Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 13. Mai 2021
Rezension des Videostreams: Die Walküre (1. Aufzug) von Richard Wagner
Foto: Jonas Kaufmann, © Gregor Hohenberg / Sony Classical
von Frank Heublein
Die Stimmung, die ich empfange, ist augenblicklich anders als in den 20 bisherigen Montagsstücken seit November, die ich vor dem Bildschirm erlebt habe. Ein merklich emotional ergriffener Nikolaus Bachler, Intendant der Münchner Staatsoper, begrüßt das Publikum. Es ist da. Ich spüre es. Doch entfernt. Ein kleiner Stich durchzuckt mich, da ich kein unmittelbarer Teil desselben bin. Ich sitze „nur“ vor dem Bildschirm.
Richard Wagner. Die Walküre. Die enge Verbindung von Haus und Stück, so sagt Herr Bachler, ist des „beinah historischen“ Moments angemessen: es ist die erste Aufführung vor Live-Publikum im deutschsprachigen Raum seit Herbst des vergangenen Jahres. In der Tat ein großer Moment, auf den mit mir so viele Menschen gewartet haben.
Das Vorspiel. Vibrierend flirren die Streicher. Das Orchester hält lange die Spannung bis zum Ausbruch der Bläser. Ein Paukenwirbel kündet vom dramatischen Ende. Welches mich heute nicht erwartet. Denn nur der erste Aufzug wird konzertant gegeben. Die Sänger Jonas Kaufmann und Georg Zeppenfeld und die Sängerin Lise Davidsen sind große Verheißung. Die erste Szene ist eher ruhig wie ein steter Fluss. Kaufmanns Tenor mit eher dunklem Timbre, Davidsen mit kraftvoll hellen Sopran.
Die zweite Szene gewinnt an Dramatik. Souverän kraftvoll prononciert singt Georg Zeppenfeld den Hunding. Ein Hauch von Spiel, von düsterem Gräuel, kommt in mir auf bei „Wie gleicht er dem Weibe! / Der gleissende Wurm glänzt auch ihm aus dem Auge.“ Beeindruckend. Jedoch verliert sich für mich in der zweiten Szene dieser konzertanten Aufführung die spielerische Dramatik des Erkennens, dass sich hier mit Hunding und Siegmund Todfeinde am Tisch gegenübersitzen. Dazwischen Sieglinde, die noch immer nicht den Zwillingsbruder erkennt. Lise Davidsen merke ich dabei an, ihr platzt die Spiellust aus allen dem Kleid nicht vorhandenen Knöpfen! Stimmlich, und das ist der wesentlichste Teil heute Abend, überzeugen mich in dieser Szene alle drei vollkommen.
Die dritte Szene gewinnt an Dramatik und Spiel. Erneut fasziniert mich Davidsens unangestrengter strahlender Sopran. Ich erzittere bei „Auf mich blickt’ er und blitzte auf jene, / als ein Schwert in Händen er schwang; /das stiess er nun in der Esche Stamm“. Sie vereinnahmt mich mit Dramatik, beeindruckender Leichtigkeit und unmäßiger Kraft in der Stimme. Jonas Kaufmann lässt sich anstecken. Er kommt ins Spielen. Das Entbrennen der Liebe zwischen Sieglinde und Siegmund ist ein spielerisch toller Höhepunkt der Aufführung. Allerdings: Jonas Kaufmann muss sich stimmlich im berühmten „Winterstürme wichen / dem Wonnemond“ die Höhen erarbeiten. Ihm fehlt die stimmliche Leichtigkeit seiner Partnerin. Lise Davidsen scheinen alle dramatischen Höhen leicht zuzufliegen, auch im Erkennen des Zwillingsbruders „so lass mich dich heissen, wie ich dich liebe: / Siegmund – so nenn’ ich dich!“ Beide singen auf hohem Niveau, der Unterschied in der stimmlichen Strahlkraft ist jedoch zugleich spürbar.
Ascher Fisch hat ein spielfreudiges und differenziert ausgewogenes Bayerischeres Staatsorchester vor sich, das an diesem Abend den Stimmen ein fester stabil-sicherer musikalischer Grund ist.
Frenetischer Jubel lässt erkennen, wie ersehnt dieser Moment für das Publikum ist, ich bekomme erneut einen kleinen Stich ins Opernherz vor dem Bildschirm.
So unbändig ist die Freude auf beiden Seiten der Bühne, dass Zugaben gegeben werden. Dirigent Asher Fisch setzt sich ans Klavier. Jonas Kaufmann singt mit „Sag, welch wunderbare Träume“ ein Wagnerisches Wesendonck-Lied. Lise Davidsen intoniert – amazing ! – von Edvard Grieg Varen (Frühling), Georg Zeppenfeld erzeugt Gänsehaut mit „Wie schön ist die Musik“ von Richard Strauss. Alle Zugaben sind, wie die ganze Aufführung, auf stimmlich sehr hohem Niveau.
Welch verheißungsvoller Beginn, die künstlerische Energie endlich wieder direkt und unmittelbar fließen zu lassen zwischen Künstler und Publikum.
Frank Heublein, 13. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at