Pekka Kuusisto © Bard Gundersen
Das Mahler Chamber Orchestra am vorletzten Abend des Beethovenfests
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Violinkonzert op. 61
Thomas Adès (*1971) – Three Studies from Couperin
Joseph Haydn (*1732-1809) – Sinfonie Nr. 45 fis-Moll Hob. I:45, „Abschiedssinfonie“
Missy Mazzoli (*1980) – „Dissolve, O my Heart“ für Violine solo
Mahler Chamber Orchestra
Pekka Kuusisto, Violine und Leitung
Bonn, Aula der Universität, 23. September 2023
von Brian Cooper, Bonn
Und schon wieder eine für mich neue Bonner Spielstätte, die ich nicht kannte. Asche auf mein Haupt. Die Aula der Universität hat eine etwas trockene Akustik, die aber nahezu perfekt für ein Kammerorchester ist, in diesem Fall das Mahler Chamber Orchestra (MCO). Solovioline und Leitung: Pekka Kuusisto. Der moderiert auch mal gern, am heutigen Abend allerdings nicht. In Erinnerung habe ich einen Kölner Abend, an dem er nahezu 2000 Leute dazu brachte, den Namen des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara perfekt – sonor, finnisch – auszusprechen.
Mitglieder des Chamber Orchestra of Europe, die am Abend zuvor in der Kreuzkirche Brett Dean und Mahlers Lied von der Erde gespielt hatten und am Sonntag im Opernhaus das Abschlusskonzert bestreiten, werden im Publikum gesichtet, so etwa die Flötistin Clara Andrada de la Calle.
Eine Programmänderung geschieht nahezu unbemerkt: Wer sich auf die Shaker Loops von John Adams gefreut hatte und deswegen eine Karte gekauft hatte, ging leer aus. Caveat emptor, Änderungen vorbehalten. Ganz leer allerdings nicht, denn stattdessen wird Haydns Abschiedssinfonie gegeben – und wie! – und dazu ein Stück für Solovioline von Mizzy Mazzoli, Jahrgang 1980, der Rest bleibt gleich.
Nur die Reihenfolge ändert sich. Mit Beethovens Violinkonzert wird der Abend eröffnet. Pekka Kuusisto spielt es introvertiert, er bekommt vom MCO einen sonoren Klangteppich gelegt, bevor es in die Oktaven geht. Fast schüchtern, nicht strahlend, wie man es oft hört; man ist fasziniert von der neuen Lesart und wundert sich über neue Töne. Hierzu das Programmheft: „Pekka Kuusisto spielt eine von ihm nach einer Frühfassung des Konzerts eingerichtete Version der Solostimme.“
Auch im Orchester sind ungewohnte Töne zu hören. Es ist eine interessante Lesart. Puristen mögen monieren, dass Beethoven seine Gründe gehabt haben mag, die letztgültige Fassung zu veröffentlichen, aber hier hören wir eine erfrischend neue Version, und die ist überhaupt nicht ganz so anders als das Gewohnte. (Ich hatte mal Bruckner 4. mit den Bambergern gebucht und war irritiert, eine völlig andere Frühfassung zu hören. Oder, diese Woche in Köln, „Alexander Melnikov – Klavier“, und der Mann spielte nicht auf dem gewohnten Steinway, sondern auf einem impotenten Hammerklavier, das zwar schön aussah, aber klanglich… Nun ja.)
Kuusisto spielt den Solopart nachdenklich, er überlässt dem Konzertmeister Afanasy Chupin das Leiten des Orchesters. Jeder Ton jeder Triole ist mit Leben gefüllt. Der zweite Satz ist zügig, aber nicht überhastet, vibratoarm, umso mehr Vibrato im traumhaft spielenden Fagott, das ich noch nie so warm gehört habe in diesem Werk, wenn es die Melodie übernimmt. In der Überleitung zum dritten Satz dann wieder ungewohnte Töne, eine geradezu vorlaute Flöte bricht aus gewohnten Bahnen aus…
Und war die Kadenz des finnischen Solisten im ersten Satz schon aufregend, setzt er in der Kadenz des dritten Satzes einen drauf: Die Siebte Beethovens klingt durch, gepaart mit Fiedelklängen. Ist das von Kuusisto? Jedenfalls ist meine Begleiterin „wie in einer anderen Welt“.
Und wie gefiel es dem zufällig begegneten Freund, dem Leiter der hiesigen Musikschule, zur Pause? „Ich weiß es noch nicht“, so David Heckers erste Antwort, aber dann waren wir uns schnell einig, dass es eine interessante Interpretation ist, und haben intensiv diskutiert. So etwas ist bereichernd.
Das Programm ging mit drei kurzen Stücken – Studien – von Thomas Adès weiter. Seine Hommage, seine Reverenz, an François Couperins Piéces de clavecin ist durchaus tonal, man hört die Cembalowerke des Barock durch, allerdings mit neuen und interessanten Schattierungen, „mit großem Respekt vor dem Original“, wie es im Programmheft treffend steht. Noch treffender ist die Beschreibung des Werks: „Bearbeitung dreier Charakterstücke aus den ‚Pièces de clavecin‘ von François Couperin über Vergnügungen, Hokuspokus und Seelenschmerz“. Besonders eindrucksvoll fand ich die Klangfarbe des Gongschlegels auf der tiefen Pauke, gepaart mit Kontrabässen. Meine Begleiterin zuckte zusammen, Ziel erfüllt.
Haydns Abschiedssinfonie geriet fast zum Höhepunkt. Sie war einfach grandios gespielt. Der Klang des MCO unter Kuusisto ist recht nah an der Aufnahme der Sturm-und-Drang-Sinfonien von Trevor Pinnock orientiert, die ich sehr schätze. Der Kopfsatz voller Unruhe, der zweite Satz mehr Andante als Adagio, alles wogend und transparent, duftig, das Menuett voller Liebreiz.
Und dann natürlich der letzte Satz: Nach dem Presto ein ungewöhnliches Adagio, währenddessen die Ausführenden peu à peu die Bühne verlassen. Der subtile Hinweis Haydns, dass gute Musik nicht umsonst ist, sollte nicht vergessen machen, dass es ein wundervoll komponiertes Werk ist, in dem zum Ende nur noch zwei Violinen ein Duett spielen.
Einer davon verlässt auch noch die Bühne, und so steht Kuusisto allein da und gibt noch Missy Mazzolis achtminütiges Werk „Dissolve, O my Heart“ zu, eine Anspielung an Bachs „Zerfließe, mein Herz“ und natürlich auch an die Chaconne. Anfang und Ende spielt Kuusisto con sordino, die Musik ist gefällig, konventioneller als beispielsweise Ysaÿe, aber durchaus hörenswert.
Heute geht ein großes Lob an ein besonders aufmerksames Publikum, das nach dem Konzert zufrieden aussah.
Dr. Brian Cooper, 24. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Beethovenfest Bonn, Konzertmarathon Bonn, 10. September 2023
Kammerkonzert, Midori, Violine Beethoven-Haus, Bonn, 25. Mai 2023