Kecker und lebendiger als Katharina Konradi kann man nicht spielen!

 

Carl Maria von Weber, Der Freischütz
Staatsoper Hamburg, 13. Oktober 2017 (letzte Aufführung!)
Christoph Gedschold, Dirigent
Eberhard Friedrich, Chorleitung
Daniel Behle, Max
Iulia Maria Dan, Agathe
Katharina Konradi, Ännchen
Vladimir Baykov, Caspar
Michael Eder, Kuno
Kartal Karagedik, Ottokar
Otto Katzameier, Samiel
Tigran Martirossoan, Ein Eremit

von Sebastian Koik

Die Ouvertüre des Freischütz ist ganz wunderbare Musik! Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg wächst über sich hinaus und präsentiert sie mit herrlichem Schwung und Überzeugungkraft. Auch sonst gibt es einige sehr interessante musikalische Elemente, die Richard Wagner stark inspirierten.

Carl Maria von Webers Musik war es, die im jungen Richard Wagner die Neigung zur Musik überhaupt aufkommen ließ und von dem er nicht nur musikalische, sondern auch dramatische Stil- und Formmerkmale übernahm und weiterentwickelte.

Und ganz speziell die Ouvertüre des Freischütz hatte es dem jungen Wagner angetan. Schon als Sechsjähriger zog sie ihn magisch an, und um sie selbst immer wieder hören zu können brachte er sich selbst das Klavierspiel bei.

Und nicht nur formal fusste Wagner auf von Weber: Vor allem, was das Verständnis des Wesens und Ursprungs der Musik selbst angeht, was diese leisten könne und zu leisten habe, sollte Wagner neben denen Beethovens auf von Webers Spuren wandeln.

Der dunkle deutsche Wald wird bei Carl Maria von Weber zum Ort der Angst. Dieser Ort der Angst liegt in der Inszenierung von Peter Konwitschny ganz unten. Die Wolfsschlucht, der Ort des Grauens, befindet sich in der untersten Etage. Im Keller, im Unterbewusstsein, sind die Dinge weggepackt, die uns ängstigen.

Niemand traut sich in diesen Keller, in die Abgründe des eigenen Bewusstseins, der eigenen Seele. Keiner aus dem Bühnenvolk geht in die Wolfsschlucht. Nur die ganz Verzweifelten müssen es in Erwägung ziehen. Der brave Jägerbursche Max droht alles zu verlieren: Liebe, Ansehen und Stellung. Und so begibt er sich in eine dämonische Welt.

Die Musikkultur des 19. Jahrhunderts und besonders das Opernwesen lebte vom Nebeneinander nationaler Stile. Damals war Nationalismus ein positiv aufgefasstes gesellschaftliches Phänomen. Man sprach von Vertretern der „italienischen“, „deutschen“ und „französischen“ Schule. Die deutschen Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts mussten sich zwischen dem italienischen und französischen Stil entscheiden. Dabei wurden in Deutschland vor allem italienische Opern gespielt. Das erste Mal, dass man im Bereich der Oper von einem europäischen Durchbruch eines deutschen Stils sprechen kann, ist der Freischütz Carl Maria von Webers.

Titelfigur ist ein Antiheld. Ein verzweifelter und gebrochener Mann. Burkhard Fritz gab in den bisherigen Vorstellungen dieser letzten Aufführungsreihe einen ganz famosen Max. Er sang mit kräftiger, voller, klangschöner Stimme. Die Versagensängste seiner Figur verkörperte er absolut sensationell. Selten zuvor sah man eine körperlich imposante Gestalt, die sich derart in Selbstzweifel auflöste.

Für diese allerletzte Aufführung war er ursprünglich ebenfalls vorgesehen, fiel dann aber sehr kurzfristig krankheitsbedingt aus. Am Veranstaltungstag wurde deshalb der Ersatz-Max Daniel Behle eingeflogen, der im Sommer auch in Bayreuth begeisterte: Als Froh im Rheingold und David in den Meistersingern von Nürnberg.

