Klaus Mäkelä löste mit seinem Debüt bei den Berliner Philharmonikern hohe Erwartungen ein

Berliner Philharmoniker, Klaus Mäkelä dirigiert Schostakowitsch und Tschaikowsky  Philharmonie Berlin, 20. April 2023

Klaus Mäkelä (Foto: Marco Borggreve / Oslo Philharmonic)

Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 54

Peter Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 „Pathétique“


Berliner Philharmoniker
Klaus Mäkelä, Dirigent

Philharmonie Berlin, 20. April 2023

 von Kirsten Liese

Er hat es mit gerade einmal 27 Jahren schon in die Top-Liga geschafft: Klaus Mäkelä ist längst kein Newcomer mehr, leitet als Chefdirigent das Oslo Philharmonic und das Orchestre de Paris. 2027 wird er als Chef des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, dessen Geschichte von so bedeutenden Persönlichkeiten wie Willem Mengelberg, Bernard Haitink oder Mariss Jansons geprägt wurde, eine noch renommiertere Position einnehmen. Wo immer der Finne in Erscheinung tritt, ist ihm viel Beachtung gewiss, Kritiker geraten regelmäßig ins Schwärmen über ihn.

Werden nun seine Leistungen dem Hype gerecht oder wird der Jungstar überschätzt? Bislang konnte ich nicht mitreden, aber nun habe ich den Vielbegehrten bei seinem Debüt mit den Berliner Philharmonikern erlebt und muss bekennen: Er ist tatsächlich ein großer Künstler!

Dass mir einige Dimensionen in Tschaikowskys Pathétique fehlen – geschenkt. Schwermut und Sehnsucht, wie sie sich vor allem in dem bekannten Hauptthema des ersten Satzes ausdrücken, kann man in einem so kurzen Leben vermutlich noch nicht ermessen wie jemand, der drei Mal so alt ist, um Enttäuschungen und Entbehrungen weiß – wie Riccardo Muti, den ich zuletzt mit dieser Sinfonie im vergangenen Jahr in einer unübertrefflich genialen Interpretation in Salzburg erlebte, der in seinem langen Künstlerleben alle Höhen und Tiefen durchwanderte und nun mit Otello sagt: Ecco la fine del mio cammin. (Hier ist das Ende meiner Reise).

Kurzum: Das Schwelgen, das Eintauchen und Baden in leicht schwelgerischen, süßlichen Klangwelten, das ich bei Muti oder Thielemann erlebe, ist Mäkeläs Sache noch nicht. Dass diese Sinfonie Gefahr läuft, ins Kitschige abzugleiten, wenn das Pathetische, das ihr den Namen gibt, zu stark aufgetragen wird, mag dabei eine Rolle spielen. Aber die Sorge muss Mäkelä nicht haben, bei ihm würde die Musik etwas mehr Druck auf die Tränendrüse recht gut vertragen, tendiert er doch ins andere Extrem: Mit äußerst sparsamem Vibrato in den Violinen, straff musiziert, tönte das herrliche Hauptthema fast schon herb.

Das Adagio lamentoso, der letzte Satz im Tschaikowsky, gelang  gefühlvoller, da vermittelte sich der Schmerz des Komponisten, der die Aufregungen, seelischen Konflikte und Torturen, die sein gesellschaftliches Leben oft aus dem Gleichgewicht warfen, weitaus eindringlicher. Dank einer großen Portion an Herzblut.

Regelrecht superb gelang dem Finnen das Allegro con grazia, das tänzerische Leichtigkeit, Elastizität und Eleganz verströmte. Dass dieser zweite Satz  wunderbar grazil und delikat anmutete, verdankte sich auch des moderaten, gut gewählten Tempos. Andere Jungspunde nehmen das gerne mal zu schnell, bei Mäkelä erschien es goldrichtig.

