen Orten singen. Zweitens, ist diese Oper relativ kurz und eignet sich deswegen für das erste Festival, um das Publikum schrittweise in die Welt von Wagners Werken einzuführen. Darüber hinaus ist die Oper perfekt aufzuführen an diesem Badeort, in einer Waldlandschaft und unter einem Dach, das einem großen Segel ähnelt. Die akustischen Bedingungen sind perfekt für sie. Die zweite Oper, die wir im Rahmen des Festivals präsentieren, ist „Die Zauberflöte“ Mozarts, die ebenfalls im September bei dem Festival „Mozart im Chiemgau“ und mit der örtlichen Besetzung aufgeführt wird.
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Weinviertler Festspiele, 14. August 2020
Die Bedingungen in der Waldoper waren ideal für den „Ring des Nibelungen“, deshalb wurde er vor dem Krieg dort am häufigsten gespielt. Anfangs nur drei Teile, ohne das „Rheingold„, weil der Festspielleiter Hermann Merz keine Idee dafür hatte. Aber seit 1938 wurde die gesamte Tetralogie präsentiert.
In vielen Opernhäusern der ganzen Welt gibt es eine Tradition, dass die Inszenierung des „Rings“ mit dem zweiten Teil beginnt – „Die Walküre“. Wir haben bereits 2009 „Das Rheingold“ angeboten, daher werden wir es vorerst nicht wiederholen. Und wenn wir den gesamten „Ring des Nibelungen“ zeigen wollten, würde dies viel mehr Zeit und Arbeit erfordern. In den nächsten vier Jahren müssten wir in jeder Saison einen Teil der Tetralogie inszenieren. Wir sind kurz vor dem ersten Baltic Opera Festival und haben noch keine solchen Möglichkeiten, das Repertoire vier Jahre im Voraus zu planen.
Wird während des Festivals ein polnisches Werk gespielt?
Ja, es wird eine weniger bekannte, jugendliche Operette von Karol Szymanowski sein, „Die Lotterie für Ehemänner oder Verlobte Nummer 69″, die er nach dem Vorbild der Wiener Operetten komponierte. Vielleicht zeigen wir sie auch auf dem Festival in Chiemgau. Marcin Sławiński übernimmt die Regie dieser Vorstellung.
Wen werden wir auf der Waldopernbühne sehen und hören?
In den Solopartien hören wir Małgorzata Walewska, Ricarda Merbeth, Stefan Vinke, Piotr Buszewski, Rafał Siwek und Ryan Speedo Green, der sozusagen unser „Sahnehäubchen“ sein wird, weil er in der „Lotterie für Ehemänner“ auftritt. Wir werden also einen dunkelhäutigen Sänger in der polnischen Operette haben. Ich warte immer noch auf die Bestätigung der Teilnahme der anderen Solisten. Ich beschloss, Studenten und Absolventen der Opernakademie am Teatr Wielki in Warschau für die „Lotterie“ zu engagieren. Das Ensemble Sopocka Orkiestra Kameralna unter der Leitung von Wojciech Rajski wird die Vorstellung der „Zauberflöte“ begleiten. Die anderen Werke wird das Warschauer Rundfunkorchester unter der Leitung von Stefan Soltesz und Michal Klauza aufführen.
Es ist gut, dass die Besetzung international sein wird, denn vor dem Krieg nahmen hauptsächlich deutsche Sänger an den Zoppoter Wagner-Festspielen teil.
Das war damals völlig normal. Es gab keine Tradition, die Oper international zu besetzen, obwohl manchmal große Stars aus zum Beispiel der Metropolitan Opera daran beteiligt waren. Dies lag daran, dass man die Libretti der Opern in die Sprache des Landes übersetzte, in dem sie aufgeführt wurden. Auch in Polen wurde Wagner in der Zwischenkriegszeit auf Polnisch gesungen. Im deutschsprachigen Raum, zum Beispiel in Österreich, wurden alle Opern noch lange nach dem Krieg auf Deutsch aufgeführt. In dieser Hinsicht war der Amerikaner George London (1920-1985) eine Ausnahme. Nachdem er nach Europa gekommen war, sang er alle seine Partien in den Originalsprachen, obwohl er sie nicht kannte und es nicht schaffte, sie alle zu lernen.
Andererseits ist die Geschichte der Zoppoter Wagner-Festspiele beeindruckend, wie wunderbar sie sich entwickelte, obwohl die Nazis sie leider als „Bollwerk deutscher Kultur in der isolierten Freien Stadt Danzig“ bezeichneten. Interessant war der Sängeraustausch zwischen der Waldoper in Zoppot und den Bayreuther Festspielen.
Zum Beispiel wurde Frida Leider dank des Zoppoter Festivals berühmt. In den Jahren 1921-27 sang sie dort in „Fidelio“, „Die Walküre“, „Die Götterdämmerung“ und „Tannhäuser“ und 1928 debütierte sie als Kundry in Bayreuth.
Das ist sehr interessant, denn es zeigt, wie hoch das Niveau des Festivals in der Waldoper war. Darüber hinaus zog Zoppot als attraktiver Badeort in der Zwischenkriegszeit Touristen aus anderen Ländern an, darunter reiche Polen, die hierher zur Erholung aber auch zu Opernaufführungen kamen. Wir wollen auch dieses Element der Tradition wiederherstellen. Wir möchten, dass ausländische Gäste zum Festival kommen, um an wertvollen künstlerischen Veranstaltungen teilzunehmen und etwas über unser Land zu erfahren.
