CD-Rezension
Eugen Engel
Grete Minde
Theater Magdeburg
Orfeo C 260352
von Peter Sommeregger
Im letzten Jahr überraschte das Theater Magdeburg mit der Uraufführung einer Oper, die annähernd neunzig Jahre zuvor entstanden war, deren Komponist seit etwa 80 Jahren tot war, und deren Partitur eine abenteuerliche Reise durch die Zeiten hinter sich hatte.
Eugen Engel, ein bis dahin gänzlich unbekannter Komponist, war kein Berufsmusiker, sondern Kaufmann gewesen. Ein Musikstudium ist nicht nachzuweisen, also scheint der jüdische Stoffhändler Engel ein musikalischer Autodidakt gewesen zu sein. Geboren 1875 in Ostpreußen, siedelte er mit Teilen seiner Familie 1892 nach Berlin um. Neben seiner geschäftlichen Tätigkeit beschäftigte sich Engel intensiv mit Musik, und begann selbst zu komponieren. Für die Oper „Grete Minde“ schrieb ihm Hans Bodenstedt nach der gleichnamigen Novelle Theodor Fontanes das Libretto. Bodenstedt wurde später zum überzeugten Nazi, seltsam genug, dass sich die Männer zu einer gemeinsamen Arbeit entschlossen.
Nach 1933 war sich Engel lange nicht der Gefahr bewusst, in welcher er schwebte. An eine Aufführung seiner Oper in Deutschland war aber nicht mehr zu denken. Im Jahr 1939 floh Engel schließlich nach Amsterdam, wohin seine Tochter Eva bereits vorher emigriert war. Dieser und ihrer Familie gelang 1941 die rettende Ausreise in die USA, während Eugen Engel zunächst im Lager Westerbork interniert wurde. Am 23. März 1943 wurde er in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort ermordet.
Seiner Tochter war es gelungen, einen Koffer mit Kompositionen ihres Vaters mit in die USA zu bringen. Versuche, dort jemand für diese Werke zu interessieren, scheiterten zunächst. Erst Engels Enkel ergriffen erneut die Initiative, und durch einige glückliche Zufälle gelangte die handschriftliche Partitur in die Hände der Magdeburger Generalmusikdirektorin Anna Skryleva, die von dem Werk sofort begeistert war und nach der Überwindung zahlreicher Hürden die Oper in Magdeburg zur Aufführung brachte.
Das Werk wurde sehr positiv aufgenommen, und liegt nun in einem Mitschnitt der Uraufführung am 13. Februar 2022 auf 2 CD vor. Engels Musik geht förmlich unter die Haut, sein expressiver Stil findet in der literarischen Vorlage Fontanes ein dankbares Sujet. Grete Minde, ein vom Schicksal schlecht behandeltes Mädchen aus Tangermünde, nimmt am Ende monströse Rache an ihrer Heimatstadt, und löst den vernichtenden Stadtbrand aus, dem sie selbst zum Opfer fällt.
Für ein Opernhaus wie Magdeburg bedeutete eine solche Produktion eine gewaltige Herausforderung, aber das Resultat konnte bei der Premiere und nun auch auf Tonträgern überzeugen. Die Sopranistinnen Raffaela Lintl als Grete und Kristi Anna Isene als ihre Schwägerin Trud illustrieren bestens das Spannungsfeld zwischen den beiden Charakteren, der Puppenspieler Valtin, der Liebhaber Gretes, wird von Zoltán Nyári mit schönem, kräftigen Tenor verkörpert.
Die Dirigentin Anna Skryleva bringt am Pult ihr ganzes Engagement für die Rettung dieses Werkes zur Geltung, und es gelingt ihr eine spannungsgeladene Interpretation. Engels Musik, die in Momenten an Opern Franz Schrekers erinnert, zeigt eine klare, eigenständige musikalische Sprache. Es ist zu wünschen, dass weitere Häuser das Werk aufführen, bühnenwirksam und lohnend ist es. Die Nazis haben eben doch nicht gewonnen!
Peter Sommeregger, 16. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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