Der dritte Satz mit dem herrlichen marschähnlichen Ohrwurmthema, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht, das Allegro molto vivace, verströmt darauf  jene unbändige Energie, die signifikant ist für diesen Dirigenten, der – wenn es in die Vollen geht – wie ein Kung Fu-Meister mit leicht zackigen Bewegungen operiert, dank der die aufgetürmten Klangmassive äußerst präzis und elegant gelingen. Als wäre es ein Kinderspiel, einen riesigen Apparat so federleicht durch Dick und Dünn zu lavieren. Und das in der denkbar größten Homogenität jeder einzelnen Sektion.

Um nicht missverstanden zu werden: Mäkelä zieht auf dem Podium keine Show ab, er setzt nicht auf Effekte um der Effekte willen. Imponiergehabe hat er nicht nötig. Spürbar und mit einem ganz eigenen Stil stellt er sich in den Dienst der Musik. Ein bisschen etwas vom jungen Feuerkopf Celibidache steckt ihn ihm, wenn er mit seinen Armen große Kreise beschreibt, gelegentlich auf den Zehen wippt, ins Hüpfen gerät und mit seinem ganzen Körper in Schwingung.

Die sechste Sinfonie von Schostakowitsch bildete den schier fulminanten Auftakt dieses Debüt-Konzerts.

Allein der erste Satz, von den Celli mit einem rhythmisch markanten Motiv eingeleitet, war ein einziges Gedicht. Dies freilich auch dank der sich einmal mehr in Topform präsentierenden, viel beschäftigten Bläsersolisten der Berliner Philharmoniker.

Für die erste Flöte schrieb Schostakowitsch im ersten Satz ja nahezu schon ein halbes Flötenkonzert, melancholisch angehauchte ariose Melodik, von Sebastian Jacot mit feinstem Silberklang gezaubert. Mit dem Russen Ivan Podyomov, den sich Mäkelä offenbar vom Amsterdamer Concertgebouw mitgebracht hatte, stand ihm eine treffliche Solo-Oboe zur Seite, Egor Egorkin (Piccolo), Dominik Wollenweber (Englischhorn),  Wenzel Fuchs (Klarinette) und Stefan Schweigert (Fagott) komplettierten das treffliche Ensemble in den schier kammermusikalisch filigranen, anrührenden Passagen. Wenn einer einmal nervenstark so lange fast ganz alleine spielt wie Jacot, braucht es freilich auch keinen Aktionismus, dann lässt Mäkelä den Taktstock sinken und lauscht den seelenvollen Klängen versonnen nach.

Im Allegro und Presto sprühen dann umso mehr die Funken, da durchzieht die Philharmonie eine Energie, die wohl selbst jemanden aufwecken würde, der in todmüdem Zustand eingeschlafen ist. Sagenhaft!

Der vom Berliner Publikum verdient groß gefeierte Klaus Mäkelä hat Potenzial. Soviel steht fest. Alles Weitere wird sich geben.

Soweit ich blicken kann, sehe ich keine anderen Dirigenten unter 40 mit einer nur annäherungsweise vielversprechenden Zukunft. Unsere Altmeister, Muti, Blomstedt, Barenboim, bewegen sich mittlerweile auf ein biblisches Alter zu. Selbst Thielemann und Pappano sind bereits über 60, Currentzis und Petrenko über 50. In den Generationen darunter sieht es mau aus. Mit Klaus Mäkelä ist ein Hoffnungsträger gefunden, der – auch das war an diesem Abend zu sehen – ein junges Publikum anzieht. Nicht ausverkauft, aber sehr voll war die Philharmonie.  Ich bin gespannt auf seine weitere Entwicklung.

Kirsten Liese, 21. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Mark Andre und Gustav Mahler, Orchestre de Paris, Klaus Mäkelä, CPE Bach-Chor Elbphilharmonie, 19. März 2023

Janine Jansen, Violine, Orchestre de Paris Klaus Mäkelä, Dirigent Essen, Philharmonie, 16. März 2023

Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä, Dirigent, Sol Gabetta, Cello Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 20. November 2022

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