Lieben Sie Brahms?

Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, Dirigent   Alte Oper, Frankfurt, 3. November 2025

Berliner Philharmoniker © Monika Rittershaus

Unbedingt, wenn er so gespielt wird: Die Berliner Philharmoniker spielen – zelebrieren – in der Alten Oper ein tief in der Romantik verwurzeltes Programm.

 Alte Oper, Frankfurt, 3. November 2025

Robert Schumann (1810-1856)Manfred op. 115. Ouvertüre für großes Orchester

Richard Wagner (1813-1883) – Siegfried-Idyll WWV 103

Johannes Brahms (1833-1897) – Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent

 von Brian Cooper

Traditionell begeben sich die Berliner Philharmoniker im November von Frankfurt aus auf große Tournee und machen am Vorabend ihres Abflugs, diesmal nach Asien, in der Alten Oper Station.

Chefdirigent Kirill Petrenko ist immer für eine Repertoire-Überraschung gut. Wann hört man schon mal Schumanns Manfred-Ouvertüre (geschweige denn das gesamte Stück)? Byron-Stoff wurde von etlichen Komponisten vertont: Tschaikowskis Manfred-Sinfonie und Berlioz’ Harold in Italien sind berühmte Beispiele, gewiss bekannter noch als die Vertonung Robert Schumanns, der sich ebenfalls des dramatischen Gedichts Manfred annahm, das als Schlüsselwerk der Romantik gilt.

Umso erstaunter war ich, dass es mir zumindest stellenweise einigermaßen bekannt vorkam. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass es eben ein typischer Schumann ist, wenngleich äußerst komplex komponiert, wie Ulrike Kienzle in ihrer erhellenden Konzerteinführung ausführte. In Frankfurt kommt „Kienzles Klassik“ gut an, und die einstündigen Veranstaltungen werden zu Recht als „Musikseminar für Wissbegierige“ betitelt. Frau Kienzle merkt an, dass wir uns dieses Werk durchaus als „musikalisches Selbstportrait“ des Komponisten vorstellen dürfen.

Die Ouvertüre steht in der ungewöhnlichen Tonart es-Moll. Kirill Petrenko erzeugt mit präzisen Schlägen eine im besten Sinne flimmernde Unruhe, es klingt abgründig und zerklüftet, die einander gegenübersitzenden ersten und zweiten Violinen sowie das kurz von der Bühne abgehende und als Fernorchester wirkende Trompeten-Trio schaffen Klänge, die unter die Haut gehen. Emmanuel Pahuds Flöte zaubert goldenen Glanz in den Saal.

Berliner Philharmoniker © Monika Rittershaus

Unendlich warm klingt auch Wagners Siegfried-Idyll vor der Pause. Hornrufe (Sarah Willis, Stefan Dohr) und herrliche Holzbläser grundieren einen süffigen Streicherklang in diesem Werk, das als kostbares Geburtstagsgeschenk zur Geburt von Wagners Sohn Siegfried, genannt Fidi, von Mitgliedern des Zürcher Tonhalle-Orchesters auf der Treppe des Hauses in Tribschen bei Luzern für Cosima dargeboten wurde. In Frankfurt war die Besetzung natürlich üppiger, was jedoch mitnichten einen Mangel an Transparenz für den Gesamtklang bedeutete. Schlaflied und Vogelrufe trugen in der Tat zu einer echten Idylle bei. Einer der großen Dirigenten unserer Zeit hat ganz klare Vorstellungen davon, was er will, und das Orchester setzt kleinste Details vorzüglich um. Besser kann man das Werk nicht spielen.

Selbiges gilt für die Erste Sinfonie von Johannes Brahms. Kirill Petrenko wählt im Kopfsatz ein erfrischend gemäßigtes Tempo: Mit Bedacht und zugleich mit Brodeln wabern die ersten pulsierenden c-Moll-Takte forte in den Saal, die Streicherlinien schier unendlich, die Blech- und Holzbläser und natürlich die Pauke ergänzen von Anbeginn eine Lesart, die einen sofort in den Bann zieht. Ein kleines Detail von vielen: Die Kontrabässe spielen an manchen Stellen jeden Ton mit einem Abstrich, was eine gewisse Kompromisslosigkeit betont.

Sicher mag das manch einem zu wuchtig sein, zu üppig: Immerhin sechs Bässe sind auf der Bühne. Aber es wirkt zumindest auf diesen Hörer absolut überzeugend. Es ist eine große Kunst, aus sattsam Bekanntem Neues zu erzeugen, und Petrenko kann es. Denn es gibt auch Ruhepunkte, immer wieder. Und das gesamte Programm des Abends ist schließlich tief in der Romantik verwurzelt.

Im zweiten Satz, der voller Liebreiz ist, gehen die Entdeckungen weiter. Nie zuvor habe ich gehört, dass die Hörner hier sordiniert sind. Ein Blick in die Partitur zuhause bestätigt, dass ich mich nicht verhört habe. Die Soli von Albrecht Mayer und Noah Bendix-Balgley berühren. Kurz dachte ich zurück an das große Heldenleben-Solo des Konzertmeisters in der Bonner Beethovenhalle irgendwann in den 2010er Jahren, als er noch im Pittsburgh Symphony Orchestra spielte. Ein großer Geiger.

Berliner Philharmoniker © Monika Rittershaus

Gänzlich ohne Hast dann auch der dritte Satz: tänzerisch beschwingt, mit herrlichem Holz (Klarinette!) und sehr prominentem Kontrafagott, auch dies eine Entdeckung für mich. Wie toll das komponiert ist!

Attacca geht es in den letzten Satz. Mystische Klänge – etwa in der komplizierten, die Moderne geradezu vorwegnehmenden, Pizzicato-Stelle („Brahms, der Fortschrittliche“ eben!) – münden in exquisite Hornrufe und in die Hymne, in der „jeder Esel“ (Brahms) höre, dass es eine Hommage an Beethovens Neunte sei. Der Choral von Posaunen und Tuba jagt uns wohlige Schauer über den Rücken.

Das Publikum ermöglicht an diesem Abend ein sehr intensives Hören. Einzig mit der Tatsache, dass ich nahezu immer ein tuschelndes Paar vor mir habe, das sich alles mitteilt, was ihm gerade durch die Köpfchen rauscht, habe ich mich inzwischen abgefunden.

War es ein perfekter Abend? Ja und nein. Nein insofern, als beispielsweise nicht jedes Pizzicato mit der absoluten Präzision gelang, die man von einem Spitzenorchester erwarten darf. Ja hingegen, weil dieser Abend an schier überbordender Leidenschaft im Musizieren nicht zu überbieten war. Und genau das ist, was zählt. Ein Hochamt der Romantik, eine Feier des Lebens.

Dr. Brian Cooper, 4. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

hr-Sinfonieorchester, Ivan  Repušić, Alexander Malofeev, Klavier Alte Oper Frankfurt, 24. Oktober 2025 

Frankfurter Opern- und Museumsorchester Thomas Guggeis, Julia Hagen Violoncello Alte Oper Frankfurt, 20. Oktober 2025

Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, Albrecht Mayer, Oboe klassik-begeistert.de, 20. September 2025

Kirill Petrenko Dirigent, Berliner Philharmoniker Philharmonie Berlin, 29. August 2025

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