1937 wurde der Sängeraustausch zwischen dem ursprünglichen Bayreuth und dem „Bayreuth des Nordens“ zu einer Rivalität. Hermann Merz schlug der dänischen Altistin Inger Karén vor, zwei Partien zu singen, damit sie die Waldoper statt Bayreuth wählte. Heinz Tietjen setzte seinerseits ihr und ihrem schwedischen Kollegen Ivar Andrésen ein Ultimatum: entweder Bayreuth oder Zoppot. Winifred Wagner verbot ihren beiden Söhnen, zu den Zoppoter Festspielen zu kommen, obwohl sie dort eingeladen waren. Die Proben in Bayreuth beginnen Ende Juni und das Baltic Opera Festival soll im Juli stattfinden. Hast Du keine Angst, dass sich diese Situation wiederholen könnte?
Es ist normal, wenn ein Festival – in diesem Fall die Zoppoter Wagner-Festspiele – berühmt wird. Bereits 1937 hatte das „Bayreuth des Nordens“ eine so hohe Position, dass es begann, seine Partnerveranstaltung zu „bedrohen“. Aber heute ist die Situation anders, weil es mehr Sänger gibt, die sich mit dem deutschen Repertoire beschäftigen. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde Wagner nicht so oft gesungen und es gab nicht so viele Wagner-Stimmen. Aus sprachlichen Gründen, die ich bereits erwähnt habe, sangen weit weniger Ausländer in Deutschland. Einige Skandinavier nahmen daran teil, es gab aber weder Russen noch Amerikaner – eine Ausnahme ist möglicherweise die Australierin Marjorie Lawrence, Solistin der Metropolitan Opera, die 1938 in Zoppot als Brünnhilde auftrat. Es waren auch sehr wenige polnische Sänger an diesem Repertoire beteiligt.
Heute spielen alle großen Theater der Welt Wagners Musik und seine Opern führt man auf großen Festivals auf. Wir haben viele, viele Wagner-Sänger zur Verfügung, besonders jetzt in der Zeit der Pandemie. Wenn die berühmten Solisten nicht an den Salzburger oder Bayreuther Festspielen teilnehmen, sind sie grundsätzlich arbeitslos. Natürlich werden einige der Wagner-Sänger in Bayreuth sein, aber ich denke, die Auswahl der Solisten ist für uns in den kommenden Jahren kein großes Problem. Außerdem fangen wir gerade erst an, also sind wir definitiv nicht konkurrenzfähig zu Bayreuth. Als ich das letzte Mal mit Katharina Wagner über das Baltic Opera Festival gesprochen habe, hat sie sich sehr darauf gefreut, dass wir diese einstmals berühmte Spielstätte wiederbeleben wollen.
Wie möchtest Du das Problem mit dem Chor lösen? Chöre sind am stärksten von der Pandemie betroffen, weil sie entweder gar nicht oder nur in sehr begrenzter Besetzung auftreten können, um die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Dieses Jahr wird in Bayreuth auch eine neue Inszenierung von „Der fliegende Holländer“ vorbereitet. Derzeit wird diskutiert, ob die Anzahl der Chorsänger auf ein Minimum beschränkt oder eine Chor-„Off“-Aufnahme abgespielt werden soll. Aber ich kann mir den „Holländer“ ohne Festspielchor nicht vorstellen.
Es geht darum, den Kontakt der Menschenmenge, die im Chor singt, mit den Solisten zu begrenzen, um sie nicht zu infizieren, und natürlich, dass sich die Chorsänger auch nicht gegenseitig infizieren. In Bayreuth ist es verständlich, dass radikale Schritte unternommen werden müssen, da sich dort Menschen auf sehr kleiner Fläche versammeln, das Gebäude nicht klimatisiert wird und daher nicht nur Sänger, sondern auch das Publikum geschützt werden muss. Die Bedingungen an der Waldoper sind etwas besser, da die Aufführungen im Freien stattfinden.
Die Bühne ist dort größer als in Bayreuth, sodass wir die Sänger richtig aufstellen können. Aber den Chor aus dem „Off“ spielen zu lassen, das ist für mich eine zu künstliche Lösung, fast eine Kastration. In meiner Produktion des „Holländers“ wäre es akzeptabel, dass der Chor mit Masken singt. Übrigens wird das Ensemble auf sechzig Personen reduziert: Vierzig von ihnen werden der „Hauptchor“ und die restlichen zwanzig Personen werden der „Geisterchor“ sein. Aber das alles hängt davon ab, wie sich die Situation bis Juli entwickeln wird, ob die Corona-Beschränkungen noch in Kraft bleiben und welcher Art sie sein werden.
Fassen wir alle Vorteile dieses künstlerischen Ereignisses zusammen: internationaler Charakter, Verankerung in der Tradition, die Anwesenheit weltberühmter Stars, das Debüt junger Sänger und die Beschäftigung von Menschen aus der Kunstbranche.
Und noch etwas Wichtiges: Die Aufführungen in der Waldoper finden im Freien statt, was das Risiko verringert, sich mit dem Virus zu infizieren, wenn die Pandemie noch andauern wird. Ältere, gefährdete Menschen können ohne Angst zu unseren Vorstellungen und Konzerten kommen. Der Ticketverkauf beginnt im März. Darüber hinaus findet das Baltic Opera Festival eine Woche vor Beginn der Bayreuther Festspiele statt. Diejenigen, die keine Eintrittskarten für das Festspielhaus bekommen, lade ich sehr herzlich nach Zoppot ein.
Vielen Dank für das Gespräch und ich drücke Dir fest die Daumen, dass Du dieses Projekt erfolgreich durchführst!
Jolanta Łada-Zielke, 19. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das detaillierte Programm gibt es auf der Website des Festivals: https://www.balticoperafestival.com/en/
Interview: 10 Fragen an den Bassbariton Tomasz Konieczny klassik-begeistert.de
Stefan Mickisch, Richard Wagner, Die Walküre, Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 12. Januar 2020