Die Cavalleria langweilt, der Pagliacci reißt mit, Jonas Kaufmann überzeugt

Cavalleria rusticana / Pagliacci, Jonas Kaufmann Nationaltheater, München, 22. Mai 2025 PREMIERE

Foto: Cavalleria rusticana – Pagliacci J.Kaufmann (c) Geoffroy Schied

Stimmlich überzeugen die Sängerinnen und Sänger in beiden Stücken. Doch die Cavalleria Rusticana finde ich insgesamt zu schlicht und langweilig. Im Pagliacci packt mich das Zusammen-Spiel von Graben und Bühne. Intensiv und wirkmächtig schießt mir an diesem Abend der Pagliacci in Herz, Bauch und Hirn.

Cavalleria rusticana (1890)
Melodramma in einem Akt
Komposition Pietro Mascagni (1863–1945)

Text von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci
nach der gleichnamigen Erzählung und dem gleichnamigen Drama von Giovanni Verga

Pagliacci (Der Bajazzo) (1892)
Drama in einem Prolog und zwei Akten
Komposition und Text Ruggero Leoncavallo (1857-1919)

Musikalische Leitung Daniele Rustioni

Inszenierung Francesco Micheli
Bühne Edoardo Sanchi
Kostüme Daniela Cernigliaro
Choreographie Mattia Agatiello
Licht Alessandro Carletti

Chor Christoph Heil
Kinderchor Kamila Akhmedjanova

Dramaturgie Alberto Mattioli, Malte Krasting

Nationaltheater, München, 22. Mai 2025 PREMIERE

von Frank Heublein

An diesem Abend wird die Premiere einer Neuinszenierung der wohl berühmtesten Kombination zweier Kurzopern, Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci im Nationaltheater in München aufgeführt. Das Regieteam um Francesco Micheli denkt Pagliacci als Fortsetzung der Cavalleria rusticana. So steht es im Programmbuch. Inszenierte Elemente einer Verbindung sehe ich wohl, allein fehlt mir eine emotional nachvollziehbare.

Was daran liegen mag, dass ich zwei Stücke sehe und höre, die ich sowohl in der Qualität im Graben als auch inszenatortisch sehr gegensätzlich bewerte. Mascagnis Cavalleria rusticana bleibt inszenatorisch hölzern. Auch das Orchester der Bayerischen Staatsoper verleiht dem Drama keine musikalische Farbe. Das Intermezzo dieser Oper bietet dazu größte Chancen. Auch in diesem Stück, fehlen mir unterschiedliche Klangfarben und das einhergehende musikalische Ausloten der Dramatik, werde ich emotional nicht abgeholt. Das Orchester plätschert vor sich hin. Der Klang bleibt für mich fahl emotionslos.

Das Foto schafft mehr Atmosphäre als es die Inszenierung in mir vermocht hätte Cavalleria rusticana Pagliacci 2025, W.Koch, A.Perez (c) Geoffroy Schied

Wie fürchterlich banal, eindimensional, ohne jede psychologische Entwicklung der Figuren das Libretto die Geschichte entwirft. Turiddu und Lola lieben sich. Er geht fort. Sie heiratet Alfio. Turiddu kommt zurück. Tröstet sich mit Santuzza. Es funkt erneut zwischen Turiddu und Lola. Turiddu fordert bayerisch gesagt ziemlich deppert Lolas Mann Alfio zum Duell. Danach bittet er noch schnell seine Mutter, die von ihm geschwängerte Santuzza zu unterstützen.

