Das Bundesjugendballett tanzt sich die Seele aus dem Leib

Was für ein Unterschied zur letzten Ballett-Premiere in der Hamburgischen Staatsoper. Während dort in Christopher Wheeldons Wintermärchen mehr oder weniger sinnentleert gehoben, gedreht und gesprungen wurde, gelang Neumeier mit seiner Choreographie der Unsichtbaren eine nachhaltige und psychologisch-emotional beeindruckende tänzerische Interpretation der schwierigen Thematik um Schuld und Vergebung.

Die auftretenden Tänzerinnen und Tänzer: Lormaigne Bockmühl, Justine Cramer, Mirabelle Seymour, Anna Zavalloni, Pepijn Gelderman, Lennard Giesenberg, Thomas Krähenbühl, João Vitor Santana (alle Bundesjugendballett); Raymond Hilbert (Ballettmeister Bundesjugendballett), Ida Stempelmann (Ensemble Hamburg Ballett), Giuseppe Conte (Ballettschule Hamburg Ballett) (Fotos: Internetauftritt Bundesjugendballett; Hamburgische Staatsoper; Programmheft)

Ernst Deutsch Theater, Hamburg, 22. Juni 2022

John Neumeier: Die Unsichtbaren, eine Tanz-Collage

Dr. Ralf Wegner 

Was für ein Unterschied zur letzten Ballett-Premiere in der Hamburgischen Staatsoper. Während dort in Christopher Wheeldons Wintermärchen mehr oder weniger sinnentleert gehoben, gedreht und gesprungen wurde, gelang Neumeier mit seiner Choreographie der Unsichtbaren eine nachhaltige und psychologisch-emotional beeindruckende tänzerische Interpretation der schwierigen Thematik um Schuld und Vergebung.

Bei dem Stück Die Unsichtbaren handelt es sich um ein episodenhaft aufgebautes Bühnenwerk zur Situation des Ausdruckstanzes in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland; Neumeier nennt es Tanz-Collage. Der Text entwickelt sich entlang des Lebens der Tänzerin und Tanzlehrerin Mary Wigman, wunderbar gespielt und gesprochen von Isabella Vértes-Schütter. Immer wieder tauchen Namen anderer, vormals bekannter und berühmter Tänzerinnen und Tänzer mit entsprechenden Tanzszenen auf wie Rudolf von Laban (Lennard Giesenberg), Gret Palucca, die von Ida Stempelmann mit wehendem weißen Gewand grandios getanzt wurde (Choreographie: Raymund Hilbert), Alexander von Swaine (Giuseppe Conte und Pepijn Gelderman) oder Harald Kreutzberg (Choreographie und Tanz Raymond Hilbert).

Einerseits geht es Neumeier mittels sogenannten Stil-Impressionen, wie er es nennt, um Erinnerung an vormalige Größen des Tanzes, andererseits setzt er sich mit der Frage auseinander, wie hätte man sich selbst in einem vergleichbaren System verhalten. Nach der Pause wird in einer Anklage- und Verteidigungsrede über Mary Wigman zu Gericht gesessen (Text Ralf Stabel). Sie war weder Parteimitglied, noch hat sie offenbar jemandem geschadet; vorgehalten wird ihr, dass sie nicht wie andere emigrierte, sondern weiter in Deutschland blieb. Die Frage blieb im Raum, ob wir von heutigen Künstlern erwarten dürfen, dass sie sich derzeit gegen ihr kriegstreiberisches Regime stellen und die daraus folgenden Konsequenzen tragen? Oder, haben wir etwas dagegen getan, dass der Tänzer Alexander von Swaine bis weit in unsere Zeit hinein als vorbestraft galt, weil er in den 1930er Jahren wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen ins Gefängnis kam? „John Neumeier: Die Unsichtbaren, eine Tanz-Collage
Ernst Deutsch Theater, Hamburg, 22. Juni 2022“
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