Klaus Mäkelä und die Amsterdamer überrollen das Publikum mit Klangmassen

Concertgebouw Orchestra Amsterdam, Klaus Mäkelä  Wiener Konzerthaus, 4. September 2025         

Klaus Mäkelä und das Royal Concertgebouw Orchestra; Foto Patrik Klein

Der junge finnische Dirigent Klaus Mäkelä ist ein Publikumsliebling geworden. Und ist damit „sakrosankt“; kritische Worte werden da mehr oder minder niedergemacht. Nun bei dem aktuellen Konzert im Wiener Konzerthaus seien trotzdem einige nicht immer positive Anmerkungen erlaubt. Zumal der junge Mann auf dem heiklen Parkett der Spitzendirigenten sich auch der Kritik stellen muss.

Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Dirigent: Klaus Mäkelä

Franz Schubert/Luciano Berio: Rendering

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Wiener Konzerthaus, 4. September 2025

von Herbert Hiess

Drei Jahre ist es schon wieder her, dass Klaus Mäkelä im Wiener Konzerthaus alle Symphonien mit dem Oslo Philharmonic Orchestra an drei Abenden brachte (Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä, Dirigent Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. Mai 2022 – Klassik begeistert). Wenn auch ausgezeichnet umgesetzt, waren da doch einige Mängel zu finden – über die man wegen seines Alters hinwegsah.

Nun, nach diesen drei Jahren hat sich der Jung-Maestro mit seinen
29 Jahren fast zum „Chefdirigent der Welt“ gemausert. Aktuell leitet er das Orchestre de Paris sowie das Oslo Philharmonic Orchestra und ist designierter Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouworkest und des Chicago Symphony Orchestra. Da stellt sich die Frage, ob das für eine Person überhaupt eine zu bewältigende Aufgabe ist. Zumindest dann, wenn man tiefgehende Interpretationen hören will. Mäkelä wird (dank seines Managements?) mit einem mörderischen Pensum um die Welt geschickt – ob das für ihn gut und gesund ist, steht auf einem anderen Blatt.

Im Wiener Konzerthaus gaben die Amsterdamer und er zwei Konzerte – und die Erwartungen waren enorm hoch.

Das zweite Konzert mit dem anspruchsvollen Programm wurde mit Bravour gegeben; trotz des Erfolges bleiben da einige Fragen offen.

Zuerst Berios Bearbeitungen und Ausweitungen von Schuberts Skizzen zur 10. Symphonie als Komposition mit „Rendering“ bezeichnet. Der aus der EDV stammende Begriff ist nur schwer zu übersetzen. Man kann das Wort hier im musikalischen Kontext weitgehend als Bearbeitung von musikalischen Ideen betrachten. Berio machte daraus ein dreisätziges Werk, das zeitweise mit Schubert wenig zu tun hat. Manchmal kann man Schubert nur erahnen. „Rendering“ ist hochprofessionell instrumentiert; interessant, dass da die Celesta in allen drei Sätzen fast eine Hauptrolle spielt (übrigens ganz hervorragend). Schubert ist da im dritten Satz mit einem Thema am deutlichsten hörbar; dieses Thema wird mit allen kompositorischen Mitteln bearbeitet; Variationen, Fugen, Fugati und vieles mehr.

Schon hier greift Mäkelä mit den Amsterdamern ins Volle; bei den Fortestellen hätte man schon erahnen müssen, was einen bei Mahler erwartet. Berio war bei den Pianostellen exzellent gespielt – wenn es laut wurde, war es irgendwie mit dem Frieden vorbei.

Aber bei Mahlers 5. lieferten sich die Amsterdamer und Mäkelä einen mörderischen Klangexzess. Die Amsterdamer hatte man immer als eines mit europäischer Klangkultur spielendes Orchester in Erinnerung. Gewohnt war man ein Orchesterspiel, das niemals überbordend wirkte.

An diesem Abend hatte man das Gefühl, dass das Orchester zu oft nach den USA geschielt hatte. Denn die Orchester dort zeigen immer die Dominanz der Blechbläser. Hier im Konzerthaus spielte die Blechsektion schon ÜBER die Schmerzgrenze hinaus; man war nicht nur einmal verleitet, sich die Ohren zuzuhalten.

Schade, denn Mäkelä beraubte sich (und das Publikum) um wunderschöne Momente. Nur beim genauen Hinhören vernahm man des Maestros Auslegung der Themen. Schade, dass die brutale Blechsektion vergessen ließ, was für hervorragende Musiker im Orchester spielen. Grandios die Holzbläser, die Streicher. Auch das Schlagwerk brillierte hier ganz fulminant (vor allem der Weltklasse-Paukist).

Höhepunkt war allemal das „Adagietto“, das Mäkelä und die hervorragenden Streicher (natürlich mit der Harfe) wehmütig erklingen ließen.

Aber im Finale kam wieder der volle Zugriff auf die Klangmassen; Mäkelä hatte das absolut nicht unter Kontrolle. So hervorragend die Blechbläser der Amsterdamer sind – das sollte letztlich nicht die Klangkultur des Orchesters zerstören. Man hat Valery Gergiev immer (zu Unrecht!) vorgeworfen, dass er viel zu laut sei. Das bekam hier mit den Amsterdamern unter Mäkelä eine neue Dimension.

Der 29-Jährige ist sicher ein Ausnahmetalent – er sollte aber mit seinen Kräften haushalten. Auch er wird älter und hoffentlich wird er (auch durch seine Agentur) nicht in einen Burn-Out getrieben. Das wäre unendlich schade!

Herbert Hiess, 5. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Saisoneröffnung: Royal Concertgebouw Orchestra, Klaus Mäkelä Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 3. September 2025

Eröffnungskonzert RCO, Klaus Mäkelä Philharmonie Berlin, 30. August 2025

Berliner Philharmoniker, Klaus Mäkelä, Leif Ove Andsnes Festspielhaus Baden-Baden, 19. April 2025

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