Gabriel Barbosa und Greta Jörgens (Stars der Revue), Javier Monreal (Medwedenko), Charlotte Larzelere (Mascha), Louis Haslach (Sorin, Kostjas Onkel), Francesca Harvey (Nina), Caspar Sasse (Kostja), Ida Praetorius (Arkadina, Kostjas Mutter), Daniele Bonelli (Trigorin), Florian Pohl (Dorn), Ida Stempelmann (Maschas Mutter), Pepijn Gelderman (Schamrajew, Maschas Vater) und das Ensemble (Foto: RW)
Der 22-jährige Caspar Sasse charakterisierte seine Rolle im Vergleich zur von Melancholie geprägten Darstellung des 23-jährigen Louis Musin mit expressiverem Ausdruck und einer ihn von innen fast zerreißenden Wut auf die Widrigkeiten des Lebens. Wie er seine Mutter fast wie ein übergriffiger Tiger anfauchte, war schon von bemerkenswerter spielerischer Intensität.
Die Möwe, Ballett von John Neumeier
Musik weitestgehend von Dmitri Schostakowitsch
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung Nathan Brock
Am Klavier: Ondrej Rudcenko
Hamburgische Staatsoper, 25. September 2025
von Dr. Ralf Wegner
Alle 10 Hauptpartien waren neu besetzt, und das aus einem Ensemble von nur 61 Tänzerinnen und Tänzern. Wem gebührte heute die Krone? Abgesehen von dem Hauptpaar Caspar Sasse (Kostja) und Francesca Harvey (Nina), die beide noch Gruppentänzerstatus inne haben, vor allem Ida Stempelmann als untreue Polina und Florian Pohl als der von ihr begehrte Arzt Dorn sowie Charlotte Larzelere als liebeskranke Mascha und Javier Monreal als sie verehrender Lehrer Medwedenko.
Ida Stempelmann beherrscht mit ihrer Aura die Szene wie einst Emilie Mazon, die noch vor 7 Jahren eine erinnerungswürdige Nina tanzte. Wie Stempelmann recht ungeniert den stolz seine Muskeln präsentierenden Florian Pohl umgarnte, ihn fast liebkoste und ihrem Ehemann Schamrajew (Pepijn Gelderman) die Hörner zeigte, war beeindruckend ausdruckstark getanzt und einer der Höhepunkte des ersten Aktes. Im zweiten Akt nahm sie, innerlich mitleidend, an der seelischen Qual ihrer Tochter teil, sich nicht mit dem geliebten Kostja vereinen zu können.
Ein Bild wie aus dem Stück: Der Liebhaber Dorn (Florian Pohl) übergibt Polina (Ida Stempelmann) den zugeworfenen Blumenstrauß, während ihr Ehemann (Pepijn Gelderman) von der Seite zuschaut (Foto: RW)
Charlotte Larzeleres Pas de deux im zweiten Akt mit dem ebenfalls ausdrucksstarken Javier Monreal berührte nicht nur inhaltlich, sondern gehörte auch tänzerisch zu den Höhepunkten des Schlussteils des Balletts. Da war das, was ich als Legato beim Paartanz bezeichnen würde, harmonisch fließende Bewegungen, die sich der Erdenschwere entziehen.
Auch der klassische kaiserliche Pas de deux von Ida Praetorius als Arkadina und Daniele Bonelli gelang erstklassig. Vor allem zeigte Bonelli seine technische Perfektion mit gelungenen Doppeldrehungen in der Luft. Man merkte aber auch, dass er darstellerisch nicht die Neumeierschule durchlaufen hat. Als Trigorin blieb er im ersten Akt jünglingshaft blass. Was Arkadina an ihn fesselte und warum Nina sich zu ihm erotisch hingezogen fühlte, konnte Bonelli im Vergleich zu Matias Oberlin nicht genügend vermitteln.
Schwieriger hatte es auch der erst 25-jährigen Louis Haslach als Interpret des liebenswerten, aber auch leicht vertrottelten Gutsbesitzers Sorin. Wie Haslach in der Eingangssequenz die Treppe herunterstolperte und sich ausrollte, gleich wieder aufsprang, zeugte eher von Jugend und weniger einem älteren freundlichen Herrn, der sich bei diesem Sturz sicher alle Knochen gebrochen hätte. Haslach betonte mehr das Komödiantische der Rolle, streifte aber manchmal die Grenze zum Clownesken. Er hatte allerdings auch die außerordentlich undankbare Rolle, in die großen Schuhe von Alexandre Riabko zu schlüpfen, der in den beiden vorangegangenen Aufführungen den kleinen Part des Sorin ernster, bedächtiger und voll innerer Würde anlegte, ohne je komisch zu wirken.

Der 22-jährige Caspar Sasse charakterisierte seine Rolle im Vergleich zur von Melancholie geprägten Darstellung des 23-jährigen Louis Musin mit expressiverem Ausdruck und einer ihn von innen fast zerreißenden Wut auf die Widrigkeiten des Lebens. Wie er seine Mutter fast wie ein übergriffiger Tiger anfauchte, war schon von bemerkenswerter spielerischer Intensität. Beide Darstellungen, die von Musin und die von Sasse sind in sich schlüssig und herausragende Leistungen dieser noch jungen Hamburger Balletttänzer.
Insoweit passte es bei der gestrigen Aufführung auch, dass die Arkadina von Ida Praetorius weniger narzisstisch selbstverliebt als Anna Laudere auftrat und durchaus Furcht vor ihrem großen Jungen zeigte. Francesca Harveys Nina ist nur zu loben, mit ihrem hinreißenden Polka-Solo im zweiten Akt ließ sie den Liebeskummer hinter sich und öffnete sich mit zunehmender Fröhlichkeit der auf sie wartenden Zukunft. So fällt ihr der Abschied von Kostja auch nicht schwer. Da wirkte es fast ironisch, wenn sie sich Trigorin am Ende noch einmal hingebungsvoll nähert.
Mit lang anhaltendem, begeisterter Beifall bedankte sich das Publikum beim Ensemble nach der Vorstellung. In den Beifall eingeschlossen wurden auch die Leistungen des Philharmonischen Staatsorchesters unter der Leitung von Nathan Brock sowie des Pianisten Ondrej Rudcenko.

Nachtrag zur Neumöblierung
Während ich mich in der Besprechung der Wiederaufnahme dieses Balletts vom 21. September noch diskret positiv über die künstlerischen Veränderungen im Haus äußerte, wirkte die neue Möblierung im Foyer des 4. Rangs nun doch eher wie zusammengeschustert.
Und viel schlimmer ist, dass die das Treppenhaus stärker erhellenden, farbvariierenden Leuchtkästen mittlerweile wie von Vandalenhand überklebt wurden, und zwar mit den graphisch misslungenen Seiten des völlig leseunfreundlichen Programmbuchs der ersten Saison von Tobias Kratzer. Auch wenn die Seiten hinter die Glasscheibe verfrachtet wurden, sieht es doch aus wie die verlotterte Zettelwirtschaft in einer Bahnunterführung.
War eigentlich die Künstlerin oder der Künstler der Neoninstallation mit dieser bei einem bestimmten Klientel beifallheischenden Verunstaltung einverstanden?

Dr. Ralf Wegner, 26. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Möwe, Ballett von John Neumeier Hamburgische Staatsoper, Wiederaufnahme, 21. September 2025
Beitrag: Neues vom Hamburg Ballett Hamburg Ballett, Hamburgische Staatsoper, 12. September 2025
50. Nijinsky-Gala, Teil II Hamburgische Staatsoper, 20. Juli 2025