Mit der Walküre nimmt der Herheim-Ring an Fahrt auf... und Ricarda Merbeths Brünnhilde singt gleich das ganze Rheingold in Grund und Boden

Die Walküre, Musik und Libretto von Richard Wagner  Deutsche Oper Berlin, 12. Mai 2024

DIE WALKÜRE, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 27.9.2020 © Bernd Uhlig

Na also, geht doch! Nachdem sich das Rheingold am Vorabend mit vielen Fragezeichen verabschiedet hatte, drehte Stefan Herheims Regie am zweiten Ring-Abend mächtig auf und sorgte für fünfeinhalb packende, äußerst kurzweilige Opernstunden. Auch gesanglich konnte die Walküre das Rheingold nochmal toppen, allen voran Ricarda Merbeths bissig-brillante Brünnhilde.

Die Walküre
Musik und Libretto von Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin, 12. Mai 2024

von Johannes Karl Fischer

Kaum hatte sich der Vorhang zum zweiten Ring-Abend geöffnet, war auch schon wieder das omnipräsente, bislang etwas ominöse Klavier zu sehen. Diesmal allerdings mit dem Schwert Nothung in der Klaviatur. Alles klar, die Musik ist ja das Bindeglied des ganzen Rings. Was für eine geniale Idee, jetzt macht die Schlüsselrolle des Flügels in dieser Ring-Regie endlich Sinn! Passend dazu scheint Wotan die Partitur als Weltherrschaftsplan zu verwenden und ganz nebenbei noch die Oper zu korrepetieren…

So richtig zog der Sog dieser Regie aber im dritten Aufzug an. Mit einem tiefpassionierten Liebeskuss stürzte Wotan sich auf seine Tochter wie Tristan auf Isolde, was für eine starke Antwort auf eine der Kernfragen dieser Oper! Aber nein, das wäre ja nicht genug, am Ende sah man auch noch, wie Mime Sieglinde ihren neugeborenen Siegfried raubte. Von wegen: „Meinem Schutz übergab sie dich“, Mime ist eben tyrannischer Alberich 2.0. Und diese Regie erzählt in wenigen Augenblicken mehr als Wagner in vier Stunden Libretto, Zwischenhandlungen inklusive.

Einige Gäste meinten, die Götz-Friedrich-Verehrer würden diesem Ring aus Protest absichtlich fernbleiben. Ich habe seinen Ring nie gesehen und werde mich zu diesem daher nicht äußern. Allerdings war meine bislang einzige Götz-Friedrich-Inszenierung La Traviata an diesem Haus mit der kitschigsten, klischeehaftesten Opernregie, die ich je gesehen habe. Da ist dieser Ring um Meilen interessanter, spannender, einfallsreicher… ich hoffe einfach, dass Herrn Friedrichs Traviata nicht exemplarisch für seinen Regiestil war. Sonst lautet mein Fazit: Her mit Herheim, Platz da Götz Friedrich!

So viel zu meiner neugefundenen Begeisterung für Stefan Herheims Ring-Regie. Auch musikalisch konnte die Walküre den Rheingold-Vorabend nochmal toppen. Verantwortlich dafür war vor allem Ricarda Merbeths sensationelle Brünnhilde. Passend zu ihrem Charakter als helmtragende, speerschwingende Kriegerin hielt sie mit bissigen, feurigem Sopran Bühne und Publikum fest in ihrem allumschlingenden Bann. Sie singt eine Note aus weiter Ferne, schon springen die restlichen Walküren auf, als würde Wotan ihnen ein Dutzend Nothunge an den Hals schlingen. Ihre Hojotoho-Freude tanzte sie munter auf dem Flügel aus und ritt mit einer schier unendlichen Energie durch die Rolle.

DIE WALKÜRE, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 27.9.2020 © Bernd Uhlig

Ebenso souverän sang Derek Welton den Göttervater höchst selbst. Sein mächtiger Bariton stemmte die hammerschwere Partie klar, sauber und mit äußerst deutlich verständlicher Diktion. Dieser Wotan hat Machtambitionen, mit seiner Stimme marschierte er schnurgeradeaus in Richtung Ring-Besitz und die daraus folgende Weltherrschaft. Selbst seine eigene Lieblingstochter kann seiner Macht und seinen Strafen nicht entkommen. Anders als viele Sänger dieser Rolle schien Weltons Wotan daran nicht zu verzweifeln, vielmehr machte er auch mit ihr kurzen Prozess und verdonnerte sie in festen Schlaf.

Einzig seine Ehefrau Fricka kommt an ihn ran, immerhin zwingt sie ihn auch, gegen seinen Willen zu handeln und Siegmund zu fällen statt zu schützen. In dieser Rolle setzte Annika Schlicht ihren im Rheingold begonnenen Siegeszug fort und bot mit packendem, kräftigem Mezzo auch Derek Welton – am Vorabend sang diese Rolle noch Iain Paterson – ordentlich die Stirn. Als Siegmund war mit Daniel Frank ein bärenstarker Neuling der Wagner-Szene besetzt, der derzeit einen schleichenden, dennoch rapiden Aufstieg in die Spitzenliga seines Fachs durchläuft. Seine Rolle sang er mehr denn solide, mit heldenhafter Stimme besiegte er locker die musikalische Partie und stand den „namenhafteren“ Tenören um nichts nach.

DIE WALKÜRE, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 27.9.2020 © Bernd Uhlig

Ich weiß nicht, wer diesen Tenor entdeckt hat, aber wenn der so weiter macht, wird er bald in Wien Tristan singen. Als Parsifal und Siegmund feierte er an der Donau bereits krönende Erfolge…

Zurück an der Spree bekam übrigens Elisabeth Teiges Sieglinde den meisten Beifall des Abends. Zurecht: Ihr voluminöser, kräftiger Sopran füllte den Saal mit all den höchsten Liebesemotionen der bräutlichen Schwester. Vor allem im dritten Aufzug drehte sie nochmal ordentlich auf und brachte das Publikum in hochdramatische Gänsehautstimmung. Auch ihr Ehemann, Tobias Kehrers Hunding, brillierte in allen Tiefen mit kräftigem, klar verständlichem Bass. Ein bisschen wie ein Armeegeneral auf der Bühne, stimmlich wie szenisch machte er stets kurzen Prozess.

Kommen wir wieder zum Orchester, über das ich das Fazit gestern aufschob. Geändert hat sich an meiner Einschätzung allerdings nichts.

Unter der Leitung von Nicholas Carter spielten alle MusikerInnen grundsolide und präzise, vor allem aus dem Blech stieg stets ein voluminöser Wagner-Klang aus dem Graben empor. Aber die hohen Streicher klangen nach wie vor etwas zu edel, zu rund und kamen in der leicht gedämpften Akustik dieses Hauses an einigen Stellen nicht wirklich durch. Die liebevollen Stellen strahlen in tiefer, inniger Pracht, einige stürmischere Szenen wollten trotz ausreichender Lautstärke allerdings nicht wirklich zum Klingen kommen. Vielleicht bräuchte es der Akustik entsprechend einfach noch ein paar mehr Geigen im Graben…

DIE WALKÜRE, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 27.9.2020 © Bernd Uhlig

Auf ein durchwegs exzellentes Rheingold folgt eine regietechnisch wie musikalisch herausragenden Walküre. Ob sich dieses Haus im Siegfried und der Götterdämmerung nochmal steigern kann? Viel Luft ist da nicht mehr nach oben…

Johannes Karl Fischer, 12. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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