Goerner spielt, Yamada trägt, Ravel leuchtet

CD-Besprechung: Maurice Ravel, Nelson Goerner, Klavier  klassik-begeistert.de, 2. Oktober 2025

CD-Besprechung:

Maurice Ravel

Klavierkonzerte
Solowerke für Klavier

Nelson Goerner, Klavier

Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo
Kazuki Yamada, musikalische Leitung

Alpha Classics, ALPHA 1162

von Dirk Schauß

Es gibt CDs, die legt man ein und weiß nach den ersten Takten: Hier stimmt etwas, hier findet gerade etwas Besonderes statt. Die neue Ravel-CD erschienen bei Alpha Classics von Nelson Goerner ist so ein Fall. Keine „bloße“ Einspielung, sondern schon eine musikalische Erzählung, die den Hörer durch Ravels Kosmos schickt – von funkelnder Leichtigkeit bis in die dunklen Tiefen der Nacht. Dass diese Reise so stimmig gerät, liegt nicht nur am Pianisten selbst, sondern auch an Kazuki Yamada und dem Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, die ihm mit gespannter Aufmerksamkeit folgen.

Die Dramaturgie wirkt wie ein kleines Theaterstück. Erst das G-Dur-Konzert, ein Feuerwerk an Witz, Rhythmus und Glanz, dann der Rückzug ins Private mit den Valses nobles et sentimentales. Danach schlägt das Pendel ins andere Extrem: das Konzert für die linke Hand, dunkel, mächtig, wie ein einziger Kampf mit den Geistern. Und am Schluss – die Pavane pour une infante défunte, hingetupft wie ein melancholischer Nachhall, sanft und tröstend. Eine kluge Abfolge, die man so nicht alle Tage hört.

Man könnte Maurice Ravels G-Dur Konzert auch die „französische Antwort auf Gershwin“ nennen. Ravel liebte den Jazz, liebte den Rhythmus – und Nelson Goerner stürzt sich mit Lust hinein. Schon die ersten Takte sind voller Schwung, das Eingangstempo wirkt wie aus dem Handgelenk geschnippt, alles rollt, alles sprüht. Man hört die Synkopen, die Schärfe der Schlagzeugschläge, und doch bleibt es immer elegant. Nicht ein Hauch von Plumpheit, alles glänzt.

Dann der zweite Satz – dieses Adagio, das wie ein endloser Atemzug klingt. Goerner spielt es so schlicht und doch so sprechend, dass man vergisst, dass eine Tastatur gedrückt wird. Nein, hier singt jemand. Besonders schön: der Dialog mit dem Englischhorn, das so träumerisch antwortet, als lausche man einem Gespräch unter Freunden in einer Sommernacht. Es ist einer dieser Momente, die den Alltag komplett vergessen lassen.

Im Presto-Finale schließlich bricht sich die Jazzlust Bahn. Goerner hat dabei hörbar Spaß, lässt die Finger perlen, aber immer mit diesem Augenzwinkern, das Ravels Musik so eigen ist. Yamada gibt kräftige Impulse, das Orchester springt an wie ein gut geölter Motor – und am Ende sitzt man da und denkt: Jawohl, so muss es sein.

Und dann, plötzlich, ist Goerner allein. Die Valses nobles et sentimentales sind kein leichter Übergang, sondern eher ein Schritt in ein Spiegelkabinett. Hier wird getanzt, ja – aber oft mit schiefem Lächeln, manchmal sogar mit gebrochenem Taktstock.

Goerner kostet diese Zwischentöne aus. In der zweiten Valse wirkt es, als hätte er Ravels Herz für einen Moment in den Händen. Dann wieder Nr. 3: keck, verspielt, als wollte er sagen: „Na, tanzt ihr noch?“ Nr. 4 blinzelt mit Ironie, Nr. 5 hält inne, als müsse man die Richtung überdenken. Und am Ende, im Épilogue, klingt alles wie von selbst aus – kein bombastisches Ende, sondern ein Nachhall, wie wenn man nach einer langen Feier plötzlich allein im Saal steht.

