Das Gute: Barrie Kosky lädt nicht ein, er nimmt mich einfach mit – schtakka – also zur Dragqueenparty. Sie könnten einwenden, dass Die Fledermaus jetzt ganz und gar nicht in Flitzefummel passt. Ich versichere Ihnen, das Publikum und ich waren einhellig begeistert, Teil dieser Dragparty gewesen zu sein. Für mich ist das Publikum eine Überraschung. So ausgelassen, mitgerissen habe ich das Münchner Publikum der Bayerischen Staatsoper selten erlebt.
Die Fledermaus © W. Hoesl
Die Fledermaus
Komponist Johann Strauß
Libretto von Richard Genée nach der Komödie Le Réveillon von Henri Meilhac und Ludovic Halévy in der deutschen Bearbeitung von Karl Haffner.
Musikalische Leitung Vladimir Jurowski
Inszenierung Barrie Kosky
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Nationaltheater, München, 28. Dezember 2023
von Frank Heublein
An diesem Abend wird Die Fledermaus von Johann Strauß im Nationaltheater in München aufgeführt.
Würden Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, mehr als kurz zusammenzucken, wenn ich Sie zu einer Dragparty ausführen wollte? Meine 16 Jahre alte Nichte würde anfügen: „no offence“. Ich nehme an, der größte Teil der um mich Sitzenden im Publikum hätte dieses Angebot ausgeschlagen.
Das Gute: Barrie Kosky lädt nicht ein, er nimmt mich einfach mit – schtakka – also zur Dragqueenparty. Sie könnten einwenden, dass Die Fledermaus jetzt ganz und gar nicht in Flitzefummel passt. Ich versichere Ihnen, das Publikum und ich waren einhellig begeistert, Teil dieser Dragparty gewesen zu sein. Für mich ist das Publikum eine Überraschung. So ausgelassen, mitgerissen habe ich das Münchner Publikum der Bayerischen Staatsoper selten erlebt.
Es war kein leichtes Jahr 2023. Ich zumindest habe die Schwere des Jahres, die gefühlte Last des „immer-noch-ein-Päckchen-mehr“- an diesem Abend vergessen. Mir war leicht und mir schwingt sie nach, die Leichtigkeit.
Es mag sein, dass die Leichtigkeit, dieser befreiende Moment, ein guter, ein ausgelassener Augenblick, lange nicht so rausdurfte wie an diesem Abend während der Aufführung. Nicht nur Szenenapplaus, auch ein ausströmendes uahhhhh formt sich da im Publikum während des Spiels. Am Ende hätte der Saal getanzt, die Stühle allein waren der Hinderungsgrund.
Dass ich mich vergnüge, an nichts anderes denke, das schafft diese Aufführung. Kosky hat keine Angst vor dem imposant-großen Bild. Es sind die liebevollen, sehr genauen Details, die diese großen Bildern ihre Präsenz verleihen. Die Kostüme – von Klaus Bruns – des Chors etwa sind der Hammer. Unglaublich individuell, jede Person sieht anders aus. Ziemlich queer und drag’n’roll. Gesanglich ist der Bayerischer Staatsopernchor auf den Punkt. Die Chorszenen sind eine Woge der befreienden Ausgelassenheit. Perfekt.
Präzise, in der Dynamik sehr pointiert austariert, leitet Vladimir Jurowski das Bayerische Staatsorchester. Der Graben trägt die Bühne. Grandios.
Prinz Orlofsky wird von Counter Andrew Watts verkörpert. Eine umgedrehte Hosenrolle. Toller Regiekniff. Ob im Türkiskleid mit üppigen Federbuschkopfschmuck, im beigen Pelzmantel oder Renaissance ausladenden grünen Kleid mit Federstahl-Reifrock. Eine Dragqueen par excellence. Und er-sie kann Party! Andrew Watts Sopran ist streng und glasklar.
Der Gefängnisdirektor Frank kommt von der Party in anderer Kleidung heim als er hinging. Was da so alles in seinem engen Glitzerhöschen versteckt ist, müssen Sie selber entdecken. Jedenfalls zeigt Bassbariton Martin Winkler komödiantische Größe. Auch schon im ersten Akt in der Trioszene gemeinsam mit Alfred und Rosalinde, da nur feiner, gut timbriert. Seine sonore Stimme ist es sowieso.
