Pyotr Ilyich Tchaikovsky
The Enchantress (Die Zauberin)
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Valentin Uryupin Dirigent
Vasily Barkhatov Regisseur
Naxos NBDO180V
von Peter Sommeregger
Tchaikovskys drittletzte, große Oper „Die Zauberin“ ist im Gegensatz etwa zu „Eugen Onegin“ oder „Pique Dame“ außerhalb der slawischen Welt selten zu hören. Dabei bietet das vieraktige Werk neben dankbaren Rollen auch eine reiche Fülle an eingängiger Musik. Ein kleines Manko ist vielleicht das Fehlen einer oder mehrerer Arien mit Wiedererkennungswert, wie sie die anderen späten Opern des Komponisten reichlich bieten.
Das Frankfurter Opernhaus, eines der kreativsten des Landes, hat sich 2022 an das Werk gewagt, die Produktion ist nun auch auf DVD und Blu-ray erschienen. Die anspruchsvollen Rollen konnten weitgehend aus dem Ensemble besetzt werden, die Leistungen auch in den kleinen Rollen zeigen das hohe Niveau, auf dem man sich in Frankfurt bewegt.
In der Titelrolle der Kuma kann Asmik Grigorian erneut ihre stimmlichen und darstellerischen Qualitäten beweisen. Die Figur der jungen Witwe und Wirtin eines Gasthauses wirkt, wie ihr auf den Leib geschrieben. Die umfangreiche Rolle, voller Kantilenen, aber auch dramatischer Ausbrüche liegt Grigorian perfekt, in ihrem Gesang bildet sich Sanftmut, aber auch Durchsetzungswille vorzüglich ab. Kuma ist nicht wirklich eine Zauberin, sie wirkt nur durch ihren Charme, ihre Menschenfreundlichkeit und ihr ansprechendes Wesen insgesamt verzaubernd auf ihre Umgebung. In ihrem Gasthaus herrscht eine freie, liberale Atmosphäre, die der Geistlichkeit und Obrigkeit ein Dorn im Auge ist. Bei einem Besuch der Kneipe verfällt der Prinz Nikita, lokaler Machthaber ihrer Persönlichkeit und löst so das Drama um ihre Person aus.
Iain McNeil verfügt über einen warm timbrierten Bariton, der sich bestens mit Grigorians Stimmfarben verbindet. Sein Sohn, Prinz Yuri, der Kuma schließlich ungewollt ins Verderben stürzt, wird von Alexander Mikhailov mit heldischem, ein wenig sprödem Tenor glaubwürdig verkörpert.
Die Gegenspielerin Kumas, die eifersüchtige Prinzessin Yevpraksiya findet in Claudia Mahnke eine perfekte Darstellerin, die mit ihrem satten Mezzosopran ein optimales Gegengewicht zum schlanken Sopran Grigorians bildet. Düster und bösartig wird der intrigante Geistliche Mamyrov von Frederic Jost verkörpert. Der junge russische Dirigent Valentin Uryupin bringt für Tchaikovskys Musik einschlägige Erfahrung mit und befördert den musikalischen Fluss mit Stilsicherheit. Das Frankfurter Opern-und Museumsorchester zeigt unter seinem Dirigat erneut seine Vielseitigkeit.
Das Ärgernis der Aufführung ist einmal mehr das Regieteam.
Vasily Barkhatov, privat der Ehemann Asmik Grigorians, kann mit kluger Personenführung punkten, was den komplizierten Abläufen der Handlung zugute kommt. Leider ließ er sich von Christian Schmidt Bühnenbilder bauen, die zwischen undefinierten grauen Räumen und spießiger Bürgerlichkeit wechseln.
Die Kostüme von Kirsten Dephoff scheinen direkt aus einer Altkleidersammlung zu stammen, geschmacklich hätten sie höchstens auf dem Kaufhaus-Wühltisch eine Chance. Dadurch verspielt Barkhatov das Kapital seiner guten Personenführung, die Aufführung findet optisch in schwer erträglicher Tristesse statt.
Wieder einmal erlebt man die bewusste Banalisierung eines Stoffes, die arme Asmik Grigorian muss über weite Strecken halbnackt in einer Hemdbluse agieren, die Fürstin trägt ein fades Schneiderkostüm. Das Kneipenpublikum (Achtung! Diversität ist angesagt) changiert zwischen abgerissener Sportkleidung und Travestiekostümen, optisch muss man es eindeutig dem Prekariat zuordnen. So vergeudet der Regisseur sein nicht zu übersehendes Talent, und huldigt erbarmungslos dem wenig erfreulichen Zeitgeist. Schade!
Peter Sommeregger, 12. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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