Fotos: © Johan Persson
Carmen la Cubana, kubanisches Musical,
Deutsches Theater, München, 17. Oktober 2018
Luna Manzanares Nardo, Carmen
Saeed Mohamed Valdés, José
Albita Rodríguez, La Señora
Leonid Simeón Baró, Moreno
Joaquín García Mejías, El Niño
Cristina Rodríguez Pino, Marilú
Rachel Pastor Pérez, Paquita
Laritza Pulido García, Cuqui
Jorge Enrique Caballero, Rico
Maikel Lirio Bravo, Tato
von Shari Berner
George Bizets Oper »Carmen« als kubanisches Musical? So mancher Opernfan mag sich naserümpfend abwenden. Und verpasst damit einen einzigartigen Abend im Deutschen Theater in München mit einem tollen Ensemble, packenden Rhythmen und einer großartigen szenischen Darstellung.
Der Franzose Prosper Mérimée schuf 1845 die Geschichte um Liebe, Treue und Eifersucht. 1875 hatte Bizets Oper Premiere. Es folgte 1943 Oscar Hammersteins »Carmen Jones« am Broadway, wobei die Protagonistin hier eine Afroamerikanerin ist. Der Regisseur Christopher Renshaw verlegt Bizets Oper nun nach Kuba. Zusammen mit dem Arrangeur Alex Lacamoire entstand innerhalb von drei Jahren eine kurzweilige Abfolge dichter Szenen und ein einzigartiger Sound. Melodien und Phrasen aus der Oper eingeflochten in karibische Musiktraditionen.
Man hat kaum Zeit, die riesige kubanische Flagge, die den Großteil der Bühne bedeckt wahrzunehmen, da wird man schon mitten hinein gerissen in diese Welt am Vorabend der kubanischen Revolution. Wirbelnde Trommelrhythmen und heiße Tanzeinlagen zum Auftakt. Carmen langweilt sich im ländlichen Südosten Kubas, wo sie in einer Zigarrenfabrik arbeitet. Ihre Begegnung mit dem jungen Soldaten José ist der Beginn der fatalen Liebesgeschichte, die beide in den Wirren der Revolution bis nach Havanna führt. Mit dabei sind ihre Freundinnen Paquita und Cuqui, sowie deren Freunde Rico und Tato. Die beiden Herren sind die Manager des berühmten Boxers El Niño, mit dem Carmen zu Josés Entsetzen anbändelt. Dann ist da noch Moreno, Josés Vorgesetzter, der den Deserteur sucht und selbst ein Auge auf Carmen geworfen hat.
Neu eingeführt ist die Rolle der Señora. Sie ist Josés Mutter, Straßenverkäuferin, Wahrsagerin, Sängerin und Moderatorin zugleich. Oft präsent auf der Bühne und hochkarätig besetzt. Albita Rodríguez übertrifft mit ihrer Darstellung beinahe noch die Hauptdarstellerin selbst. Kein Wunder bei einer Künstlerin, die für ihre Arbeit als Komponistin und Entertainerin bereits vierzehnmal für den Grammy Award nominiert war.
Luna Manzanares Nardo als Carmen brilliert natürlich besonders in den tiefen Lagen, das ist Gänsehaut pur. Mit ihrem rauchigen, dunklen Timbre ist Luna die Rolle wie auf den Leib geschrieben. Ihr stärkster Moment ist die Szene, in der Carmen in den Karten ihren eigenen Tod voraussagt. Das Publikum hängt an ihren Lippen, bestürzt und berührt von der Furchtlosigkeit, mit welcher Carmen davon singt, sich auch im Tode selbst treu zu bleiben.
Als Paquita und Cuqui gemeinsam mit Tato und Rico versuchen, Carmen zu überreden, mit ihnen nach Havanna zu reisen, markiert das den Höhepunkt der ersten Hälfte. Das fünfköpfige Ensemble harmoniert perfekt. Ein besonderer Genuss ist die Verbindung zwischen den drei Frauen. Ihre Stimmen vereinen sich zu einem einzigartigen Trio, aus dem doch jede für sich hörbar heraussticht. Insgesamt sind die Ensembleszenen die Stärke dieses Werks. Emotional, wild, chaotisch, witzig, heiß, zu Tanz, Gesang und Gelächter und den stetigen Trommeln, sind sie höchste Freude für Auge und Ohr.
Blass dagegen bleibt der Eindruck Marilús, gesungen von Cristina Rodríguez Pino. Die Unschuld vom Lande, die im Auftrag von Josés Mutter den Sohn wieder nach Hause bringen soll, hat es immer schwer gegen die heißblütige Carmen zu bestehen, auch musikalisch. Hier jedoch geht sie völlig unter, was nicht am Arrangement liegt. In ihrem Duett mit José fehlt die Chemie zwischen den beiden völlig. Cristinas Stimme scheint schwach und permanent belegt zu sein. Die Töne klingen wenig, das Gefühl bleibt auf der Strecke, und so gerät Marilús große Szene, in der sie sich selbst Mut macht, um ihre Liebe zu kämpfen, zum langatmigsten Moment des Abends.
Saeed Mohamed Valdés bietet einen lyrischen José, der sich damit von allen anderen männlichen Rollen abgrenzt. Als er die Musicalversion von „La fleur que tu m’avais jetée“ singt, blüht er stimmlich auf. Sanft und einfühlsam, weich und schmeichelnd besticht er durch sein wundervoll natürliches Vibrato und seinen ganz eigenen Klang.
Eine weitere Sängerin ist besonders erwähnenswert. Cuqui, die naive aber unbeschwerte Freundin Carmens, gesungen von der bezaubernden Laritza Pulido García. Ihre hohen Lagen sind so klar und gleichzeitig voll, dass es dem Publikum den Atem raubt. Schwungvoll und kokett erobert sie mit ihrer Stimme den ganzen Raum.
Ein kleiner Minuspunkt sind die deutschen Übertitel. Teilweise stimmt die Übersetzung einfach nicht und grammatische Fehler fallen ins Auge. Störender allerdings sind sowohl die zeitliche Verzögerung, mit der neuer Text eingeblendet wird, als auch die Tatsache, dass eine Fülle an spanischen Phrasen oft nur als kurzer deutscher Satz übersetzt wird. Das macht das Verständnis zwar nicht unmöglich, aber schwieriger. Man tut besser daran, die Übertitel nicht zu beachten.
Alles in allem aber ist es ein gelungener Abend. Als Kenner der Oper hat man eine Freude daran, musikalische Wendungen in dem kubanischen Stil wieder zu erkennen. Situationskomik und Wortwitz durchziehen die Inszenierung und tragen zum gesunden Gleichgewicht zwischen Pathos und Alltag bei. Lässt man sich auf das Musical ein, und das muss man, um es zu genießen, ist es schwer, sich bei den ansteckenden Rhythmen auf dem Sitz zu halten.
Shari Berner, 19. Oktober 2018
für klassik-begeistert.de