„Man geht nach Hause und ist überwältigt!“

„Siegfried“ von Richard Wagner
Staatsoper im Schiller Theater, Berlin, Mittwoch, 15. Juni 2016

Sie war 14 Jahre alt, da war Susanne Joost im Staatstheater Braunschweig mit ihrem Onkel Siegfried das erste Mal im „Siegfried“ – Richard Wagners gleichnamiger Oper, dem zweiten Tag des Bühnenfestspieles „Der Ring des Nibelungen“. „Es war meine erste Oper überhaupt – damals war sie mir mit ihren vier Stunden zu lang“, sagt die heute 66-Jährige aus dem brandenburgischen Kleinmachnow.


An diesem Mittwoch hört Susanne Joost „Siegfried“ zum zehnten Mal in ihrem Leben in der Staatsoper. „Mittlerweile ist es meine Lieblingsoper“, sagt die Opernliebhaberin. Und dieser Abend im ausverkauften Schiller Theater zeigt es: „Siegfried“ ist eine ganz wunderbare Oper, die zu unrecht im Ruf steht, der schwächste Teil des „Rings“ zu sein.

Es passiert im Gegensatz zur „Walküre“ und zum „Rheingold“ nicht allzu viel Dramatisches auf der von Guy Cassiers und Enrico Bagnoli gestalteten Bühne: Siegfried, der Sohn der bereits verstorbenen Wälsungen-Zwillinge Siegmund und Sieglinde, schmiedet das Schwert Notung. Er tötet den Drachen Fafner und seinen Ziehvater, den Zwerg Mime, mit dem Schwert Notung. Und er verführt die von Wotan verstoßene Walküre Brünnhilde mit seiner Leidenschaft ­– gemeinsam besingen sie mit wachsender Ekstase die „leuchtende Liebe“ und den „lachenden Tod“.

Aber es ist nicht nur dieser fulminante Schluss, der musikalisch begeistert: Die ganzen vier Stunden über blitzen in diesem mit einer Kompositionspause von zwölf Jahren (1857/1869) zwischen dem zweiten und dritten Aufzug komponierten Werk immer wieder feine, filigrane Passagen auf. „Das ist eine musikalisch sehr geschlossene Vorführung“, sagt Rainer Unglehrt, 74, aus Berlin, der den vierten „Ring“ seines Lebens besucht. „Die musikalische Krone gehört der phantastischen Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim.“

Das sehen auch Musikkritiker bei der Premiere so: „Wie Barenboim allein das Vorspiel zum zweiten ’Siegfried’-Akt Gestalt werden lässt, wie unheildrohend dort die tiefen Bläser den Zuhörern auf den Leib rücken und dabei noch betörende Tonschönheit produzieren, ist staunenswert“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. „Die Akustik des Berliner Schiller Theaters bietet ja einen viel direkteren Wagner-Klang als Bayreuths Festspielhaus, wo Barenboim vor einem Vierteljahrhundert schwere ‚Ring’-Arbeit leistete.“

Auch Die Welt ist begeistert: „Wie gute Vorleser können Barenboim und das mit ihm immer mehr verschmelzende Orchester quasi mit verschiedenen Stimmen sprechen, sich leise und klein machen, aber auch gleißen und auftrumpfen. Das alles ohne jede Mühe und Kiekser: Die Wucht ist weg von Wagner, man folgt dem fasziniert und mit wachsender Bewunderung.“

Der strahlende Held dieses Abends ist der Tenor Andreas Schager als Siegfried, er bekommt tosenden Applaus. Ich habe ihn bereits am 16. November 2015 als Erik im „Fliegenden Holländer“ an der Staatsoper im Schiller Theater gehört und am 22. Mai 2016 in der Oper Leipzig als Cola Rienzi in „Rienzi, der letzte der Tribunen“. Beide Male hatte er einen außergewöhnlich starken, präsenten Auftritt.

Als Siegfried setzt der 45 Jahre alte Österreicher mit der Ausstrahlung eines 35-Jährigen noch einen drauf: „Schager ist als Siegfried einzigartig“, resümiert der Berliner Rainer Unglehrt. „Seine goldene, kraftvolle Stimme gefällt mir noch besser als die von Jonas Kaufmann. Der Schager wird ein Jahrhundert-Tenor wie Wolfgang Windgassen. Schon als Parsifal hat er im März an der Staatsoper gesanglich und darstellerisch überzeugt.“ Im Sommer dieses Jahres wird Schager in Bayreuth den Erik im „Fliegenden Holländer“ singen – 2017 und 2018 als Nachfolger von Klaus Florian Vogt gar den Parsifal.

Auch Christine Lauth, 72, aus Berlin und Eva Moberg, 66, aus dem norwegischen Oslo sind von „Siegfried“ hingerissen: „Ich liebe Wagner“, sagt Christine Lauth. „Bei dieser wunderbaren Musik geht mir mein Herz auf. Das ist bereits mein siebter ‚Ring’ und der dritte in dieser Inszenierung. Ich habe schon Karten für den letzten Götz-Friedrich-Ring im April 2017 an der Deutschen Oper Berlin.“ Eva Moberg sagt, die Komposition des „Siegfried“ passe besonders gut zur nordischen Mythologie. „Diese Musik erfüllt einen richtig. Man geht nach Hause und ist überwältigt.“

Die Freundinnen Lena Bohnet, 22, und Sophia Jung, 27, studieren Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sie gehören an diesem Abend zu den jüngsten Zuschauern und haben die Karten „über sieben Ecken“ bekommen. „Es ist Wagner, man muss sich hinein hören“, sagt Sophia Jung. Lena Bohnet hat „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe noch besser gefallen als „Siegfried“.

Christian Schäfer, 78, aus Aachen besucht seinen siebten „Ring“ und empfindet Christina Gansch als Waldvogel an diesem Abend als „rhythmisch mitunter nicht sauber“ – dafür gefällt ihm die Lichtregie von Enrico Bagnoli und die Szene des sterbenden Riesen Fafner unter einem von fünf Tänzern geschwungenen Tuch.

Der im „Rheingold“ glänzende Jochen Schmeckenbecher als Alberich ist an diesem Abend nicht ganz so auffällig; Iréne Theorin hat ein unglaubliches Stimmpotenzial, singt bis zum hohen Schluss-C sehr energetisch und kraftvoll, teilweise aber mit einem etwas überzogenen Vibrato. Besondere Anerkennung verdienen Stephan Rügamers (Mime) und Andreas Schagers Hammerschläge. Beide machen das rhythmisch perfekt und singen auch noch schön dazu – Bravo!

Klassik-begeistert.de
Andreas Schmidt, 16. Juni 2016

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