Blu-ray-Rezension:
Das große Ärgernis dieses Ringes ist Stefan Herheims in Teilen indiskutable Inszenierung. Es würde jeden Rahmen sprengen, hier sämtliche Fremdschäm-Momente aufzuzählen. Der Regisseur scheint selbst gemerkt zu haben, dass ihm ein Gesamtkonzept für dieses Mammutwerk fehlt, also versucht er, mit immer neuen unsinnigen Details zu verwirren.
Richard Wagner
Der Ring des Nibelungen
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Sir Donald Runnicles, Dirigent
Stefan Herheim, Inszenierung
Naxos NBDO 157V Das Rheingold
NBDO 158V Die Walküre
NBDO 159V Siegfried
NBDO 160V Götterdämmerung
von Peter Sommeregger
Nun ist die Ring-Neuinszenierung Stefan Herheims an der Deutschen Oper Berlin auch auf DVD und Blu-ray erhältlich. Die jeweiligen Premieren waren bedingt durch die Corona-Pandemie in veränderter Reihenfolge und nur unter Schwierigkeiten über die Bühne an der Bismarckstraße gegangen. Die Aufzeichnung ermöglicht es nun, Herheims Ring-Deutung in chronologischer Abfolge und leicht veränderter Besetzung zu beurteilen.
Herheim, der auch sein eigener Bühnenbildner ist, hat seinen internationalen Ruf nicht zuletzt mit der Bildmächtigkeit seiner Inszenierungen begründet. Seine Illustration von Wagners Ring fällt aber bereits im Ansatz eher enttäuschend aus. Diese große Erzählung braucht auch optische Leitlinien, die sich als roter Faden durch das Gesamtwerk ziehen. Jene, zu denen der Regisseur hier greift, sind aber eklatante Fehlgriffe.
Schon in der ersten Szene des „Rheingold“ führt Herheim zwei optische Metaphern ein, die bis zum Ende der „Götterdämmerung“ stets wiederkehren: eine stumm agierende Gruppe von ärmlich gekleideten Menschen, die wohl Migranten darstellen sollen, die Koffer mit sich tragen. Aber auch im anfangs sehr kargen Bühnenbild sind an allen möglichen Stellen Stapel von Reisekoffern verbaut. Herheim erklärt dies damit, dass sich im gesamten Ring permanent jemand auf der Flucht oder einer Reise befände. Über diese Schiene das heute brandaktuelle Thema Migration in den Ring zu schleusen, geht aber am Stück vorbei und befrachtet es zusätzlich mit Ballast.
Ärgerlicherweise kann Herheim es auch nicht lassen, die handelnden Personen, aber auch die – ohnehin störenden –Komparsen sich immer wieder ihrer Oberbekleidung zu entledigen und Vorbereitungen zur Kopulation zu treffen, unter dem Motto „Let’s get physical!“ Diesen Trend der aktuellen Musiktheater-Regie meinte man bereits überwunden, aber Herheim erspart uns die Feinripp-Schau nicht.
Origineller ist ein zentraler Konzertflügel auf der Bühne, sowie der Klavierauszug des gerade gespielten Werkes, in dem die Protagonisten lesen. Das Innere des Flügels dient auch als geschickt getarnter Lift für Auf- und Abtritte einzelner Sänger. Aber auch gute Ideen verpuffen bei zu häufiger Wiederholung.
Derek Welton als jugendlicher Wotan hinterlässt einen frischen, unverbrauchten Eindruck. Der Loge von Thomas Blondelle ist in Gesang und Spiel ein wahres Irrlicht, bestens geeignet für diese vielschichtige Partie. Auch der Rest der „Rheingold“-Besetzung stammt größtenteils aus dem hauseigenen Ensemble.
Irritierend ist der 1. Akt „Walküre“ angelegt. In Hundings Hütte, die komplett aus Reisekoffern besteht, lebt auch ein Sohn Sieglindes und Hundings, eine höchst störende Erfindung Herheims. Viel zu spät, erst am Ende des Aktes tötet die Mutter ihn, was ebenso rätselhaft bleibt, wie seine Existenz per se.
