Warner Classics ehrt die berühmteste Sängerin des 20. Jahrhunderts mit der umfangreichsten Edition aller Zeiten

CD-Rezension: La Divina Maria Callas  klassik-begeistert.de, 23. September 2023

CD-Rezension:

Auch wenn die Edition „La Divina“ nicht alles an Musik dokumentiert, was von Maria Callas existiert, erweist sie sich mit ihrer Fülle an Aufnahmen und Dokumenten als eine würdige Hommage an die Primadonna Assoluta zu ihrem 100. Geburtstag.  

La Divina – Maria Callas
Deluxe Edition, 131 CD + 3 Blu-Ray + 1 DVD

* Maria Callas in allen 74 Rollen, von denen Tondokumente existieren
* Limitierte & nummerierte Deluxe-Edition
* 131 CDs, 3 Blu-ray Discs, 1 DVD-ROM
* sämtliche Studio-Aufnahmen (24-bit/96-kHz-Remastering)
* Umfangreiche Sammlung der Live-Aufnahmen (1949-1964)
* Meisterklassen aus den 1970er Jahren an der Juilliard School, New York
* Videos ihrer Recitals in Paris, Hamburg (1959 & 1962) und London (1962 & 1964)
* Bonus-CD mit Weltpremieren: alternative Takes und Arbeitssessions von Studio-Aufnahmen aus den 1960er Jahren
* DVD ROM mit Libretti, Interviews und mehr
* Buch mit 148 Seiten, reich illustriert

von Kirsten Liese

Der 100. Geburtstag einer Jahrhundertsängerin bietet einen guten Anlass für diskografische Neuauflagen. Zwar liegen jeweils  sämtliche Studio- und Liveaufnahmen von Maria Callas in imposanten Editionen vor, aber nicht gesammelt in einer Box. Mithin stellt die limitierte Edition „La Divina“ mit 134 Discs zuzüglich einiger Video-Mitschnitte auf Bluray einen Rekord auf. Mehr geht nicht.

Was mir beim Hören mehr denn je bewusst wird – und darin liegt wohl das Einmalige der Callas – ist die Androgynität dieses Soprans: einerseits sehr maskulin angesichts der unerhörten Stimmgewalt in allen Registern, der dunklen Einfärbung in der Tiefe und dem großen Umfang von drei Oktaven, andererseits feminin mit der Schönheit ihrer Kopfstimme.

71 Rollen hat Maria Callas gesungen, 43 davon hat sie auf der Bühne verkörpert. Aus einigen Opern wie zum Beispiel Die Perlenfischer, La WallyLakmé, Samson und DalilaLa Cenerentola, Lucrezia Borgia, SemiramideAttila oder Verdis Otello hat sie nur ausgewählte Arien gesungen.

La Traviata, Aida, Norma, Medea, Tosca, La Sonnambula und Lucia di Lammermoor zählten zu den größten Erfolgen der Primadonna assoluta.  Von diesen Werken existieren mehrere Gesamtaufnahmen. Wenn man sie nacheinander hört, fällt es nicht leicht zu sagen, welche die jeweils bessere ist. Jede hat ihre Vorzüge.

In dem beigefügten Buch ist nachzulesen, dass sich die gesamte Entwicklung von Maria Callas von 1951 bis 1958 besonders plastisch an ihrer Violetta in La Traviata nachvollziehen lasse, die in sieben Versionen existiert. Die Edition enthält allerdings nur vier dieser Aufnahmen und leider nicht den frühesten Mitschnitt von 1951 aus Mexiko.  Das ist angesichts der sonst fast lückenlosen Dokumentation von Callas’ Diskografie in dieser Edition ein wenig schade.

Die Studio-Gesamtaufnahme von 1953 unter Gabriele Santini ist seitens der Aufnahmequalität die beste. Hier kommen die Markenzeichen der gebürtigen Griechin am stärksten zur Geltung: der sagenhafte stimmliche Umfang von drei Oktaven, die enorme Leuchtkraft, die sonore Tiefe, Virtuosität, Bravour und die Schönheit ihrer Kopfstimme.

Der Live-Mitschnitt desselben Werkes von 1955 aus der Mailänder Scala in der legendären Inszenierung von Luchino Visconti spricht auf den ersten Eindruck aufgrund technischer Mängel weniger an. Er ist stark verrauscht.  Einen spannenden Vergleich bietet er gleichwohl, weil sich hier atmosphärisch am dichtesten vermittelt, wie Maria Callas auf der Szene zur Tragödin aufblüht, herzzerreißend von ihrem Leben und ihrer großen Liebe Abschied nimmt. Das tief bewegte Publikum rast, kaum dass der letzte Ton verklungen ist.

Gewöhnungsbedürftig erscheint mir die sehr frühe Einspielung von Isoldes Liebestod aus Wagners Musikdrama  Tristan und Isolde von 1949. Seitens der Tongebung und ihrer luziden Kopfstimme in den letzten Takten beeindruckt der Vortrag der damals 26-Jährigen. Aber dass sie Wagner wie überhaupt alle deutschen Komponisten in italienischer Sprache singt, will zu der deutschen Spätromantik nicht  recht passen.

Als Bonus präsentiert die Edition „La Divina“ in Erstveröffentlichungen Aufzeichnungen von Konzert-Proben, Ausschnitte aus den Meisterklassen in Juilliard, bislang unbekannte alternative Takes von Studiositzungen, zahlreiche Interviews mit namhaften Sängerkollegen und Weggefährten der Callas in Französisch (leider ohne deutsche Übersetzungen) sowie ein längeres Gespräch, das der Dirigent Edward Downes mit Maria Callas 1967 in Englisch führte.

Ihre Karriereanfänge und ihre Ausbildung bei Elvira de Hidalgo kommen darin ebenso zur Sprache wie die für Callas typische Spontaneität, von der ihre szenische Gestaltung profitierte.

Das Buch, das der Box als Hardcover beiliegt, bietet neben zahlreichen Fotografien und einem aufschlussreichen Essay zu Leben und Diskografie der Jahrhundertsängerin nützliche Register zu allen Partien und Aufführungsdaten.

Auch wenn die Edition „La Divina“ nicht alles an Musik dokumentiert, was von Maria Callas existiert, erweist sie sich mit ihrer Fülle an Aufnahmen und Dokumenten als eine würdige Hommage an die Primadonna Assoluta zu ihrem 100. Geburtstag.

Kirsten Liese, 23. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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