Ich fühle mich wie im Mozarthimmel

Così fan tutte, Wolfgang Amadeus Mozart  Nationaltheater, München, 2. November 2022

Foto: Così fan tutte 2022 K. Krimmel, A. Amerau © W.Hoesl

Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten (1790)

Komponist   Wolfgang Amadeus Mozart. Libretto    Lorenzo Da Ponte.
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln. Neuproduktion.

(ab 14 Jahren)

Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor

Vladimir Jurowski, Dirigent

Inszenierung   Benedict Andrews
Bühne   Magda Willi
Kostüme   Victoria Behr
Licht   Mark Van Denesse
Dramaturgie   Katja Leclerc

Fiordiligi   Louise Alder
Dorabella   Avery Amereau
Guilelmo   Konstantin Krimmel
Ferrando   Sebastian Kohlhepp
Despina   Sandrine Piau
Don Alfonso   Christian Gerhaher

Bayerische Staatsoper,
Nationaltheater, München, 2. November 2022

von Frank Heublein

An diesem Abend wird Wolfgang Amadeus dritte und letzte Opernzusammenarbeit mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte Così fan tutte im Nationaltheater in München aufgeführt. Es ist ein glücklicher Umstand! Denn eigentlich hat da Ponte das Libretto für Antonio Salieri geschrieben. Der wusste nichts mit dem Buch anzufangen. Da Ponte zeigte es Mozart und der konnte.

Und an diesem Abend zeigt sich wie!

Ich kann meine Vorbelastung an diesem Abend nicht abstreifen. Die erste Vorbelastung: als siebzehnjähriger holperte ich 1985 auf der Transitautobahn gen Berlin zum Klassenstufenausflug, an Schlaf war kaum zu denken. Am Abend danach habe ich Così fan tutte besucht, entdeckerfreudig und zugleich übermüdet. Opernunerfahren war das eher Narkose für mich. Wenig Handlung, wenig Aktion, dieses dauernde Ansingen. Im zweiten Rang vorletzte Reihe sitzend. Sauerstoffmangelnde Hitzewellen von den unteren Sitzreihen. Schlaf, Halbschlaf, wache Momente wechselten sich ab. Schwamm drüber. Die zweite Vorbelastung: letztes Jahr die wundervolle Così fan tutte in Salzburg. Klug gekürzt und superdicht. Joana Mallwitz am Pult. Ein exzellentes Ensemble. Jetzt also in München. Ich bin sehr gespannt.

Juchu! Ich vibriere innerlich. Denn dieses Ensemble, dieses Orchester ist eine Wucht! Das sängerische Ensemble samt Orchester und dem Chor ist durchweg grandios. Die Summe der Teile hebt mich dieses Mal in der ungekürzten Version in den Mozarthimmel. Ich schwebe, genieße im ersten Akt die perfekt gesungenen mehrstimmigen Partien, egal ob Duett, Terzett, Quartett, Quintett, Sextett. Derart exakt, perfekt miteinander, nacheinander. Vollendet harmonisch, das ist Genuss und oh ja auch: Lust! Diese Aufführung hat Verve und Schmelz.

Così fan tutte 2022 S. Kohlhepp, L. Alder, A. Amerau, K. Krimmel (c) W. Hoesl

Dirigent Vladimir Jurowski hält das vergleichsweise vom Korpus her kleine Bayerische Staatsorchester kontinuierlich unter Spannung, wohl gesetzte Generalpausen, Sprünge. Die Klangfarben schillern. Jeder Ton ist wohlgesetzt, exakt. Brillant! Ganz links außen im Graben steht ein sehr schön gearbeitetes Hackbrett, auch Zymbal genannt. Im Programmbuch wird dieses Instrument gar nicht erwähnt. Statt Cembalo ein Hammerklavier, das mit dem Cello und ebendiesem Hackbrett den für mich klanglich ungewohnten, damit umso reizvolleren Continuo bildet.