Zu Beginn des zweiten Aktes tritt Wotan in Feinripp, die aus dem Flügel hoch gefahrene Brünnhilde dagegen in traditioneller Kleidung auf. Flügelhelm, Kettenhemd, und was Walküren eben so tragen. Auch die intimen Zwiegespräche der beiden werden von den nervigen stummen Migranten begleitet. Der Walkürenritt wird als alberner Mädelsabend inszeniert, bei dem die gefallenen Helden auf einmal über die Wunschmaiden herfallen und mit ihnen kopulieren. Am Ende steht das rätselhafte Bild einer gebärenden Sieglinde, deren Geburtshelfer in der Maske Richard Wagners den neu geborenen Siegfried mit sich nimmt.
Als Sieglinde macht die Neuentdeckung Elisabeth Teige stimmlich wie darstellerisch Furore. Ihr Siegmund ist mit Brandon Jovanovich gut, aber nicht herausragend besetzt. Iain Paterson gibt dem gereiften Wotan stimmliche Statur, und Nina Stemmes Brünnhilde leuchtet noch einmal im Abendrot ihrer letzten Auftritte in dieser Partie.
Im „Siegfried“, dem dritten Abend, übernimmt Herheim bedauerlicherweise einige Details, auf die man lieber verzichtet hätte. Wieder wird der Konzertflügel bemüht, wieder darf man viel Unterwäsche bestaunen. Paterson und Stemme wiederholen ihre souveränen Leistungen aus der „Walküre“. Den Waldvogel vertraut man einem Sängerknaben statt einem Koloratursopran an, was einfach nicht gut klingt. Als jener dann auch noch in Feinripp auftritt, wird es endgültig peinlich. Aus dem Hut gezaubert wurde ein ganz neuer Siegfried-Sänger, der Amerikaner Clay Hilley, der nicht nur die ihm verordnete Unterwäsche üppig ausfüllt, sondern mit ebensolchen stimmlichen Mitteln punkten kann. Das Schlussbild stören wieder die absurd eingesetzten Statisten.
Die finale „Götterdämmerung“ ist schon durch ihre Dauer von 5 Stunden eine Herausforderung für jeden Sänger. Nina Stemme ist ihr noch, der Newcomer Clay Hilley bereits gewachsen. Albert Pesendorfer ist ein markanter, stimmstarker Hagen, den stärksten Eindruck hinterlässt Okka von der Damerau in der Episodenrolle der Waltraute. Großartig der verstärkte Chor der Deutschen Oper.
Chefdirigent Donald Runnicles neigt leider in allen vier Teilen des Ringes zu etwas schleppenden Tempi, auch Unsauberkeiten im Orchester machen sich immer wieder störend bemerkbar. Im Gesamteindruck aber letzten Endes doch eine zumindest solide Interpretation.
Das große Ärgernis dieses Ringes ist Stefan Herheims in Teilen indiskutable Inszenierung. Es würde jeden Rahmen sprengen, hier sämtliche Fremdschäm-Momente aufzuzählen. Der Regisseur scheint selbst gemerkt zu haben, dass ihm ein Gesamtkonzept für dieses Mammutwerk fehlt, also versucht er, mit immer neuen unsinnigen Details zu verwirren.
Wie unbedarft Herheims Inszenierung ist, zeigt das Schlussbild: eine Putzfrau säubert mit dem Wischmob die leer geräumte Bühne. Würde sie doch nur die gesamte peinliche Inszenierung in den Abfall-Container befördern!
Als Nachfolge-Inszenierung für Götz Friedrichs zum Kult gewordene Version taugt sie nicht, aber als Momentaufnahme des heutigen Standards der Wagner-Interpretation kann diese Ring-Einspielung gut bestehen.
Peter Sommeregger, 13. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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