Der Bariton Georg Nigl gibt den Gabriel von Eisenstein schauspielerisch überzeugend souverän. Seine Stimme, er singt eine für Tenor ausgewiesene Rolle, umschlingt mich warm, sie lockt und umschmeichelt mein Ohr. Bis seine Rosalinde ihm Mores lehrt. Auch sie ist der Verführung mächtig. Das Duett mit Rosalinde im zweiten Akt, in der er versucht, sie zu erobern, da er sie nicht erkennt unter ihrer Maske, gerät zu einem Battle. So sehr werben verführend die beiden einander. Wunderbar.
Solistisch sind es die Frauen, die mir im Ohr bleiben. Sopranistin Katharina Konradi singt die Adele. Das Stubenmaderl mit Talent zum Theater. Ha! Im ersten Akt „das schreibt meine Schwester Ida“. Das bin ich tief drin in der Fledermaus Welt. Im zweiten Akt „Mein Herr Marquis, ein Mann wie Sie“ oder im dritten Akt „Spiel ich die Unschuld vom Lande“. Keck, frech, elastisch-schwungvoll singt und spielt sie. Herzerwärmend.
Sopranistin Diana Damrau ist die Rosalinde. Ihren stimmlichen Turbo zündet sie beim Csárdás, mit dem sie allen auf und vor der Bühne mindestens mir den Kopf verdreht. Lasziv, betörend gefährlich im Sinne von Abenteuer, das vermittelt ihre äußerst nuancierte Stimme mir in diesem Moment. Ihre komödiantische Ader greife ich mit ganzem Herzen. Meine Glut lodert oder so ähnlich, diese Rosalinde verwirrt mich.
Ich gehe in die Einzelheiten, doch: es liegt an allen. Hier ist alles richtig. Die Ouvertüre wird zum Fledermausballett-Alptraum. Cool. Die Bühne dreht, rotiert, changiert und ist genau dann leer, wenn sie den großen Chor fassen muss. Das Licht, etwa im zweiten Akt, wenn Lichterlüster vor einem gewellten Spiegel herabgelassen werden. Fließen wie flüssiges Gold in den Spiegeln herab. Sowieso ist der zweite Teil des zweiten Aktes ein Flash nach dem anderen. Ich möchte da capo rufen, da kommt schon die nächste Szene, bei der ich da capo fordern will. Frosch I Max Pollak rockt steppend den Saal zu Beginn des dritten Aktes. Alles – außer dem pinken Sofa im ersten Akt, das webt sich nur so mittel – sonst aber wirklich alles webt sich harmonisch ineinander.
Die umgedrehte Inklusion, die Mehrheit des von mir unterstellt binär geprägten Publikums wird inkludiert in die Minderheit des auf der Bühne dargestellten queeren Non-binären. Bei all dem Vergnügen, den mir diese Aufführung macht, ist diese aus meiner Sicht wichtige soziale Botschaft nicht nur Zuckerl, sondern treibt meine Hoffnung auf mehr Offenheit – und Gelassenheit – gegenüber diversen Lebensformen.
„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“. Nö, an Änderung habe ich an diesem Abend keinen Bedarf. Ich lasse es geschehen. Es ist um mich geschehen. Es ist gut, mehr als gut, so wie es ist. Ein Moment zum Festhalten. Zum Umarmen. Glück durch anhaltende Erinnerung.
Frank Heublein, 29. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Choreographie Otto Pichler
Bühne Rebecca Ringst
Kostüme Klaus Bruns
Licht Joachim Klein
Chor Christoph Heil
Dramaturgie Christopher Warmuth
Gabriel von Eisenstein Georg Nigl
Rosalinde Diana Damrau
Frank Martin Winkler
Prinz Orlofsky Andrew Watts
Alfred Sean Panikkar
Dr. Falke Markus Brück
Dr. Blind Kevin Conners
Adele Katharina Konradi
Ida Miriam Neumaier
Frosch I Max Pollak
Frosch II Franz Josef Strohmeier
Frosch III Danilo Brunetti
Frosch IV Giovanni Corrado
Frosch V Deniz Doru
Frosch VI Oliver Petriglieri
Balltänzerinnen und Ballettänzer Luissa Joachimstaller, Emma Kumlien, Lisa König, Kristina Stebner, Antonia Čop, Danilo Brunetti, Giovanni Corrado, Deniz Doru, Joseph Edy, Jon Olofsson Nordin, Oliver Petriglieri, Jeremy Rucker