Beethoven pur: neun Sinfonien mit neun Dirigenten

CD-Rezension: Beethoven live. Symphonien Nr. 1-9, Concertgebouworkest Live Recordings

CD-Rezension: Beethoven live. Symphonien Nr. 1-9
RCO 19005

Concertgebouworkest Live Recordings

von Peter Sommeregger

Das durch die Auswirkungen der Corona-Krise in seiner vollen Entfaltung verhinderte Beethoven-Gedenkjahr hat natürlich auch auf dem Tonträger-Markt eine geballte Ladung an Neuaufnahmen mit Werken des Jubilars hervor gebracht. Mit einer originellen Idee wartet das Eigenlabel des berühmten, in der upper class der großen Orchester spielenden Concertgebouworkest Amsterdam auf.

Aus dem reichen akustischen Fundus von Konzertmitschnitten wurde eine komplette Edition aller neun Symphonien zusammengestellt, jede der Symphonien wird von einem anderen Dirigenten interpretiert. In diesen zwischen 1978 und 2010 stattgefundenen Konzerten standen Dirigenten mit ganz unterschiedlichen Lesarten der Musik Beethovens am Pult. Fünf der neun Dirigenten sind inzwischen nicht mehr am Leben, auch die Besetzung vieler Stellen im Orchester dürfte sich über die Jahre geändert haben. Das macht diese Box zu einem historischen Dokument in mehrfacher Hinsicht.

David Zinman, lange Jahre Chef des Tonhalle-Orchesters Zürich macht den Auftakt mit einer filigranen, viele Details herausarbeitenden 1. Symphonie, deren Finale er rasend schnell nimmt und dabei das tänzerische Element der Musik hervorhebt.

Von großem Gewicht ist die 2. Symphonie im Dirigat Leonard Bernsteins, der sehr energisch einsteigt, das Larghetto sehr tief auslotet und im finalen Allegro molto vivace ein wahres Feuerwerk entfaltet. Mit seiner wuchtigen Interpretation stellt er diese oft stiefmütterlich behandelte Symphonie ebenbürtig der dritten und fünften zur Seite.

Noch mehr auf Detailarbeit setzt Nikolaus Harnoncourt in der „Eroica“. Federnd und transparent entwickelt er den ersten Satz, den Trauermarsch des zweiten Satzes beginnt er eher sanft und ohne Schwere, die sich erst in der allmählichen Steigerung herausbildet, um dann langsam zu verebben, sehr schlank musiziert er das strahlende Finale.

Düster und schwer beginnt die vierte Symphonie, die Herbert Blomstedt ganz langsam in das Allegro vivace überführt. Im bedächtigen Adagio sorgt er stellenweise für schroffe Tempowechsel, die aber die Musik sehr gut strukturieren. Das Allegro ma non troppo legt er sehr wuchtig an, mit großem Tempo durchmisst er das Finale.

Eher konventionell ist Mariss Jansons Dirigat der populären 5. Symphonie. Seine Tempi sind eher moderat, dem so genannten „Schicksals-Motiv“ fehlt es ein wenig an Wucht und Eindringlichkeit. Sehr breit und feierlich gestaltet er das Andante. Im Finalsatz bleibt er eher verhalten, man vermisst ein wenig die triumphale Schlussapotheose.

Roger Norrington macht in seiner Interpretation der sechsten Symphonie vom ersten Takt an klar, dass es sich hier um Programm-Musik handelt. Tänzerisch verspielt fällt seine Naturschilderung aus, insgesamt überwiegen bei ihm die lyrischen Momente.

Die ganz unterschiedlich strukturierte siebte Symphonie, von Wagner einmal als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet, findet in Carlos Kleiber einen sehr leidenschaftlichen Interpreten. Er beginnt etwas verhalten und baut die Spannung langsam auf. Das Allegretto fällt bei ihm betont lyrisch aus, das Presto des dritten Satzes äußerst stürmisch. Dem hochkonzentriert dargebotenen Finale verleiht er eine messerscharfe Präzision. Vergleicht man diese Live-Aufnahme mit Kleibers legendärer Studio-Einspielung des gleichen Werkes für die Deutsche Grammophon aus dem Jahr 1976, so fällt auf, dass er 1983 einige Minuten schneller dirigiert. Kleibers Fangemeinde wird über die Hebung dieses historischen Schatzes hoch erfreut sein.

Die achte Symphonie, hier von Phillippe Herreweghe dirigiert, unterscheidet sich von der unmittelbar davor komponierten siebenten stilistisch doch erheblich. Häufig kommt ein mechanisch anmutendes rhythmisches Element ins Spiel, das an Haydns Symphonie „Die Uhr“ erinnert. Unter Beethovens Symphonien zählt sie ungerechterweise zu den selten aufgeführten.

Die krönende neunte Symphonie leitet der aus Ungarn stammende Dirigent Antal Dorati. Er vermeidet das Monumentale, das dieser Symphonie in vielen Interpretationen anhaftet und versucht schon im einleitenden Allegro schlanke Strukturen zu schaffen. Dem zweiten Satz Molto Vivace verleiht er tatsächlich eine martialische Dringlichkeit und Vehemenz. Im Adagio molto cantabile nimmt er das Orchester tatsächlich stark zurück und schafft in breiten Tempi eine elegisch wehmütige Stimmung. Das Finale beginnt schwermütig getragen, erst allmählich baut sich der große Bogen auf. Mit dem Chor des Concertgebouworkest und einem vorzüglichen Solistenquartett aus Roberta Alexander, Jard van Nes, Horst Laubenthal und Leonard Mroz wird der vokale Teil der Symphonie zu einem guten Ende gebracht.

Die Zusammenstellung dieser Box kann man als sehr geglückt bezeichnen. Ausgewählt wurden Dirigenten, die in ihrer Zeit für einen bestimmten Stil standen und alle respektable Persönlichkeiten der klassischen Musikszene waren, teilweise noch sind. So kann man Beethovens symphonisches Werk mit neun verschiedenen interpretatorischen Ansätzen hören. Ein durchaus lohnendes Vergnügen!

Peter Sommeregger, 24. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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