Dieses Weihnachtsoratorium verkündet große Freude an einem sonnig-frostigen Hamburger Dezembermorgen

Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium BWV 248, Kantaten 1-3, 6  Elbphilharmonie Hamburg, 11. Dezember 2022

Foto: Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor ©

Die Begeisterung des Publikums wollte sich schon nach dem Eröffnungschoral ausdrücken. Mit solch großartigen Gesängen werden selbst die überspieltesten aller Schlagerarien nie langweilig!

Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium BWV 248, Kantaten 1-3, 6

Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg
Dresdner Kapellsolisten

Julia Lezhneva, Sopran
Bettina Ranch, Alt
Benjamin Bruns, Tenor
Klaus Häger, Bass

Hansjörg Albrecht, Leitung und Cembalo

Elbphilharmonie Hamburg, 11. Dezember 2022

von Johannes Karl Fischer

„Ich steh an deiner Krippen hier“… ausnahmsweise mal a cappella: Der Komponist Johann Sebastian Bach hat eine Instrumentalbegleitung komponiert, Dirigent Hansjörg Albrecht hat sie wieder raus inszeniert. Kleine Geste mit großer Wirkung: Als stünden die Sängerinnen und Sänger des Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chors Hamburg im Stalle Bethlehems und würden den neugeborenen Herrscher des Himmels anbeten! Auch ein drei Noten starkes Oboen-Solo kann diesem ungebrochenen Klangzauber nichts in den Weg stellen.

Das Weihnachtsoratorium: Für mich und viele andere ein Obligatorium der festlichen Jahreszeit. Eine Qual, dass es in den USA (wo ich groß wurde) kaum gespielt wird. Dieses Jahr geht’s an einem sonnigen, aber frostigen Dezembermorgen in den Großen Saal der Elphi. Ein begeisterter Pauker läutet zwei jauchzend frohlockende Morgenstunden am dritten Advent ein – samt Trommelwirbel-Improvisation zum da capo. Der Chef am Cembalo jongliert Soli, Chor und Orchester, greift ganz nebenbei die Continuo-Begleitung in die Tasten. So wie zu Bachs Zeit eben.

Bach hätte den Chor deutlich spärlicher besetzt. Aber in dieser hochmodernen Akustik des 21. Jahrhunderts braucht es ein bärenstarkes Ensemble für bärenstarke Stimmung. Ein paar dutzend herausragende SängerInnen bringen die Kirche klanglich in die Weinbergarchitektur des Konzertsaals. Chöre erschallen, mit Pauken und Trompeten ehrt die barocke Vokalkunst den Herrscher des Himmels.

Die Sonne scheint in diesen Wochen nicht viele Stunden, dafür strahlt inmitten der Hafen City ein sonnenheller Sopran durch den vollgepackten Konzertsaal. Es stockt einem der Atem, wenn Julia Lezhneva seidensanfte Schalwellen durch die Luft schweben lässt. Diese Stimme dringt richtig tief ins Herz ein, fromme, verzaubernde Gesänge beseelen das Ohr. Hätte Bach nur geahnt, dass diese Sopranistin eines Tages seine meisterlichen Melodien singen würde, dann wäre die Rolle sicherlich etwas angemessener – heißt größer – dimensioniert…

Benjamin Bruns, der Tenor und somit Evangelist des Abends, ist eine Luxusbesetzung für diese Rolle. Völlig mühelos gelingt ihm die wohl anspruchsvollste Arie der Alten Musik: „Frohe Hirten“. Die Koloraturen so natürlich, als habe er gerade eine namenlose Freude erblickt und könne seine Begeisterung voller Eifer kaum loslassen.

Elbphilharmonie, © Maxim Schulz

Die Altistin Bettina Ranch überzeugte bereits in ihrer ersten Arie „Bereite Dich, Zion“ mit dramatischer Stimme und Sternsekunden im tiefsten Register. In ihrer zweiten Arie „Schlafe, mein Liebster“ konnte man vor dem akustischen Bild der mütterlichen Wärme nicht lange wie ein Säugling in ein kleines Mittagsschläfchen versinken: Das Orchester-Tutti ist noch nicht ganz verklungen, schon rüttelt ein komisch-dramatischer Einfall von Tenor und Continuo durch die Ränge. Das ist die hohe Kunst der Oratorium-Dramaturgie! Fehlt nur noch die Regie, dann wäre der Schritt zur Bach’schen Oper komplettiert.

Großartig auch Klaus Häger, der alt-erfahrene Bach-Bass brillierte in den Schlager-Arien wie den Insider-Rezitativen. Mit so einem starken Klang-König wird selbst die feierliche, aber leicht überspielte Lobesarie des großen Herren nie langweilig!

Für dieses Weihnachtsoratorium möchte man sich schon jetzt für die nächsten zehn Jahre seine Plätze sichern. Die Begeisterung des Publikums wollte sich bereits nach dem Eröffnungschoral ausdrücken. Naja, die Leute haben’s gerafft, alle anderen Kantaten konnten störungsfrei und ohne Unterbrechung erklingen. Ein Jammer, dass dieses Konzert nur einmal und an einem Ort zu hören war!

„Ich verkündige euch große Freude“ ist in mein Ohr gesegelt. Jetzt ist Weihnachten!

Johannes Karl Fischer, 12. Dezember 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Bremer Philharmoniker, Hansjörg Albrecht Laeiszhalle Hamburg, 19. November 2022

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