Chilly Gonzales begeistert seine künstlerische Heimatstadt Berlin

Chilly Gonzales,  Haus der Berliner Festspiele, Berlin

Foto: www.chillygonzales.com (c)
Haus der Berliner Festspiele
, 21. November 2018
Chilly Gonzales – Klavier, Gesang
Stella Le Page – Cello, Gesang
Joe Flory – Schlagzeug, Gesang

von Julia Barreiro

Berlin, 21. November 2018: Der erste Schnee fällt über die dunklen und ruhigen Straßen von Wilmersdorf. Es scheint ein ganz normaler, herbstlicher Mittwochabend zu sein, doch im Großen Saal der Berliner Festspiele ist es alles andere als leise: der „Entertainist“, „the Musical Genius“, Jason Beck alias Chilly Gonzales –mit einem Camouflage-Bademantel und braunen Kuschelpantoffeln ausgestattet – schenkt dem Berliner Publikum ein zweistündiges Konzert voller Lachen, Klatschen, Rufen und vor allem Musik.

Nach der Veröffentlichung von Solo Piano III, das dritte und letzte Album seiner Piano-Trilogie, geht Chilly auf Tournee und kehrt zu seinem künstlerischen Geburtsort Berlin für drei ausverkaufte Abende zurück. Im Gepäck hat er mittlerweile dreiundzwanzig eigene Alben, unzählige befreundete Musiker, mit denen er arbeitet (die Liste reicht von Peaches und Feist über Daft Punk, Boys Noize, Jarvis Cocker, Drake, Kaiser Quartett bis Helge Schneider und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien ), den Guinness-Weltrekord für das längste Solo-Konzert (27 Stunden lang), einen Grammy-Award, fünf didaktische Klaviernotenbücher, einen eigenen Film (Ivory Tower), ein musikalisches Rezept-Buch zusammen mit dem gesternten Chef Pierre Gagnaire und das seit letztem Sommer eingeweihte Gonzervatory (eine Sommerakademie für ausgewählte junge Talente). 2018 erschien der Dokumentarfilm Shut up and Play the Piano des deutschen Regisseurs Philipp Jedicke, der durch Interviews, Archivaufnahmen und Konzertausschnitte den Aufstieg dieser Kultfigur schildert.

Diesen vielseitigen Künstler live zu erleben, ist genauso absehbar wie unberechenbar: man verbringt einen unterhaltsamen Abend mit Überraschungen aus seinem Solo-, kammermusikalischen und Rap-Repertoire, umrahmt von seinem Gespräch bzw. Monolog, bei dem auch das Publikum als Spielfigur dient.

In Berlin tritt Chilly Gonzales zusammen mit der Cellistin Stella Le Page und dem Schlagzeuger Joe Flory auf. Die erste Konzerthälfte ist seinem neuen Album Solo Piano III gewidmet. In einem fast ununterbrochenen Musikstrom spielt er mit ernster Konzentration Stücke aus seinem „Sabbatjahr“, in dem er sich nach fünfzehn Jahren Weltshows Zeit genommen hat, eine dissonantere Musik zu entdecken und vom „entertainer“ zum „artist“ geworden ist.

Sobald Chillys Stimme im Saal erklingt, wird allen klar, dass es sich hier um kein normales Klavierkonzert handelt. „Wir haben gemeinsam einen Vertrag. Sie denken, Sie haben entschieden, heute Abend hier zu sein. Aber das ist eigentlich meine Entscheidung.“ Durch Selbstironie und Witze erzählt Gonzo von seinen neuen Liedern, von der „neuen Gemütlichkeit mit unaufgelöster Musik“ – die Live-Nahaufnahme der Klaviertastatur und seiner Hände immer didaktisch auf eine Leinwand oberhalb der Bühne projiziert. Mit Stella Le Page und Joe Flory geht es dann mehr in Richtung Rap, Show und Entertainment: Zu Beginn ein a cappella-Rap mit dem Metronom, danach Cello, Schlagzeug und Gesang dazu bis dann der ganze Saal auf Zeichen mal „Shut up and play the piano“ flüstert, mal wie besessene Sportfans schreien muss oder die eigenen musikalischen Wünsche ausruft.

Die durchsichtige Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum scheint aufgelöst zu sein. Man fühlt sich wie in einem privilegierten Wohnzimmer zusammen mit dem Mann der tausend Gesichter (und Musiken), der teils poetische Balladen auf dem Klavier spielt und teils das Instrument zu einem Schlagwerk werden lässt.

Kurz vor Schluss erscheint Chilly Gonzales auf Ruf von Trompete und Melodica mit einem neuen, frischen Bademantel, bereit für die letzte Mischung aus alten Hits und Publikumslieblingen, die die Show mit Standing Ovations enden lässt.

Nach langem Hören, Lachen und Klatschen geht man wieder in die kalte, dunkle Berliner Nacht hinaus, mit einem Grinsen auf dem Gesicht und neuen Ohrwürmern, die nur aus einem Abend mit Chilly Gonzales stammen können.

Julia Barreiro, 22. November 2018, für
klassik-begeistert.de

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