Cavalleria rusticana – Pagliacci 2025, W.Koch, A.Perez (c) Geoffroy Schied

Heul doch Turiddu! Du bist so ein unempathischer Idiot! Doch dem Regieteam fällt dazu wenig ein. So liegt es allein an den Gesangspartien, alle Dramatik zu entwickeln. Sie meistern diese Aufgabe so gut es eben geht. Denn: eine Beziehung der Stimmen zum Graben vermag ich nicht zu erspüren. Sopran Yulia Matochkina als Santuzza und Tenor Ivan Gyngazov als Turiddu singen ihre Gefühle gut, nachvollziehbar, nicht manieriert. Sie klar und kampfeslustig. Er hoch dramatisch. Doch wie gesagt, warum er dieses Drama verursacht, wird mir in dieser Inszenierung nicht vermittelt. Baritons Wolfgang Koch als Aflio singt entschlossen, scharf. Drei gute Stimmen mühen sich vergeblich, mich emotional entscheidend mitzunehmen in die Verstrickungen des gedanken- und kopflosen Turiddu.

Ganz anders Pagliacci. Das Libretto organisiert psychologische Wirkmacht! Canio alias Tenor Jonas Kaufmann gibt den eifersüchtigen Ehemann. Überzeugend! Die Aggression und Eifersucht sind vom ersten Ton klar erkennbar in Kaufmanns Singen. Ihm nehme ich in Spiel und Stimme den vor Eifersucht brennenden Mann ab.

Cavalleria rusticana -Pagliacci 2025, J.Kaufmann, A.Perez (c) Geoffroy Schied

Sopran Ailyn Pérez als Nedda ist im Ausspielen von Männern bewandert. Gekonnt ins Singen integrierte Lachgluckser beweisen mir Ihre Um-die-Finger-wickel-Qualitäten. Tonio wird abgefertigt, Silvio ist der Mann, den sie wirklich will. Doch blöderweise! Ist der eifersüchtige Canio ihr Ehemann. Ailyn Pérez findet einen großartig suggestiven Ton. Kann Silvio hinhalten, versucht die Männerjonglage. Eine differenzierte technisch brillante Stimme voller Kraftreserven, die sie mit ihrem Spiel dazu brillant unterstützt. Mal leidenschaftlich, umschmeichelnd, hinhaltend. Sie hat all das drauf.

Wolfgang Koch singt den verschmähten, spionierenden und Nedda verratenen Tonio ebenso gut und wie seinen Alfio in der Cavalleria rusticana. Bariton Thomas Mole als leidenschaftlicher Liebender Silvio, der versucht Nedda abzuschleppen, überzeugt nicht nur Nedda im Duett, auch ich hänge an seiner kraftvollen Stimme, die mir glaubhaft seine tiefe Liebe zu Nedda zeigt.

Cavalleria rusticana – Pagliacci, Premierenapplaus (c) Geoffroy Schied

Alle Stimmen glänzen beim Pagliacci. Zugleich unterstützen Inszenierung und Orchester, alles verschmilzt zur fatalen Gefühlswelt, der ich gespannt folge. Im Pagliacci schafft Daniele Rustioni mit dem Bayerischen Staatsorchester, dass ich hineintauche in den abgründigen Gefühlsfluss. Eine Beziehung zwischen Graben und Bühne herzustellen.

Im Schlussapplaus untergemischte Buhs für das Dirigat, ein deutlich hörbares stärkenmäßig ein Drittel Buhs zu zwei Drittel Klatschen für das Regieteam. Für alle Stimmen umfänglich Applaus. Zu Recht! Stimmlich überzeugen die Sängerinnen und Sänger in beiden Stücken. Bei Cavalleria Rusticana steh ich auf der Seite der Opposition: das find ich insgesamt zu schlicht und langweilig. Beim Pagliacci steh ich auf der Seite der Beeindruckten: hier packt mich das Zusammen-Spiel von Graben und Bühne.

Intensiv schießt mir an diesem Abend der Pagliacci in Herz, Bauch und Hirn.

Frank Heublein, 23. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Cavalleria rusticana/Pagliacci Wiener Staatsoper, 22. Jänner 2025

Cavalleria rusticana/Pagliacci Wiener Staatsoper, 12. Januar 2025

Cavalleria rusticana/Pagliacci  Badisches Staatstheater Karlsruhe, 8. Dezember 2024

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