Choriner Musiksommer 2024
in der Kirchenruine des Klosters Chorin (Brandenburg)
Konzert Nr. 6:
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt
Streicherensemble der Leo-Borchard-Musikschule Steglitz-Zehlendorf
Gernot Schulz, Leitung und Moderation
Peter Tschaikowsky:
Polonaise aus der Oper Eugen Onegin op. 24
Edward Elgar:
Serenade für Streicher e-Moll op. 20
Nimrod aus den Enigma–Variationen op. 36
Peter Tschaikowsky:
Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36
Kloster Chorin, 13. Juli 2024
von Ralf Krüger
Hörner hallen durch den hohen Raum, Fagotte, verschiedene Blechbläser. Tschaikowskys 4. Sinfonie beginnt bombastisch, beginnt im Glück.
Dass wir hier sitzen, unterm Kirchendach, aber doch Open-Air-Feeling genießen, hat auch viel mit Glück zu tun. Mit Engagement und Tradition, gepflegt in zwei Systemen. Und wir haben letztlich auch ein bisschen Karl Friedrich Schinkel zu danken, der sich für die Rettung der alten Gemäuer des Klosters einsetzte und den frühen Denkmalschutz prägte. Vieles an Museums-Kultur und -Geschichte ist für wenig Geld zu erhaschen. Ein perfektes Vorprogramm für ein Konzert im Grünen ist es sowieso!
Aber wenn ich ehrlich bin, war es doch das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt, das mich nach Chorin lockte. Ich liebe die Brandenburger, seit sie vor knapp 2 Jahren den Berliner Operettenkönig Paul Lincke neu entdeckten und damit Frau Luna aus den Schlössern, die im Monde liegen, ins Heute und Jetzt chauffierten. Das Staatsorchester unter Ernst Theis spielte auf 2 CDs (bei cpo) Lincke-Ouvertüren ein, pustete Berliner Luft drüber und überraschte teilweise mit noch nie Gehörtem.
Das wird heute nicht passieren.
Die vertraute Polonaise aus dem 3. Akt des Onegin ist ein freundliches Hereinspazieren in diesen besonderen Konzertsaal. Ein freundliches Hallo auch des Orchesters, das uns verkündet: Genießt die Zeit mit uns! Und wir sitzen in diesem eigentlich kaputten, aber doch sicherem Kirchenschiff. Die linke Hälfte des hohen Hauses ist fest gemauert. Rechter Hand sieht man hinaus auf den Klosterhof, die alten Bäume, die Wiese mit dem Publikum, das im eigenen Klappstuhl, ohne Sichtkontakt, das Konzert verfolgt. Diese Kirche, so scheint es, gibt es nur noch zur Hälfte.
Ja, und dort, wo man den Altarraum verorten möchte, da steht heute Gernot Schulz. Und er lädt Schülerinnen und Schüler einer Berliner Musikschule ein, mit den Profis seines Klangkörpers gemeinsam zu musizieren. Die drei Sätze der Streicherserenade von Edward Elgar kommen sehr gelöst und entspannt daher und die Akustik überrascht, gerade bei dieser so feinen Musik. Mit dem 9. Rätsel aus den Enigma-Variationen gibt es das Sahnehäubchen noch vor der Pause. Leckerer Kuchen erwartet einen am Buffett und der Soundtrack von Nimrod lässt einen das weitflächige Klostergelände wie in einem alten Monumentalfilm erscheinen.
Liege ich so daneben mit meinem Glücksgefühl vom Beginn des Textes?
Gernot Schulz erzählt einiges über die Stimmungslage Peter Tschaikowskys während der Entstehung seiner 4. Sinfonie. Da ist viel von Traurigkeit die Rede, viel von Melancholie. Doch ich höre im 1. Satz Fanfarenklänge, kräftige, üppige Töne heraus. Der Dirigent spricht von einer Schicksalssinfonie. Das Thema im 2. Satz ist von Schwermut geprägt. Aber ich finde, wenn das Schicksal in solch emotional doch angenehme Noten verpackt wird, dann ertrage ich heute Abend selbst die schlechten Nachrichten der Tagesschau.
Nach dem gezupften 3. Satz wird mit einem Paukenschlag der Beginn des Schluss-Satzes verkündet. Höre ich da nicht wenigstens ein wenig Optimismus heraus? Das Publikum klatscht dankbar dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt entgegen. Ich denke, für viele war es ein angenehmer Nachmittag bei guter Musik und guten Gesprächen. Für andere ein Stück Hochkultur im ländlichen Raum.
Auf dem kleinen Spaziergang zum Parkplatz scheint uns die Sonne ins Gesicht, meiner Frau und mir. Es gab kein Konzert-Abbruch, wie tags zuvor in München, keine Sturmwarnung. Das ist doch auch schon Glück.
Ralf Krüger, 14. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die 61. Auflage des Choriner Musiksommers geht noch bis zum 25. August 2024.