Schammis Klassikwelt 5: Die drei grossen “C”s - Callas, Caruso, Chaliapine* Teil 3

Schammis Klassikwelt 5: Die drei grossen “C”s – Callas, Caruso, Chaliapine* Teil 3

Foto: Maria Callas © Houston Rogers

Man kennt das hohe C”, mit dem jeder Tenor hofft, sein Publikum in den Bann zu ziehen. Dieser Beitrag befasst sich allerdings mit drei Interpreten verschiedener Stimmlagen (Sopran, Tenor, Bass), die das Opernpublikum begeistert haben nicht nur durch einen Ton, sondern durch ihr ganzes künstlerisches Schaffen, und damit die Opernwelt maßgeblich verändert haben. Ihre Namen beginnen alle mit C”. Zufall? Aber was vereint diese drei Künstler außer dem Anfangsbuchstaben ihrer Namen?

Teil 3: Maria Callas (1923-1977)

von Jean-Nico Schambourg

Maria Callas startete ihre Karriere im dramatischen und sogar im hochdramatischen Sopranfach: so sang sie die Santuzza aus “Cavalleria rusticana” von Pietro Mascagni, die Prinzessin aus Turandot von Giacomo Puccini und sogar Kundry aus “Parsifal” von Richard Wagner.

Dann eroberte sie sich ein Fach, das vorher zuletzt hauptsächlich von Soubretten und “Soprani leggeri” gesungen wurde, wie zum Beispiel “La Sonnambula”, “Norma” und “I Puritani” von Vincenzo Bellini, “La Traviata” von Giuseppe Verdi. Das Koloraturfach, das lyrische Sopranfach sowie Spintorollen füllten nach und nach ihr Repertoire. Aufgrund der Rollen, aber auch ihrer Stimme, kann man Maria Callas als «  jugendlich-dramatischen Sopran » bezeichnen.

Die Interpretation einiger ihrer Rollen wurde wegweisend für die spätere Entwicklung der Oper: ich kann mir heute die Norma, die Violetta der “Traviata” gesungen von einem leichten Sopran nicht mehr vorstellen, auch wenn einige Piepsen sich immer wieder daran vergreifen (die ich aber auch in ihrem eigentlichen Fach nicht so super toll finde)!

Maria Callas hat die Vorgaben von Enrico Caruso, für den viele Komponisten des Verismo geschrieben haben, und von Fjodor Chaliapine, der nicht nur die russische Oper mit seinem Spielen revolutioniert hat, auf das italienische Opernfach vom Belcanto, über Verdi bis hin zu den Veristen übernommen und weiterentwickelt.

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© Photo-Pic, Paris

Eine der besten Rollen der Callas war die Tosca aus der gleichnamigen Oper von Giacomo Puccini. Ihre Studioaufnahme aus dem Jahre 1953 unter dem Dirigenten Victor de Sabata mit Giuseppe Di Stefano als Mario Cavaradossi und Tito Gobbi als Baron Scarpia zählt zu den besten Opernaufnahmen, die je aufgezeichnet wurden. Ob im Studio oder auf der Bühne, Maria Callas wusste die ganze Gemütsentwicklung der Tosca stimmlich wunderbar zu vermitteln.

Man findet im Internet drei Filmaufnahmen des 2. Aktes der “Tosca” mit ihr: 1956 aus Paris, 1964 aus London, beide Male mit Tito Gobbi als kongenialem Partner in der Rolle des Scarpia. In einer 3. Version aus den US-Studios von RCA singt George London den Polizeichef, gut aber nicht heranreichend an die Interpretation von Tito Gobbi.

In der Londoner Aufnahme von 1964 hat sie zwar ihren gesanglichen Zenith überschritten, aber dieser 2. Akt zeigt welch großartige Gesangsdarstellerin Maria Callas war. Gesanglich und szenisch übermittelt jeder Ton, jede Geste und jeder Blick, was in Tosca vorgeht.

 

Andere Sopranistinnen singen die Rolle der Tosca, Callas interpretiert sie, ja, sie lebt Tosca!

