Foto © Michael Pöhn
Gender-Mainstreaming ist beim „Rheingold“ angekommen – zumindest was die Stimmen betrifft. An der Wiener Staatsoper haben die Frauen die Hosen an: Fricka, Freia & Erda geben den Ton an. Dirigent Philippe Jordan und das Staatsopernorchester haben alles im Griff.
Richard Wagner, Das Rheingold
Wiener Staatsoper, 20. Juni 2025
von Jürgen Pathy
Plötzlich ist er da. Wie aus dem Nichts erscheint Musikdirektor Philippe Jordan am Pult der Wiener Staatsoper. Gerade eben noch hatte das Tonband gemahnt: „Please, turn off your mobile phones…“, da hebt der Schweizer schon den Taktstock. Kein Einzugsapplaus, keine Verbeugung, schnurstracks hinein in das „Rheingold“-Vorspiel. Epische 136 Takte, der Ur-Ton, aus dem sich die über 15 Stunden „Ring des Nibelungen“ entfalten.
Jordan und Schmeckenbecher im Steigflug
Die Marschrichtung ist klar: Aus dem ruhigen Brummen der Bässe wächst eine Klangwolke, die sich wie eine Naturgewalt ausbreitet. Die Atmosphäre: geladen, spannend, fast schon nervös wirken die Celli, Bratschen und Geigen, die nach und nach einsteigen. Diesen extrem pulsierenden Kontrast hat man so noch NIE gehört.
Irgendwie passend, da sie die Nähe von Alberich symbolisieren, der schon im Hintergrund lauert. Das Gold, die Macht, wird er an sich reißen, verlieren und den „Ring“ verfluchen – ein bisschen J.R.R. Tolkien übermannt einen dabei. „Herr der Ringe“, Smeagol, der arme Wicht – das Pendant zu Alberich, könnte man meinen.

Jochen Schmeckenbecher hat man diese gewichtige Rolle anvertraut – und der überrascht dabei genauso wie einige andere: Je länger dieser Abend dauert, umso nachdringlicher wird er, besser, überzeugender, umso tiefer zieht er einen in seinen Bann, bis hin zum Augenblick, als man ihm den Ring entreißt und er ihn verflucht.
Diesen Moment betont Philippe Jordan im lautesten Forte-Fortissimo-Knall, den man an der Wiener Staatsoper jemals gehört hat. Die Dynamiken hat Jordan aber fest im Griff: Könnte man ein Resümee ziehen, eine Conclusio nach knapp fünf Jahren Musikdirektor-Sein an der Wiener Staatsoper, dann wäre das eines – als Maestro ist er gekommen, als Kapellmeister zieht er von dannen.

Den Plan dahin spinnt Loge, der bei Daniel Behle anders anmutet als sonst: mozarteske Kantilenen fast, statt des nervösen Zappelphilipps, der viel Unruhe verströmt. Fafner, der Riese, alias Kwangchul Youn, überrascht ebenso fast schon mit lyrischem Liedgesang und weiten Gesangslinien. Auch Michael Laurenz als Mime bestätigt, was man von ihm kennt: pointiert, mit perfekter Diktion – genau der Typ Charaktertenor, den diese Rolle braucht.
Kein Regietheater-Firlefanz
Dass das an diesem Abend so gut gelingt, liegt auch an der Regie. Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung ist ganz auf das Wesentliche reduziert. Keine Sperenzchen, keine Aufreger, keine Regietheater-Attitüde. Schwarz-Weiß dominiert die Szene, das Bühnenbild ist kaum mehr als Andeutung. Alles steht im Dienst der Musik, der Geschichte, der Sänger.

Ein Wotan auf Bewährung
Nur Wotan alias Iain Paterson – der muss sich im Klaren sein: Die Hosen hat in diesem Walhall nicht der Mann an. Vielleicht liegt es am Damoklesschwert, das über allen Göttervätern der Wiener Staatsoper hängt: an Tomasz Konieczny, dem so schnell keiner das Wasser reichen können wird. Nicht nur von der Stimmgewalt, an die Paterson bei Weitem nicht herankommt. Auch in puncto Schauspiel hat Konieczny Maßstäbe gesetzt. Dennoch: Ganz so ernüchternd wie erwartet ist es dann doch nicht geworden. Die Überraschung vor allem – genauso wie bei Alberich: je länger der Abend, umso sicherer, umso kräftiger die Stimme.
Wer so singt, gehört auf den Walkürenfels
Den drei Frauen kann aber keiner das Wasser reichen. Ensemblemitglied Monika Bohinec macht als Fricka in wohltönendem Mezzo klar: Die Weisheit, die Ruhe, die Übersicht und die Vernunft liegen in ihrer Hand. Anna Kissjudit besetzt als Erda nur eine Mini-Rolle, aber ihre wenigen Worte haben viel Gewicht: „Alles, was ist, endet“.

Und bei Regine Hangler fragt man sich sowieso jedes Mal aufs Neue: Warum lässt Staatsoperndirektor Bogdan Roščić sie nicht als Brünnhilde auf die Bühne? Entweder hat sie die falsche Agentur (Hilbert Artists Management) im Rücken, oder es sind andere Animositäten, die Roščić diesen Schachzug möglicherweise verwehren.
An der Qualität kann es nicht liegen. Denn als Freia verdeutlicht Hangler eines: Mit diesem strahlenden Sopran, bei dem man JEDES Wort versteht, stellt sie locker andere in ihren Schatten – und zwar ohne alles zu erdrücken. Anders als bei der nordischen Überstimme, die derzeit als Brünnhilde durch die Feuilletons donnert. Wäre Wien mutiger, hätte Regine Hangler schon den Walkürenfels erstürmt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 21. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Herbert hört hin 5: Wahre Sternstunden Wiener Staatsoper, 1. Mai 2025