Mit dieser Weltpremiereneinspielung brennt das Kunstlied auch im 21. Jahrhundert aus tiefster Seele!

CD-Rezension: Liederzyklen „Wishes“  klassik-begeistert.de, 16. Januar 2025

Cover genuin.de

CD-Rezension:

Allein schon der neue, kraftvolle und zugleich musikalisch innige Liederzyklus „Nobody“ von Johannes Boris Borowski hätte eine eigene CD verdient. Mit einem ebenso wunderbaren, die musikalische Seele berührenden Satz an Spohr-Liedern erhebt das Sopran-Klarinetten-Klaviertrio um Mariana Popova diese Ersteinspielung zu einem jahrhundertübergreifendem Liederzyklus-Gesamtkunstwerk! 

Wishes
Werke von Johannes Boris Borowski, George Crumb und Louis Spohr

Genuin Classics GEN 25885d

Lisa Florentine Schmalz, Sopran
Boglárka Pecze, Klarinette
Mariana Popova, Klavier

von Johannes Karl Fischer

Neulich hörte ich einen Schumann-Abend, der mich nicht sehr begeisterte,
soviel zu meiner Begeisterung für das Kunstlied.

Nicht so bei dieser packenden, den Hörer mit aller musikalischen Macht ergreifenden Einspielung zwei neuer Liederzyklen von Johannes Boris Borowski: Zwischen den hoch energetischen und zugleich aus tiefer Seele singenden Melodien der heutigen Zeit sind Louis Spohrs Sechs Deutsche Lieder ein wohltuender Ausgleich zu den passioniert brennenden Klängen des alltäglich immer tumultuöser fortschreitenden 21. Jahrhunderts. 

Schon das erste Borowski-Lied, „War Time“, spürt man wie ein Sprung ins kalte Wasser. Naja, auf den tagesaktuellen Nachrichtenschlagzeilen landet man sicher nicht weicher… Diese Musik spricht einem aus tiefster Seele, die fein getupften, doch dissonant seufzenden Akkorde resonieren im musikalischen Herzen. Im weiteren Verlauf des Albums schiebt der Komponist immer wieder Originalzitate vulgärerer Internetsprache zwischen die kunstvollen Emily-Dickinson-Texte ein, die Musik bricht stellenweise ins Überwältigende aus. Als würde man zuhause bei einer Tasse Kaffee seinen Ausweg aus dem alltäglichen Wahngeschehen suchen…

Zwischendurch segelt die Musik sanft durch die seelische Lyrik der Spohr’schen Romantik-Lieder. Inmitten der deftig-energetischen Borowski-Klänge strahlen die lang gezogenen, seidenen Musikfäden wie Mohnblumen auf einer sonnigen, noch nicht vom Klimawandel ausgetrockneten Blumenwiese. Auch die drei Lieder von George Crumb aus dem 20. Jahrhundert schimmern in der musikalischen Luft, als flatterten sie durch die abendliche Leere einer herbstlichen Stadtpark-Dämmerung.

An der Spitze dieses mitreißenden musikalischen Erfolgs glänzen die Sopranistin Lisa Florentine Schmalz und die Pianistin Mariana Popova.

Frau Schmalz’ wunderbar wandelbare Stimme ergreift einen mühelos mit gefühlvoll segelnden Melodien und lässt diese zeitlose Musik sanft in die Ohren schweben. Insbesondere im den Liederzyklus betitelnden Werk „Nobody“ berührt die musikalische Kraft ihres Soprans mit eindrucksvollem Ausdruck und bringt die volle Leidenschaft dieser Kunst zum Klingen.

Auch Frau Popova meistert das breite emotionale Klangspektrum ihres Instruments mit Bravour. Zwischen flirrenden, leicht und luftig schwebenden Dissonanzen lässt sie einen die Wucht ihres Flügels intensiv doch wohl dosiert spüren, die vereinzelten umhauenden Klangausbrüche immer rund und resonierend ausklingen!

Etwas im Schatten der beiden anderen Musikerinnen – zumindest was die Länge ihrer Partie angeht – steht die Klarinettistin Boglárka Pecze, doch begeistert sie umso effektvoller mit der strahlenden Brillanz ihrer Klarinettenkunst! Wie eine wortlose doch wohl artikulierte Singstimme segelt sie durch alle Ebenen der sanft fließenden Melodien, man spürt die Musik atmen, wenn sie sich mit inbrünstiger Passion in ihre kunstvoll expressiven Soli stürzt. Besonders die sehr knapp gehaltenen, aber ausdrucksvollen Zwischenspiele des Borowski-Zyklus „Nobody“ sind ein absoluter Showstopper, jeder musikalischer Augenblick glänzt wie eine strahlend goldenen Klarinettensonne.

Musik ist universell, Wünsche sind es auch. Die Programmhefttexte samt Künstlerinnenstatements lassen die derzeitige Welt in keinem guten Blick erscheinen. Seit der Komposition 2023 sind die Aussichten sicher nicht blumiger geworden… da hilft eigentlich nur noch der Rückzug in die innige Welt dieser wunderbaren Liedkunst. Hat „Nobody“ etwa auch einen Wunsch?

Johannes Karl Fischer, 16. Januar 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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