Foto: © Matthias Creutziger
In den Grundfesten ist Thielemanns Beethoven unumstößlich vollkommen. Mag sein, dass der Finalsatz in der „Eroica“ mit zunehmendem Alter bei ihm noch eine Spur langsamer werden könnte, aber ansonsten drängt es sich einem auf: So und nicht anders soll es sein!
Semperoper Dresden, 16.12.2019
Sächsische Staatskapelle Dresden
Leitung: Christian Thielemann
Ludwig van Beethoven
Sinfonien 1 bis 3
von Kirsten Liese
Man will es gar nicht glauben, aber Christian Thielemanns letzter grandioser Beethovenzyklus mit den Wiener Philharmonikern liegt schon wieder zehn Jahre zurück.
Ein so großer Abstand erweist sich freilich als vorteilhaft, weil – ganz unabhängig davon, dass Beethovens Sinfonien viel seltener gespielt werden als manche gefühlt annehmen mögen – Routine dann nicht so ohne Weiteres aufkommen kann. Abgesehen davon, dass Thielemann bei seinem jüngsten Beethoven-Zyklus, den er mit den frühen Sinfonien 1 bis 3 eröffnete, die Sächsische Staatskapelle dirigiert.
Tatsächlich wurde in der Semperoper ein lebendiges Musizieren fast wie aus dem Moment heraus erlebbar, aber – das ist das eigentlich Sagenhafte – auffallende Unterschiede zum damaligen Zyklus mit den Wienern lassen sich kaum ausmachen, was meine Rezensionen von damals belegen, in denen ich Eindrücke zu Papier brachte, die ich nun nahezu wiederholen kann. Woran sich zeigt: In den Grundfesten ist Thielemanns Beethoven unumstößlich vollkommen. Mag sein, dass der Finalsatz in der „Eroica“ mit zunehmendem Alter bei ihm noch eine Spur langsamer werden könnte, aber ansonsten drängt es sich einem auf: So und nicht anders soll es sein!
Und so wie er und sein Orchester die Musik Phrase für Phrase, Takt für Takt bis in kleinste Tonrepetitionen hinein durchlebten, hatte man trotzdem das Gefühl, man höre diese Sinfonien in dieser Exklusivität zum ersten Mal.
Man muss sich vergegenwärtigen: Gerade Beethovens ersten beiden Sinfonien sind keine imposanten Werke, der Orchesterapparat ist noch vergleichsweise schlank, der Reiz dieser Musik liegt in ihrer schlichten, filigranen Motivik, der Ton wirkt oft kammermusikalisch. Dem widmen sich Dirigent und Musiker mit der denkbar größten Sorgsamkeit und Plastizität. Jedes Motiv wird im Figürlichen ausgestellt, die in Beethovens Durchführungen bis zum Exzess verarbeiteten Themen transparent in die Gesamtarchitektur eingepasst und dynamisch alles aufs Feinste ziseliert.
Ob nun im Adagio cantabile in der Ersten, das mit einer einstimmigen einfachen Melodie in den zweiten Violinen einsetzt, oder im Larghetto in der Zweiten mit seinem lieblichen Thema: Die Streicher der Sächsischen Staatskapelle spielen das alles herrlich grazil, elastisch, luftig und homogen.
In den Ecksätzen und Scherzi blitzt hier und da freilich auch noch der Schalk eines Joseph Haydn auf, besonders im kecken Finalsatz der Zweiten, nur eben führt Beethoven seine motivische Idee straffer fort.
Ein ebenso transparenter kompakter Klang waltet in den Ecksätzen und im Scherzo, wiewohl schon durchdrungen von kräftigeren Forteschlägen und forscheren Tempi. Thielemann und seine Sächsische Staatskapelle finden dafür den idealen Klang: schlank, straff und kompakt.
Seine Zeichen sind dabei so minutiös genau, dass sich die Musik sogar im Kopf einstellen würde, wenn man den Dirigenten im Fernsehen sehen und den Ton abdrehen würde: Wie mit dünnem Pinsel zeichnet er Ornamente in die Luft, die mit den feingliedrigen musikalischen Motiven korrespondieren, bewegt bei Akkord-Folgen im Forte – Kopf und Oberkörper weit nach unten gebeugt – die Arme Schlag für Schlag wie Flügel rauf und runter. Und will er die Violinen an anderer Stelle noch leiser haben, streckt er den linken Arm tief nach unten aus, wedelt leicht mit der flachen Hand, geht in die Knie und bewegt den Rücken weit nach hinten. Eine Feinarbeit wird hier hör- und sichtbar, die sich mit der passgenauen Millimeterarbeit eines Zahntechnikers vergleichen ließe.
Auch auf Details in der Gestaltung der „Eroica“ trifft zu, was ich schon damals über das Musizieren mit den Wienern schrieb: Im Marcia funebre, dem Adagio, gönnt sich Thielemann alle Zeit der Welt und betört mit subtiler Pianokultur. Die Hörner haben ihre Sternstunde im Trio des Scherzos, wo sie ihre Quinten und Sexten makellos intonieren.
Aber nicht nur sämtliche Bläser stellen ihre Weltklasse unter Beweis, auch in den Sektionen der Streicher wird eine unbändige Freude am gemeinsamen Musizieren sichtbar, die sich entsprechend in der Kommunikation untereinander bemerkbar macht. Ein besonders engagierter Musiker, der sichtlich seine Freude hat, fällt mir unter den Kontrabässen auf, er sieht sehr jung aus wie Anfang 20, kann das sein?
Zu den tollsten Momenten gehört freilich die irrlichternde Pizzicato-Introduktion im Finale der „Eroica“, von Thielemann wie ein geheimnisvoller Spuk inszeniert, bevor es – hui – losgeht wie ein Wirbelwind. Auch hier zieht Thielemann mit seinem glänzend disponierten Orchester noch einmal alle Register zwischen rasanten Figurenketten, dynamischen Steigerungen und lyrischen Holzbläser-Einlagen. Standing Ovations für den denkbar besten sinfonischen Auftakt zum Beethoven-Jahr!
Kirsten Liese, 18. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de