Götterdämmerung, Richard Wagner
Staatsoper im Schiller Theater, Berlin, Sonntag, 19. Juni 2016
Nach vier Stunden und 25 Minuten „Götterdämmerung“ ist die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Staatsoper im Schiller Theater vorbei. Während Walhall in Flammen aufgeht, erleben die Menschen in höchster Ergriffenheit den Untergang des Göttergeschlechts. Damit enden insgesamt 15 Stunden „Ring“, entstanden zwischen 1848 und 1874 in 26 Jahren, in denen sich Wagner vom 34 Jahre alten Revolutionär zum 60 Jahre alten situierten Komponisten entwickelt hatte.
Nach dem Ende des Schlusstaktes branden minutenlang tosender Applaus und lautstarke Bravo- und Bravi-Rufe im Schiller Theater auf: sie gelten der „Götterdämmerung“ und dem gesamten „Ring“, der vor allem in musikalischer Hinsicht überwältigend ist. Alle Sänger boten gute bis phantastische Leistungen, die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim, einem der herausragenden Dirigenten der Gegenwart, präsentierte sich als überzeugendes Wagner-Ensemble, das ein ebenso beglückendes Klangbild zu erzeugen vermag wie das Orchester der Bayreuther Festspiele und das Orchester der Wiener Staatsoper.
Kurzum: Dieser „Ring“ berauscht. Er dürfte musikalisch zu den besten unserer Zeit gehören. Wagners Magnum opus weckt Emotionen im Menschen und rührt zutiefst.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist bei der Premiere voll des Lobes für den dritten Tag des Bühnenfestspieles: „Diese Götterdämmerung bannt einen von den ersten auratischen Harmoniewechseln des Vorspiels an mit seinen seidig strömenden Streicherwogen, dem zärtlichen Um- und Ineinander der Motive, den vergoldeten Klängen der Bläser. Daniel Barenboim erzählt mit seiner Staatskapelle dieses letzte, todtraurige Kapitel der Tetralogie mit einer seltenen Eindringlichkeit, ja, einem Ton persönlicher Anteilnahme und Wahrhaftigkeit. Pures Wagner-Glück.“
Auch Der Tagesspiegel ist begeistert: „Aus dem Graben zaubert Daniel Barenboim einen oft kammermusikalischen Klang empor. Der Auftakt zur ‚Götterdämmerung’ mit ihrer prächtigen Summe aller ‚Ring’-Musik gerät kaum fassbar wundervoll: Wie aus dem Nichts und zugleich inmitten eines Kontinuums erklingen die ersten Takte, so zart, zugewandt, selbstverständlich.“
Für die Verleger Barbara, 58, und Stefan Weidle, 63 (Weidle Verlag, Bonn/Berlin) ist es nach „Rheingold“ am Theater Bonn und „Siegfried“ an der Deutschen Oper Berlin der erste geschlossene „Ring“ ihres Lebens. „Es ist wirklich kaum zu beschreiben, wie großartig dieses Werk ist“, sagt Stefan Weidle. „Die Musik nimmt einen mit und zieht einen fort. Der ‚Ring des Nibelungen’ ist etwas, was man in seinem Leben einmal gesehen haben muss.“ Auch seine Frau Barbara Weidle ist hingerissen: „Das ist sicherlich nicht der letzte ‚Ring’, den wir gesehen haben. Alle menschlichen Dramen sind in diesem Stoff enthalten: Liebe, Gier, Machtstreben, Inzest.“
Tanja Hemme, 45, aus Berlin, gefällt an diesem Abend besonders Falk Struckmann als Hagen. „Ich habe den Bass bereits mit 17 Jahren als Parsifal am Theater Kiel gesehen und war begeistert. Es lohnt sich, den ganzen ‚Ring’ zu sehen, um ein Verständnis für das gesamte Werk zu bekommen.“ Peter Jansen, 55, aus Berlin sagt, die Musik des „Rings“ habe ihn die ganzen acht Tage über begleitet. Auch viele Bilder wie der Tod des Drachen Fafner unter einem weißen Tuch im „Siegfried“ haben sich bei ihm eingeprägt. „Das Werk hat sich mir vor allem über den Text erschlossen, den ich zuvor gelesen habe.“ Auch Karl-Heinz Droste, 57, sagt, man müsse sich auf den Sprachduktus Wagners einlassen. „Ich komme immer mehr zu Wagner, je älter ich werde“, sagt der Berliner. „Der künstlerische Ansatz dieses Genies rührt mich zunehmend.“ Die Berlinerin Elisabeth Kissler, 41, sagt, die Geschichte des „Rings“ mache sie traurig – „trotzdem gehe ich sehr gerne in die Vorführungen.“
Fast viereinhalb Stunden lang werden im Bühnenhintergrund Bilder projiziert – abstrakte Formen und verschwommene Gestalten, Wasser- und Feuerbilder, die an den Rhein und die brennende Burg Walhall erinnern. An den Videoinstallationen scheiden sich an diesem Abend die Geister: Tanja Hemme sagt, die Bilder „unterstützen die Handlung“ und findet die Inszenierung „dynamisch“. Michael Landenberg, 34, aus Berlin hingegen beschreibt die Animationen eines Urmenschen im zweiten Aufzug „als zu penetrant“. Und Wilfried Feldhusen, 55, aus dem niedersächsischen Wingst empfindet vor allem die Darstellung von Frauenbrüsten als „nicht angemessen“.
Der Berliner Rainer Unglehrt, 74, wartet nach diesem überwältigenden Abend in der U-Bahn-Station Ernst-Reuter-Platz auf die U 2 und bilanziert: „Der ‚Ring’ hat sich von einem Abend zum nächsten gesteigert. Die Sänger wurden immer besser – Andreas Schager als Siegfried und Iréne Theorin als Brünnhilde haben eine einzigartige Leistung geboten. Auch der Staatsopernchor singt eindringlich und bewegend. Ich bin noch richtig gefangen von der phantastischen Musik. Der einzige Wermutstropfen ist, dass dieser ‚Ring’ in der kommenden Saison nicht an der Staatsoper aufgeführt werden wird.“
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Andreas Schmidt, 20. Juni 2016