Foto: Höhne (c)
Elbphilharmonie, Großer Saal, 29. Juni 2017
Daniel Barenboim
Staatskapelle Berlin
Richard Wagner – Vorspiel und Liebestod / aus: Tristan und Isolde
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 9 d-moll
von Ricarda Ott
Der Blick aufs Programm lässt keine Zweifel offen: Es ist ein Konzert der Superlative. Daniel Barenboim. Die Staatskapelle Berlin. Die Komponisten Wagner und Bruckner. Das sind nicht nur programmatisch zwei Ausrufungszeichen. Mit Barenboim steht legendäre Klassikprominenz am Pult der Elbphilharmonie.
Als der 74 Jahre alte Genius mit kurzen, festen Schritten die Bühne betritt, scheint er umgeben zu sein von einer musikalischen Aura. Seit weit über sechs Jahrzehnten strukturiert, bedingt und erfüllt die Musik den Alltag des einstigen Wunderkindes am Klavier. Zuletzt das wertvolle politische Engagement Barenboims im Rahmen seines Projekts des West-Eastern Divan Orchestra, in dem zu gleichen Teilen israelische und arabische Musikern spielen, die sich für friedliche Lösungen im Nahostkonflikt einsetzen. Unvergessen seine legendären und Maßstäbe setzenden Interpretationen bedeutender Komponisten mit Solisten und Orchestern rund um den Globus. All das scheint sich um ihn herum angesammelt zu haben, folgt ihm und leitet ihn.
Mit einer schnellen Handbewegung macht er auf dem Podest deutlich: Schluss jetzt mit dem Begrüßungsapplaus. Hier geht es um Musik!
Zunächst um Instrumentales von Richard Wagner: Vorspiel und Liebestod aus Tristan und Isolde (1857-1859). Dieser Tristan-Akkord, ein klingendes Dilemma zwischen Autonomieanspruch und zwingender Auflösung, der magisch anzieht und radikal abweist. Wagners Komposition gleicht einmal mehr einer tönenden Essenz verdichteter, menschlicher Empfindungen, die tief im Inneren berührt.
Diese tönende Essenz interpretieren die versierten Musikern und Musikerinnen der Staatskapelle Berlin herrlich. Grenzenlos dynamisch reagieren sie aufeinander, schwellen miteinander an zum kollektiven Höhepunkt und differenzieren sich in Sekundenschnelle wieder auseinander.
Barenboim führt hier nicht bloß Einstudiertes auf. Mit den Noten sind alle bestens vertraut – der Maestro dirigiert ohne Partitur –, hier wird am Moment gearbeitet. Barenboims Gestik ist zurückhaltend, schlicht. Es sei denn er möchte etwas: Dann wedelt er unmissverständlich in Richtung der hinteren Pulte der 1. Geigen und schon erklingen sie plastischer. Oder er winkt die ersten Streicherpulte radikal ab, weil gerade in der Flöte eine zarte Melodie erklingt. So wird jeder Takt zu einem bewusst geformten Moment, und gemeinsam erwächst daraus eine wunderbare Interpretation der Wagner’schen Tonsprache.
Gleiches passiert anschließend auch in Anton Bruckners unvollendet gebliebener 9. Sinfonie (1887-1894). Sie ist raumeinnehmend, mächtig und bisweilen ziemlich laut. Gerade im ersten Satz dominieren zeitweise gewaltige unisono-Läufe und Oktavsprünge abwärts. Oder das kollektive brachial-rhythmisierte Stampfen der Streicher im zweiten Satz. Nie scheint ein Takt überspielt zu werden, weniger ausgespielt und geformt zu sein als der vorherige. Stets wird agiert, stets das Niedergeschriebene ausgekostet.
Barenboim formt am meisten. Mit seinen Händen bedient er einen unsichtbaren Regler, dreht auf und ab, reagiert immerfort auf das, was da erklingt. Dass man es mit einem absoluten Spitzenorchester zu tun hat – und dass Barenboim und die Staatskapelle Berlin wohl vor allem deshalb so gut miteinander können –, merkt man dann, wenn Barenboim die Arme sinken lässt und das Orchester in Eigenregie ganz sich selbst überlässt. Unauffällig gliedert er sich dann aber meist schnell wieder ein, und es wird klar, dass es immer um das gemeinsame Werk geht. Nicht um das Abliefern, sondern um das stete Kreieren des Konzertes.
Das fordert immense Konzentration und körperlichen Einsatz – erst am Samstag hat Barenboim in Berlin die Premiere der Oper „Die Perlenfischer“ von Georges Bizet an der Staatsoper im Schiller Theater dirigiert. Mehrmals streicht er sich mit einem weißen Tuch über sein Gesicht, nach dem 2. Satz trinkt er in wenigen Momenten sogar ein ganzes Wasserglas leer, das ihm ein Violinist reicht. Plötzlich wird der Maestro menschlich, fast nahbar, und simultan steigen Respekt und Bewunderung. Es ist ein Abend der Superlative. Hier verrichtet ein Meister bodenständig und menschlich seine Arbeit.
Ricarda Ott, 30. Juni 2017, für
klassik-begeistert.de
Vielen Dank für die schöne und ausführliche Besprechung dieses Konzerts. Hier ist unserer Eindruck:
Mittlerweile kennen wir die Elbphilharmonie und wissen, dass man mindestens 20 Minuten vor Beginn am Haupteingang sein muss, um in aller Ruhe zu seinem Platz zu gelangen. Es dauert schon eine Weile, die lange Rolltreppe hoch zu fahren und dann noch 7 Etagen bis zur Ebene 16, Block S zu gelangen. Der Ausblick aus dieser Höhe auf die Stadt ist aber immer noch phänomenal. Nun besteigt man ja auch nicht monatlich den Michel, sondern allenfalls mit Gästen.
Was den Aufstieg in den Olymp der Elbphilharmonie unverändert lohnt, ist die grandiose Akustik bei Orchesterkonzerten. Schon das Einstimmen der Instrumente zeigte, wie klar, volltönend die Tonimmission, das heißt hier der Klang im Raum ist.
Daniel Barenboim leitete die Berliner Staatskapelle. Am Anfang standen Vorspiel und Liebestod aus Richard Wagners Tristan und Isolde, danach folgte ohne Pause die 9. Sinfonie von Anton Bruckner. Wie die Piani aus dem Tristanvorspiel sehr leise, aber mit vollem, warmen Klang im Raum standen und die Seele berührten, war schlicht großrartig. Das ist natürlich dem hervorragenden Orchester zu danken, wäre aber ohne Toyotas Akustik so nicht vorstellbar. Das Leise kommt voll, warm und klar, das laute sprengt nicht den Raum, sondern bleibt immer noch Klang. Wie beeindruckend sonor klingen bei Bruckner die Tieftöner wie die Tuba oder die Kontrabässe, das geht unter die Haut. Wie voll erreicht der Harfenklang (Tristan) noch das Ohr, einfach grandios. Dieses Klangereignis in der Elbphilharmonie werden wir nicht mehr missen wollen und nehmen dafür den mit der Zeit langatmigen Aufstieg in den Olymp weiter auf uns.
Ralf Wegner
Ich möchte mich auch bedanken für diesen respektvollen Bericht. Respektvoll gegenüber Daniel Barenboim. Respektvoll, aber nicht schleimend. Einfach in kurzen Worten umschrieben, dass er ein ganz Großer, etwas Besonderes ist in unserer heutigen Zeit.
Jürgen Pathy, Klassikpunk