Sechs Sängerinnen und Sänger, die mir einen gesanglichen Sahneabend präsentieren. Bass Konstantin Krimmel singt seinen Guilelmo wohltemperiert, warm und locker. Seinen Namen schreibt Mozart in der Partitur unterschiedlich, am häufigsten so wie hier. Tenor Sebastian Kohlhepp als Ferrando ist stimmlich elastisch beweglich. Mezzosopran Avery Amereau verleiht der Dorabella im zweiten Akt eine betörend atemberaubende Note im Gesang und auch sehr im Spiel. Kraftvoll, prägnant, pointiert. Louise Alder hat als Fiordiligi die noch auffälligere Sopranarie im zweiten Akt. Klar, hell, rein, perfekt prononciert. Sopranistin Sandrine Piaus Despina ist stimmlich wendig, agil, aktiv. Christian Gerhaher ist Don Alfonso. Der Spielleiter oder Rektor dieser Schule der Liebenden. Der Strippenzieher, stimmlich elegant und souverän, ich mag sein tiefes seidenweiches Timbre sehr. Alle Stimmen haben gefühlt unendlich viele Kraftreserven, sie schöpfen alle aus dem Vollen und beglücken mich.

Così fan tutte 2022, L. Alder, A. Amerau (c) W. Hoesl

Regisseur Benedict Andrews sorgt fürs Frivole, gelegentlich Anzügliche, Lustvolle. Das Bühnenbild ist durchaus offensichtlich etwa in Graffitis. Don Alfonso und Despina werden anfangs als Sexpaar mit sado-masochistischen Utensilien eingeführt. Es leuchtet der Spruch des Teiltitels: La scuola degli amanti – Die Schule der Liebenden. Was heißt das hier? Liebe ist ein Gefühlsgut, dass sich wie die Fahne nach dem Wind richtet, je nachdem wo sich Erfüllung bietet. Darin liegt der Grund der ziemlich unethischen Wette zwischen den jungen Männern Guilelmo und Ferrando, die auf die Treue ihrer Verlobten wetten gegen Don Alfonso. Wer verrät die Liebe mehr? Die, die auf oder gegen sie wetten oder die verführten und sich anheimgebenden Frauen?

Così fan tutte 2022, K. Krimmel, A. Amerau (c) W. Hoesl

Dem heutigen Publikum jedenfalls missfallen die dargestellten Anzüglichkeiten nicht aktiv. Mindestens ist es ihm also nicht wichtig genug. Bei all den wunderbaren Stimmen, der konzentrierten musikalischen Spannung. Am Ende werden die sechs Protagonisten und der Dirigent intensiv dafür beklatscht.

 

Spielerische liebevolle Details vollenden die Inszenierung. Ein einzelnes Rosenblatt flockt erst rechts dann links vom Bühnenhimmel, meine Sitznachbarin erkennt wie ich darin inszenatorische Absicht. Avery Amereau zeigt sportliche Qualität, die Autotür verschlossen, taucht sie durchs offene Fenster auf den Sitz. Genügend Einfälle, die den Rahmen nie langweilig werden lassen, doch nicht ablenken vom Wesentlichen. Ich behalte den Fokus auf die Sänger und Sängerinnen.

Sechs Personen, eine Handlung, bei der die Umgebung fast keine Rolle spielt. Zu viel, zu großer Raum, das ist die Herausforderung, die Magda Will meistert. Sie erreicht die räumliche Verkleinerung durch Kästen, die auf die Bühne gefahren werden. So werde ich fokussiert auf die Sängerinnen und Sänger. Ein Zimmer, eine Dachschräge, eine Garage mit Auto, das dramatisch bis wollüstig genutztes Inventar ist. Eine knallbunte Burg in drei Größen. Das dramatische Ende, der Fall der Damen, dokumentiert durch die Hochzeit mit den falschen Herren. Die Auflösung des Ränkespiels, bei dem Don Alfonso Despina hereinlegt und die beiden jungen Herren bloßstellt. All das spielt sich ab auf der großen überwiegend dunklen lichtgespotteten Bühne. Die spannungsgeladene Luft darf hier Raum greifen.

Musikalisch schauspielerisch ist dieser Abend für mich perfekt. Mein Herz hüpft beglückt, als ich am milden Novemberabend heimradele.

Frank Heublein, 3. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte Royal Opera Covent Garden, 28. Juni 2022 (Wiederaufnahme)

Wolfgang Amadeus Mozart, „Così fan tutte“ Garsington Opera, 10. Juni 2022

Wolfgang Amadeus Mozart, Cosí fan tutte, English National Opera, London Coliseum, 20. März 2022

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Premiere am 3. Oktober 2021

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