Ein funkelndes Glanzlicht mit Perfektion und Poesie

Der Nussknacker, Choreografie John Neumeier  Nationaltheater München, 4. November 2025

Der Nussknacker, Ensemble © Nicholas MacKay

Der Nussknacker
Choreografie: John Neumeier
Komponist: Peter Tschaikowski

Inszenierung und Choreografie: John Neumeier
Bühne und Kostüme: Jürgen Rose

Bayerisches Staatsorchester
Azim Karimov, musikalische Leitung

Ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Bayerisches Junior Ballett München
Bayerisches Staatsorchester

Nationaltheater München, 4. November 2025

von Barbara Hauter

Gestern Abend wurde bestätigt, was viele längst spüren: Das Münchner Staatsballett ist die leuchtende Krone des deutschen Tanzes. Die Zeitschrift „tanz“ verlieh im rauschenden Schlussapplaus – und in Anwesenheit des großen Choreografen John Neumeier – den erstmals verliehenen Kritikerpreis Glanzlicht. Einhellig lobten die Beobachter die außergewöhnliche technische Brillanz und den künstlerischen Tiefgang der Münchner Kompanie.

Wie passend, dass es an diesem Abend um nichts Geringeres ging als um die Poesie der Kunst selbst. Nach sechs Jahren Pause kehrte Neumeiers legendärer „Nussknacker“ auf die Bühne zurück – jene Fassung, die er 1971 erstmals in Frankfurt schuf. Kein weihnachtliches Märchen, sondern eine feinfühlige Coming-of-Age-Geschichte: Marie feiert ihren zwölften Geburtstag, steht an der Schwelle des Erwachsenseins. Der Nussknacker ist das Symbol ihrer Kindheit – und doch zieht sie eine Sehnsucht nach dem Tanz, nach der Welt der Kunst, in eine neue Sphäre. Drosselmeier, ihr Ballettmeister, öffnet ihr mit feinem Humor und unzähligen Anspielungen auf die Ballettgeschichte die Tore zu dieser poetischen Sprache.

Der Nussknacker, Zhanna Gubanova © Nicholas MacKay

Im ersten Akt sehen wir Marie noch als Kind, umgeben von der eleganten Biedermeiergesellschaft: den gestrengen Eltern, Konsul und Konsulin Stahlbaum (präzise und harmonisch: Florian Ulrich Sollfrank* und Elvina Ibraimova*), Bruder Fritz (lebhaft: Frederick Stuckwisch*) mit seinen Kadettenfreunden, Schwester Louise (leuchtend: Laurretta Summerscales) und natürlich Drosselmeier (charismatisch: Soren Sakadales*).

Der Nussknacker, Zhanna Gubanova © Nicholas MacKay

Die Ukrainerin Zhanna Gubanova* berührt als Marie mit zarter, fast zerbrechlicher Anmut – ein Staunen liegt in jedem ihrer Blicke. Man möchte kaum glauben, dass hier eine Erwachsene tanzt. Und doch spürt man in ihr schon das Aufkeimen von Reife und Sehnsucht: Ihre Zuneigung gilt Günther (edelmütig: Julian MacKay*), dem Anführer der Kadetten. Von Drosselmeier erhält sie schließlich die Spitzenschuhe – das Symbol ihres Übergangs in die Welt der Erwachsenen.

Dann der Traum.

Der zweite Akt beginnt in kühler Klarheit: Eine leere Probensaal-Szene, eine Ballettstange, Stille. Marie beobachtet, versucht, lernt. Drosselmeier ermahnt, fördert, lässt sie langsam eintreten in die Welt des Tanzes. Und plötzlich verwandelt sich die Bühne – in ein Kaleidoskop der Farben, Klänge und Zitate.

Der Nussknacker, Soren Sakadales, Laurretta Summerscales © Nicholas MacKay

Ein Feuerwerk an Choreografien entfaltet sich, Reverenzen an Marius Petipa, den Vater des klassischen Balletts. Eine spanische Tänzertruppe (mitreißend: Maria Chiara Bono, Anastasiia Uzhanskaia, Chiara Vitali, Nikita Kirbitov und Pablo Martínez) entfacht Lebenslust, ein chinesischer Vogel (Lizi Avsajanishvili*) flattert hinreißend leicht, ein ägyptisches Paar (Florian Ulrich Sollfrank* und Elvina Ibraimova*) erstrahlt in königlicher Eleganz. Lebende Gärten, tanzende Leutnants, funkelnde Pas de deux – alles verschmilzt zu einem rauschhaften Fest der Fantasie.

Soren Sakadales* gibt seinem Drosselmeier – mit einem Hauch von König Ludwig-Exzentrik – Witz, Ironie und theatralische Größe.
Trotz des erstaunlich jungen Publikums ist Neumeiers Nussknacker kein Kinderballett, sondern eine poetische Meditation über Entwicklung, Sehnsucht und Berufung – fast eine autobiografische Reflexion über das Leben im Tanz.

Der Nussknacker, Soren Sakadales, Zhanna Gubanova © Nicholas MacKay

Ein schönes Detail: Alle mit * gekennzeichneten Tänzer gaben an diesem Abend ihr Rollendebüt. Auch sie erzählten von Aufbruch und Wandlung – ein Spiegel der Geschichte selbst. Der Mut, so viele Neue auf die Bühne zu bringen, hat sich in jeder Sekunde ausgezahlt: Die altbekannte Geschichte leuchtet neu, frisch, lebendig – so wie Marie, die in ihrem Traum neue Wege beschreitet.

Und über allem schwebt die Musik: Das Bayerische Staatsorchester unter Azim Karimov entfacht einen Tschaikowski von schillernder Brillanz – leicht, dramatisch, prächtig, zart nuanciert.

Bravo, Münchner Staatsballett.
Ein Abend, der leuchtet – in Herz und Erinnerung.

Barbara Hauter, 3. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung: 

Marie:  Zhanna Gubanova
Ballettmeister Drosselmeier:  Soren Sakadales
Günther:  Julian MacKay
Louise:  Laurretta Summerscales

Ballett Der Nussknacker, John Neumeier Staatsoper Hamburg, 5. Januar 2025

Richard Wagner, Das Rheingold Nationaltheater München, 28. Juli 2025

Richard Wagner, Lohengrin Nationaltheater München, 27. Juli 2025

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