Was dann kommt, ist wie ein Vorhangwechsel: plötzlich Dunkelheit. Das Konzert für die linke Hand ist ein Werk wie aus einem Traum von Goya: geheimnisvoll, wuchtig, fast bedrohlich. Goerner beginnt tief, das Orchester rumort, wie Mitternacht im Wald. Man meint, das Rascheln der Schatten zu hören.

Und dann – diese unglaubliche Illusion. Dass all dies mit nur einer Hand gespielt wird, vergisst man sofort. Es klingt nach zwei, nach drei Händen, nach einer ganzen Klavierwerkstatt. Goerner verbindet Kraft mit Leichtigkeit, muskulös und doch locker. Besonders faszinierend: der marschierende Satz, wo Orchester und Solist wie verschmitzte Komplizen agieren.

Das Finale schließlich: ein Ausbruch von Brillanz. Orchester und Pianist werfen sich die Motive zu, Yamada treibt an, als wolle er das Monte-Carlo-Orchester zum Glühen bringen. Ein Feuerwerk, farbig, wild, vital – und dabei immer präzise.

Nach diesem Rausch wirkt die Pavane wie eine Beruhigungstablette. Aber nicht im Sinne von Betäubung – eher wie ein warmer Arm um die Schultern. Goerner spielt sie mit derart inniger Schlichtheit, dass man sofort versteht: Hier geht es nicht um Tränen oder falsche Süße. Hier geht es um Erinnerung, um ein Fließen, das sich einfach entfaltet. Jede Phrase atmet. Und spätestens hier wird klar: Goerner ist kein Virtuosen-Dompteur, er ist ein Sänger am Klavier.

Nelson Goerner stammt aus Argentinien, wo er schon früh als Wunderkind galt. In Buenos Aires erhielt er seine Ausbildung am Konservatorium, bevor er – mit einem Stipendium der Martha Argerich Foundation – nach Europa kam. Dort setzte er seine Studien in Genf fort und machte rasch auf sich aufmerksam, nicht nur durch technische Brillanz, sondern vor allem durch seine Fähigkeit, Klang in Sprache zu verwandeln.

Heute zählt Goerner längst zu den etablierten Pianisten seiner Generation, auch wenn er nie den Weg des reinen Virtuosen-Spektakels gesucht hat. Stattdessen wählt er seine Programme mit Bedacht, interessiert sich für die Vielschichtigkeit der Werke und legt Wert auf eine Balance zwischen Transparenz und Wärme. Seine Diskografie zeigt diese Haltung: hochgelobte Aufnahmen von Chopin, Schumann, Liszt, Debussy – allesamt geprägt von einer Mischung aus Klarheit, Introspektion und poetischer Kraft.

Dabei bleibt Goerner im besten Sinne unprätentiös. Er sucht nicht den großen Effekt, sondern den Moment der Wahrheit in den Noten. Vielleicht erklärt gerade das, warum er von Kritikern als „Poet des Klaviers“ bezeichnet wird und warum seine Konzerte oft den Eindruck erwecken, als würde er nicht für ein Publikum spielen, sondern direkt in die Musik hinein sprechen.

Am Ende legt man die CD beiseite und denkt: Das war nicht nur ein Ravel-Album, das war ein Ravel-Abenteuer. Goerner zeigt, dass diese Werke nicht in Glasvitrinen gehören, sondern lebendig sind, voller Schalk, voller Tragik, voller Sehnsucht. Yamada und das Orchester sind dabei keine Begleiter, sondern echte Mitspieler, mit feinem Ohr und kräftigen Farben. Wie schön, dass die CD aufnahmetechnisch eine Wucht ist. Weiträumig und warm, bleibt hier kein Detail unterbelichtet.

Es gibt viele Ravel-Aufnahmen, gerade in diesem Jubiläumsjahr. Aber diese hier sticht heraus, weil sie keine Show macht, sondern weil sie Geschichten erzählt. Und genau deshalb bleibt sie hängen.

Dirk Schauß, 2. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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