Daniil Trifonov erzählt von Amerika

CD-Besprechung: Daniil Trifonov, Klavier, My American Story – North  klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024

CD-Besprechung:

My American Story – North ist eine spannende Reise durch die USA, mit Werken von Green/Tatum, Gershwin, Copland, Young/Evans, Adams, Corigliano, Grusin, Newman, Bates und Cage.

Daniil Trifonov, Klavier

Deutsche Grammophon, DG 486 5756

von Brian Cooper, Bonn

Wer Daniil Trifonov schon mal live mit Gershwins Klavierkonzert erlebt hat, freut sich sicher auf das Album My American Story – North, dessen Titel erahnen lässt, dass es auch eine Folge South geben wird. Zu Beginn dieses Monats erscheint zunächst die Doppel-CD mit Werken US-amerikanischer Komponisten.

Trifonov beweist mit diesem Album einmal mehr, dass er ein sehr breites Repertoire hat. Natürlich hört man ihn gern mit Rachmaninoff und Tschaikowski, aber er ist eben nicht nur in russischen Werken zuhause, sondern auch in jenen seiner Wahlheimat USA, wo er seit 2009 lebt.

Die beiden Hauptwerke des Albums sind die Klavierkonzerte von George Gershwin (1898-1937) und Mason Bates (Jahrgang 1977), beide mit dem Philadelphia Orchestra unter Yannick-Nézet-Séguin. Das blühend-sinnliche Bates-Konzert wurde 2022 uraufgeführt, diese Weltersteinspielung wurde hier festgehalten und hat es aufgrund der fesselnden Rhythmik und einer attraktiven Bandbreite an Klangfarben in sich. Ein fantastisches Stück, gut anzuhören.

Gershwins Konzert wird indes inzwischen glücklicherweise häufiger aufgeführt. Es ist ein hörenswertes Konzert, das eindeutig ein gewisses US-amerikanisches Idiom in sich birgt, da es stark im Jazz verhaftet ist und, wenn es so gut gespielt wird wie hier, einfach Laune macht.

Das Philadelphia Orchestra spielt mit Verve, Sinnlichkeit und einer Leichtigkeit, die das Spielerische des Pianisten beeindruckend ergänzt. Das Trompetensolo im langsamen Satz wird herrlich rauchig dargeboten, die Klarinetten unterlegen es mit einem dunklen Klangteppich, und insgesamt bereiten die Holzblasinstrumente dem Solisten ein perfektes Intro. Das Finale ist mitreißend.

Jede einzelne von Aaron Coplands Piano Variations trägt exakte Metronomangaben, und Trifonov erzählt hier fesselnd eine Geschichte, bei der man beim Hören nicht so sehr jede einzelne Variation einordnet, sondern das Werk als Ganzes zu begreifen versucht – und Lust bekommt, sich mehr mit Copland auseinanderzusetzen.

John Adams’ China Gates ist im Minimalismus verhaftet und wird von Trifonov als kurze Etüde dargeboten, die einen in ihrer ganzen stillen Zartheit in den Bann zieht.

Interessanter für Menschen, die schon alles kennen, ist sicher die zweite CD. Die enthält neben dem Bates-Konzert John Coriglianos Fantasia on an Ostinato, das schon Hélène Grimaud auf ihrem ebenfalls bei der Deutschen Grammophon erschienenen Album Credo eingespielt hatte. Trifonov lässt sich unwesentlich mehr Zeit für diese nachdenklich-meditative Musik, deren Thema, das Allegretto aus Beethovens 7. Sinfonie, variiert wird.

Dave Grusin, dessen superbes Arrangement von Bernsteins West Side Story einen Ehrenplatz in meiner Jazz-Abteilung hat, ist hier mit dem launigen Memphis Stomp aus dem Film Die Firma vertreten, und auch das ist eine Bereicherung fürs Album (trotz des nervigen Fadeout, wie man es aus der Popmusik kennt), wie auch Thomas Newmans Thema aus American Beauty, das es ohne Arvo Pärt vermutlich nie gegeben hätte.

Zwischen den längeren Werken gibt es einige kurze Stücke, darunter Art Tatums Arrangement von John W. Greens Lied I Cover the Waterfront, das Trifonov gern mal als Zugabe spielt, und auch Bill Evans’ meditativ anmutendes Arrangement von Victor Youngs When I Fall in Love.

Zum Ende gibt es noch das wegweisende Werk 4’33’ von John Cage. Hören Sie genau hin, keine Aufführung gleicht der anderen! Hier sind’s Menschengeräusche aus der New Yorker U-Bahn-Station am Columbus Circle, und der Künstler sitzt vermutlich nicht am Klavier, auch das ist Amerika…

Die Doppel-CD lohnt sich allein wegen des breiten Repertoires, das überzeugend von Trifonov dargeboten wird. Bei 53 bzw. 52 Minuten Spielzeit wäre natürlich auch ein Stück von Philip Glass oder Steve Reich drin gewesen, aber wir wollen uns mal nicht beklagen.

Dr. Brian Cooper, 5. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Daniil Trifonov, Klavier Jakub Hrůša, Dirigent Elbphilharmonie Hamburg, 13. Mai 2024

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom Daniil Trifonov, Klavier Jakub Hrůša, Dirigent Köln, Philharmonie, 15. Mai 2024

Zum 80. Todestag von George Gershwin

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