Die Verzweiflung in ihren Blicken während der Folterung von ihrem Geliebten Mario, der Ekel in ihren Augen als Scarpia sie zur Liebe zwingen will, all das findet sich auch im Klang ihrer Gesang-, ja teilweise Sprechstimme wieder.

Und dann die Arie “Vissi d’arte, vissi d’amore”! Diese bildet einen Ruhemoment und scheint eigentlich komplett fehl am Platz. Es geht um das Leben ihres Geliebten, und anstatt weiterzukämpfen, kniet Tosca sich hin und klagt, warum Gott ihr nicht zur Hilfe kommt, obschon sie doch immer so schön brav religiös war. Religion als Opium… – naja, Sie wissen schon! Bei den meisten Sopranen klingt diese Arie deshalb auch nur schön und lieblich gesungen, wie ein Konzertstück! Sie haschen ihren Applaus ein und weiter geht’s. Oh, da liegt ein Messer! Damit kann man Scarpia kurz abmurksen. Uff, gerettet!

Nicht so bei der Callas: die Arie ist eingebunden in die ganze brutale Szene. Man hört und spürt ihre Verzweiflung, ihre Enttäuschung Gott gegenüber. Ihrem Ton kann man aber auch entnehmen, dass sie sich wehren wird. Der Callas glaubt man, dass Tosca die physische und psychische Kraft aufbringt, Scarpia zu töten, um sich und ihren Mario Cavaradossi zu retten.

Ihre Schreie “Muori dannato! Muori! Muori! Muori!” (Stirb in Verfluchung! Stirb! Stirb! Stirb!), nachdem Tosca Scarpia niedergestochen hat, kommen aus der Tiefe ihrer verletzten Seele. Aber dann findet Callas auch den richtigen Ton für den letzten Satz von Tosca im 2. Akt: “E avanti a lui tremava tutta Roma!” (Einst zitterte vor ihm ganz Rom)! Da klingt nichts mit vom oft gehörten karikaturartigen Opernpathos, sondern nur die Verachtung gegenüber Scarpia und die Genugtuung, dass er tot ist.

Kritiker werfen Callas oft vor, sie hätte mit drei Stimmen gesungen. Ich behaupte, sie hat für ihre Interpretationen die ganze Bandbreite ihrer Stimme mit allen Farben ausgenutzt. Als echte Künstlerin hat sie dabei nicht zurückgeschreckt, auch ihre stimmlichen “Fehler” einzusetzen, um ihren Rollen eine lebensechte Gestaltung zu geben.

 Das ist es letztendlich was den echten Künstler vom einfachen Sänger unterscheidet. Und darin waren die drei hier vorgestellten Künstler,  Caruso, Chaliapine und Callas, die größten Meister ihrer Zunft. Ihre Namen beginnen zufällig alle mit dem Buchstaben “C“. Aber was sie am meisten verbindet, ist die einmalige Gestaltung ihrer Rollenportraits mit szenischen und, vor allem, stimmlichen Mitteln. Ihre Interpretationen, und sei es nur eine Arie, haben die Opernwelt auf ewig verändert!

 P.S: Ich frage mich manchmal, ob es meiner eigenen Gesangskarriere förderlich wäre, wenn ich  ich das “S” vom Familienname streichen würde und mich “Chambourg” schreiben würde. Aber wahrscheinlich müsste es auch so klappen, wie die deutsche Version von “Schaljapin” beweist.

Jean-Nico Schambourg, 6. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

* Für sein Leben in der westlichen Welt benutze Chaliapine selbst die französische Schreibweise seines Namens. Zum Zweck diese Artikels behalte ich diese Schreibweise bei.

Schammis Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, alle zwei Wochen.

Schammis Klassikwelt 4: Die drei großen “C”s – Teil 1 Enrico Caruso

Schammis Klassikwelt 5: Die drei grossen “C”s – Callas, Caruso, Chaliapine* (Teil 2) klassik-begeistert.de 22. Oktober 2022

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