Schrei vor Glück!

CD-Besprechung: Huw Montague Rendall, Contemplation  klassik-begeistert.de, 5. März 2025

CD-Besprechung:

Das Debutalbum von Huw Montague Rendall begeistert vorbehaltlos

Huw Montague Rendall, Contemplation.
Opéra Orchestre Normandie Rouen, Benn Glassberg

CD erschienen 2024 bei Warner Classics, Art. Nr. 11906053

von Dr. Regina Ströbl

„Manche Menschen sind wirklich gesegnet, sie sind nicht nur schön und klug, sie können auch noch wunderbar singen“, hieß es zuhause immer bei besonderen Ausnahmetalenten. Und so ein Sänger ist Huw Montague Rendall. Cover und Booklet seines Debutalbums „Contemplation“ zeigen einen jungenhaften, fragilen, fast schon androgyn wirkenden Mann, in sich gekehrt, nachdenklich, melancholisch. (Achtung: Klischee!) Lyrischer Tenor, möchte man meinen, vielleicht sogar ein Countertenor, aber ein Bariton? Jawohl, und was für einer!

Kritiker und Publikum riss er hierzulande als Ambroise Thomas’ „Hamlet“ an der Komischen Oper Berlin zu Begeisterungsstürmen hin. Folglich beginnt sein Album mit einer Arie aus dieser zu selten aufgeführten Oper. Sie eröffnet einen bunten Reigen von Oper über Lied bis zum Musical. Zu viel, zu unterschiedlich, ohne Linie, könnte man bei der Auswahl denken. Warum macht der Mann das? Weil er es kann! Und weil diese Zusammenstellung das Ergebnis eines langen Denk- und Findungsprozesses ist, den der Sänger selbst im dreisprachigen Booklet erläutert.

Der Eindruck von den Bildern täuscht nicht. Hier stellt sich jemand die großen Fragen des Lebens und der Sterblichkeit, nach dem Warum der menschlichen Existenz und nach dem, was bleibt. „Kontemplation hat mir wie ein Spiegel einen Anblick in die vielfältige Art dieser Rätsel ermöglicht. Genau dieses Konzept war der Kompass bei der Musikauswahl für dieses Programm.“ Man kann sich darauf einlassen und die 17 Titel dieser Vorgabe entsprechend hören. Man kann aber auch ganz einfach die wundervolle Musik in einer herausragenden Interpretation genießen.

Da ist zunächst diese sofort einnehmende Stimme, schlank geführt und doch voller Kraft, sehr viril und mit einem Timbre, dass man, wenn nicht ganz wuschig, dann zumindest unmittelbar angesprochen wird. Die Höhen sind klar und erscheinen leicht erreicht, die Mittellage ist voll, geradezu cremig, die Tiefen sind profund und kräftig. In jeder Lage bleibt die Stimme, bei starken emotionalen Ausbrüchen ebenso bei zartestem pianissimo, stets nobel und elegant.

Dazu kommt eine so klare und deutliche Diktion in allen Sprachen (italienisch, englisch, französisch, deutsch), dass die im Booklet abgedruckten Texte im Grunde überflüssig sind. Dieses breite Fundament ermöglicht nun eine gestalterische Kraft und Vielfalt, die von Titel zu Titel immer wieder überrascht. „Ist das wirklich derselbe Sänger?“, fragt man sich, wenn Montague Rendall seine Stimme immer wieder verwandelt und neu färbt. Dieser Sänger hat nicht einfach Töne und Phonetik einer Arie oder eines Lieds gelernt, er hat den Text hinterfragt, verstanden, verinnerlicht.

Er weiß ganz genau, was er da singt und passt sein Werkzeug entsprechend an. Ob Hamlet-Monolog „J’ai pu frapper le misérable… Être ou ne pas être“, Don Giovannis Ständchen „Deh, vieni alla finestra“ oder Mahlers Rückert-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, immer trifft er die richtige Stimmung, die Farbe und den tiefen Sinn. Allein Mahlers „Ich hab’ ein glühend Messer“ aus den Liedern eines fahrenden Gesellen lohnt schon den Erwerb dieses Albums. Wenn echte Mahlerexperten mit Tränen in den Augen von der besten Interpretation seit mehr als 20 Jahren sprechen, kann man dem nur atemlos zustimmen. Was für eine Tragödie in gut drei Minuten, von der man sich erstmal erholen muss.

Zu den weiteren Komponisten gehören Gounod, Korngold, Britten, Duparc, Messager und Rodgers & Hammerstein. Dazu immer wieder Mozart und Mahler, ein hochemotionales Wechselspiel durch Zeiten und Gefühle. Und hier liegt auch der einzige Kritikpunkt an dieser CD. Die Pausen zwischen den einzelnen Tracks sind extrem kurz; Luftholen, runterkommen ist leider nicht möglich, außer man drückt sehr schnell die Pausentaste. Bei einer Gesamtspielzeit von 75,30 Minuten wären jeweils ein paar Sekunden mehr sicher kein Problem gewesen.

Begleitet wird Huw Montague Rendall vom Opéra Orchestre Normandie Rouen unter der Leitung von Ben Glassberg. Die Musiker tragen den Gesang, drängen sich nicht in den Vordergrund, sondern unterstützen ihn ebenso emotional, üppig und transparent. Bei den beiden Auszügen aus Mozarts Zauberflöte stehen dem Bariton zunächst drei Knaben, Oliver Barlow, Sam Jackman und Benjamin Gilbert, mit glasklaren Stimmen zur Seite. Das Duett „Pa-pa-ge-na, Pa-pa-ge-no“ gestaltet er mit der zauberhaft leuchtenden Elisabeth Boudreault.

Die Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem verschiedener Stile, Zeiten, Sprachen, durchzogen von den wesentlichen Fragen der Menschheit, ist eine großartige Visitenkarte dieses neuen Sterns am Baritonhimmel. Bitte mehr davon, bald! Ein schöner und kluger, denkender Sänger, gesegnet mit einer herrlich männlichen und noblen Stimme. Opernherz, was willst Du mehr, schrei vor Glück!

Dr. Regina Ströbl, 5. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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