Sibelius spricht – Collon und Tetzlaff geben ihm eine Stimme

CD-Besprechung: Christian Tetzlaff, Violine/Nicholas Collon/Sibelius  klassik-begeistert.de, 6. Juni 2025

CD-Besprechung:

Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 5 in Es-Dur, op. 82

Serenade in D major, op. 69a
Serenade in G minor, op. 69b

Two Pieces, op. 77 (Two ‚Earnest Melodies‘) – Laetare anima mea und Devotion

Swanwhite Suite, op. 54

Christian Tetzlaff, Violine
Finnish Radio Symphony Orchestra
Nicholas Collon, musikalische Leitung

Ondine, ODE1468-2

von Dirk Schauß

Manchmal liegt der Zauber im Offensichtlichen. Jean Sibelius’ fünfte Sinfonie gehört fraglos zu den prominentesten Orchesterwerken des Finnen, doch auch abseits dieses monumentalen Klangbaus bietet das Repertoire des zweiten Sibelius-Albums von Nicholas Collon mit dem Finnischen Radio-Sinfonieorchester faszinierende Einblicke in das spätromantisch-moderne Schaffen eines Komponisten, der zwischen nationaler Identität und persönlicher Einkehr schwebt.
Veröffentlicht bei Ondine, umreißt die Aufnahme eine Schaffensperiode rund um den Ersten Weltkrieg – eine Zeit der Verwerfungen, in der Sibelius seine musikalische Sprache vertiefte, verdichtete, und stellenweise auch verklärte. Was Collon und seine Musiker hier entfalten, ist eine sinfonische Reise durch Landschaften seelischer Reflexion und symbolistischer Farbigkeit – mit Christian Tetzlaff als seelenvollem Weggefährten.

Den dramaturgischen Kulminationspunkt bildet erwartungsgemäß die fünfte Symphonie in Es-Dur, jenes gewaltige Werk, das in seinen drei Sätzen sowohl das nordische Licht als auch eine urwüchsige Naturgewalt evoziert. Collon nähert sich diesem Opus 82 mit jener Mischung aus Klarheit und poetischer Freiheit, die Sibelius’ Musik so unmittelbar erfahrbar macht. Die Streicher sind von beeindruckender Kohärenz, strukturieren den Klangraum mit subtilen Phrasierungsverläufen. Die Holzbläser treten immer wieder als emotionale Erzähler hervor, gestalten Übergänge mit inniger Farbigkeit – ein besonderes Glanzlicht sind die melancholisch glühenden Oboen im Andante mosso, dem Herzstück des Werkes. Die Paukenschläge im finalen Satz geben jener apotheotischen Schlussgeste – mit dem berühmten Schwanenmotiv – eine ungeheure Wucht, ohne ins Heroische zu kippen. Hier herrscht keine martialische Pose, sondern eine Art beseelter Ernst, der sich unmittelbar in Klang verwandelt.

Nach diesem sinfonischen Höhepunkt führen die beiden Serenaden op. 69a und 69b sowie die Two Pieces op. 77 in eine intimere Klangwelt – und mit Christian Tetzlaff betritt ein Geiger das Podium, der die Tonsprache von Sibelius auf tiefem Seelengrund verinnerlicht hat. Der Duktus seiner Violine ist innig, oft wie sprechend. Mit einem von innen leuchtenden Ton verleiht er den Serenaden ein melancholisches Glimmen – als würde man durch einen herbstlichen Birkenwald streifen, dem Rascheln des Laubes lauschend.

In der D-Dur-Serenade leuchtet seine Linie wie gefiltertes Sonnenlicht, während in der g-Moll-Serenade ein zarter Ernst dominiert, getragen vom dezenten, doch farbenreichen Orchesterspiel. Besonders bewegend geraten die Two Pieces op. 77: „Laetare anima mea“ ist ein leiser Gesang der Hoffnung, von Tetzlaff mit großem Atem und vibratoreichem Ausdruck geformt. „Devotion“ hingegen klingt wie ein Gebet, ein stilles Bekenntnis, getragen von jener religiösen Innigkeit, die Sibelius hier auf selten persönliche Weise offenbart. Tetzlaffs Spiel besitzt hier einen Sog, der über das rein Virtuose weit hinausgeht – es ist der Ausdruck eines tief empfundenen inneren Dialogs.

Den Abschluss bildet die selten zu hörende „Swanwhite-Suite“, die Sibelius 1908 als Schauspielmusik für August Strindbergs gleichnamiges Märchendrama komponierte und später zur siebenteiligen Suite op. 54 umgestaltete. In dieser Partitur zeigt sich der Finne als Meister der orchestralen Illustration: „The Peacock“ schillert in irisierenden Farben, „The Harp“ zieht mit zarter Ornamentik vorbei wie ein Schleier aus Licht. „The Maiden with the Roses“ klingt wie ein sentimentales Porträt, während „Listen, the Robin Sings“ und „The Prince Alone“ eher kontemplative Stimmungen zeichnen – leise, nach innen gewandt.

Eindrucksvoll gelingt „Swanwhite and the Prince“, ein zartes Duett aus Hoffnung und Abschied, das schließlich in das feierliche „Song of Praise“ mündet – eine Apotheose des Lichtes, getragen von mystischen Harmonien. Collon beweist hier erneut sein Gespür für Balance, Poesie und dramaturgische Stringenz. Die Interpretation ist detailreich, doch nie überfrachtet, durchhörbar und dennoch voll klanglicher Wärme.

Die Produktion von Ondine überzeugt mit vollmundiger, transparenter Klangarchitektur: Die Aufnahme ist weiträumig, doch fokussiert, bietet plastische Tiefe und detailreiche Präsenz – ein ideales Umfeld für Sibelius’ oft schichtreiche Orchestrierung. Nichts verschwimmt, nichts wirkt übersteuert – alles bleibt organisch.

Dieses Album ist weit mehr als eine bloße Fortsetzung: Es ist ein klingendes Panorama von Sibelius’ Ausdruckswelt in einer seiner künstlerisch fruchtbarsten Phasen.

Nicholas Collon entfaltet mit dem Finnischen Radio-Sinfonieorchester ein authentisches Klangbild von großer erzählerischer Kraft.

Christian Tetzlaff fügt sich nicht nur ein, sondern prägt mit seiner Violine seelenvolle Kontrapunkte.

So entsteht eine Aufnahme von berührender Tiefe, deren Spannweite vom sinfonischen Monument bis zur kammermusikalischen Gebetsform reicht – nordisch in der Farbe, universell im Ausdruck.

Dirk Schauß, 5. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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