Zwei junge Sänger zelebrieren ein anspruchsvolles Projekt, das auf der ganzen Linie gelungen ist

CD-Besprechung: Infinite Refrain, Randall Scotting und Jorge Navarro Colorado  klassik-begeistert.de, 12. Mai 2024

CD-Besprechung:

Infinite Refrain

Randall Scotting
Jorge Navarro Colorado

Laurence Cummings
Academy of Ancient Music

Signum Classics SIGCD 769


von Peter Sommeregger

Schon das Cover dieser CD, das die Solisten, zwei attraktive Männer, zeigt, lässt vermuten, dass Homoerotik bei diesem interessanten musikalischen Projekt eine wesentliche Rolle spielt.

Der Tenor Jorge Navarro Colorado und der Countertenor Randall Scotting haben eine Zeitreise in das Venedig des 17. Jahrhunderts unternommen, wählten für diese Unternehmung Musik von Monteverdi, Cavalli, Frescobaldi, Merula, Boretti und anderen.

Man bekommt kaum jemals gehörte Musik geboten, Duette wechseln sich mit Solonummern ab, auch einige reine Instrumentalwerke sind zu hören. Beschworen wird Venedig als Ort der Toleranz und des Liberalismus, das so zum Refugium für nicht der gesellschaftlichen Norm Entsprechende, darunter Homosexuelle, wurde.

Mit dem Ensemble Academy of Ancient Music unter Laurence Cummings steht den Solisten ein optimal kompetenter Partner zur Seite. Als Team gelang ihnen eine eindrucksvolle Präsentation frühbarocker Musik. Claudio Monteverdi, der wohl bedeutendste Komponist jener Epoche, ist mit insgesamt acht Titeln vertreten. Es kommen aber auch Komponisten wie Giovanni Antonio Boretti, Giovanni Legrenzi und Tarquinio Merula zu Wort, die außer Musikwissenschaftlern kaum jemand kennt. So gesehen ist das Album auch eine Art Ehrenrettung für die vergessenen Meister.

Randall Scottings Countertenor verfügt über sichere Höhe und ein reiches Ausdrucksspektrum, in den sechs Duetten verbindet sich seine Stimme mit dem lyrischen Tenor von Jorge Navarro Colorado auf sehr harmonische Weise. Fast meint man stellenweise ein konventionelles Tenor-Sopran-Duett zu hören.

Im Booklet finden sich weitere Fotos der beiden Sänger, die ganz offensichtlich privat ein Paar sind, obwohl das nicht explizit erwähnt wird. Die Bilder sprechen da schon deutlicher davon, aber vor allem das Verschmelzen der beiden Stimmen in den Duetten spricht von einer Nähe, die wohl nicht nur künstlerischer Art ist.

Besonders reizvoll ist es, das finale Liebesduett Nerones und Poppeas aus Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ einmal von zwei Männerstimmen zu hören. Man muss beim Hören dieser glaubwürdigen Liebesschwüre aber auch immer daran denken, dass die historische Poppea an den Folgen eines Fußtrittes Nerones starb. Und man sollte nicht ausblenden, dass der römische Kaiser auch durchaus homosexuelle Beziehungen pflegte. Unter diesem Aspekt schließt sich hier der Kreis.

Das reichhaltige Booklet enthält neben den erwähnten originellen Fotos auch interessante Beiträge über das Venedig des 17. Jahrhunderts, ausführliche Biographien der Künstler, sowie alle gesungenen Texte. Das anspruchsvolle Projekt kann man auf der ganzen Linie als gelungen bezeichnen, dazu hat es den Reiz des Ungewöhnlichen.

Peter Sommeregger, 12. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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