Richard Wagner, Das Rheingold, 08.08.2017, Bayreuther Festspiele

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
, 31.07.2017, Klaus Florian Vogt, Michael Volle, Martin Kränzle, Günther Groissböck, Daniel Behle, Anne Schwanewilms, Wiebke Lehmkuhl, Bayreuther Festspiele

Hier gelang der Staatsoper Hamburg eine wirklich schöne Vertretungslösung! Der Einspringer macht seine Sache großartig. Seine Stimme ist sehr klangschön, auch dicht. Behle ist ein sehr feinfühliger und ausdrucksstarker Sänger. Leider mangelt es ihm – zumindest an diesem Abend – an Stimmkraft. Sein Gesang gerät etwas zu schwach, zu leise und leicht eng. Seine Stimme wirkt bei aller Schönheit und Eleganz ein wenig zu klein für das große Hamburger Opernhaus. Dass er den Text nicht immer korrekt drauf hat, ist bei diesem feinen Einspringer dagegen vollkommen verschmerzbar und fällt nur mitlesenden Zuschauern auf.

Iulia Maria Dan spielt Agathe, Maxens Liebe. Sie hat ein wenig mit den gesprochenen Stellen im Freischütz zu kämpfen. Ihr Deutsch klingt recht holprig und dadurch unnatürlich, so dass man Schwierigkeiten hat, ihr die Figur so ganz abzunehmen. Im Gesang ist das deutlich besser, auch wenn der meist recht eng und gedeckelt, gepresst und angestrengt wirkt. In den wenigen sehr hohen Höhen ist sie etwas schrilll und ein paar Mal trifft sie manche Töne nicht genau.

Katharina Konradi als Agathes Cousine Ännchen ist eine Sensation! Kecker und lebendiger als Konradi kann man diese Rolle nicht spielen! Das ist unendlich herzerfrischend und bezaubernd! Sie hat eine sehr starke Ausstrahlung und gewaltiges komödiantisches Talent!! Und Katharina Konradi kann ganz wunderbar singen!! Ihre Stimme ist klar und hell strahlend. Sie überzeugt in jeder Tonlage und Stimmung – und im Gegensatz zu der Stimme ihrer Cousine Agathe ist die ihre offen und weit. Es ist eine Freude, ihr beim Singen und Spielen zuzusehen und es wäre schön, wenn das in Zukunft öfter in Hamburg passieren könnte. Sie ist Mitglied im Ensemble des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden. Man sollte sie fragen, ob sie nicht vielleicht zum Hamburger Ensemble wechseln möchte.

Vladimir Baykov spielt den Caspar. Und das, was schon über die Agathe gesagt wurde, gilt noch sehr viel mehr für den Russen Baykov: In den gesprochenen Passagen holpert und poltert er durch den Text, dass es eine Qual ist. Man versteht ihn praktisch überhaupt nicht und man nimmt ihm die Figur überhaupt nicht ab. In der ersten Vorstellung dieser letzten Freischütz-Reihe war ihm seine Aufgeregtheit vor den ersten Sprecheinsätzen sehr deutlich anzusehen. Die Aufgeregtheit hat sich bis zum fünften und letzten Mal abgebaut –   besser ist sein Textvortrag allerdings nicht geworden. Sein Gesang ist deutlich besser zu verstehen als sein Sprechen, aber dennoch schlecht verständlich. Es holpert allerdings nicht und seine Stimme ist recht groß und weit, schön und sonor. Für einen Freischütz ist er allerdings definitiv eine Fehlbesetzung.

Michael Eder als Erbförster Cuno dagegen wäre auch ein ganz vorzüglicher Theaterschauspieler. Er verkörpert seine Rolle ganz wunderbar und ist ein brillanter und extrem textverständlicher Sprecher. Den Bass seiner Rolle singt er schön mit Wärme und Präzision.

Die Lieder, die die Brautjungfern singen, wurden bei Erscheinen im Jahre 1821 in ganz Deutschland auf den Straßen gesungen. Es waren Gassenhauer. Für den anspruchsvollen Opern- und Klassikfreund von heute sind diese einfachen Lieder nicht allzu reizvoll. Wenn diese dann auch noch äußerst unerquicklich von den Brautjungfern gesungen werden, dann gehört das definitiv zu den schwächsten Minuten der Oper.

Der Chor überzeugt und wird unter der Leitung von Eberhard Friedrich mehr und mehr zum Herzstück des Hamburger Opernhauses!

Sebastian Koik, 15. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

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