Manchmal erklärt sich von selbst, warum Werke ungespielt bleiben

Düsseldorfer Symphoniker, Alpesh Chauhan, Dirigent, Simon Trpčeski, Klavier  Tonhalle Düsseldorf, 30. August 2024

Susanne Diesner Photography for Art_sternzeichen_Alpesh Chauhan, Simon Trpčeski

Saisonauftakt. Da heißt es, das Publikum mit Furore und Qualität zurück in den Konzertsaal zu locken. Wie man in diesen Wochen erleben kann, überbieten sich die Orchester teilweise gegenseitig in ihren Angeboten. Da ist es mutig, wenn dieser Tage neben eingefleischten Klassikern auch selten hörbare Stücke auf dem Plan stehen. So, wie in der Düsseldorfer Tonhalle, wo mit Rachmaninow heute ein unangefochtener Meister mit dem hier fast vergessenen Erich Wolfgang Korngold ergänzt wird.

Düsseldorfer Symphoniker
Alpesh Chauhan, Dirigent

Simon Trpčeski,
Klavier

Sergej Rachmaninow – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-moll op. 18
Erich Wolfgang Korngold – Sinfonie Fis-Dur op. 40

Tonhalle Düsseldorf, 30. August 2024

von Daniel Janz

Rachmaninow ist stets ein Spektakel. Heute wird sein zweites Klavierkonzert mit dem mystischen Einstieg durch Simon Trpčeski (44) besonders effektiv dargeboten. Schnell laden die von den Tasten perlenden Töne zum Schwelgen ein, als auch noch die Streicher breit einsetzen. Und dem Solisten gelingt es, sogar bei vollen Orchesterhöhepunkten herauszustechen – eine Kunst, mit der so manch anderer Probleme hat. So entsteht ein warmer Fluss der Klänge, der in Hochgenuss endet.
Auch Satz 2 und 3 überzeugen durch brillante Gesamtheit. Auffällig neben seinem in sich gekehrten Musizieren ist das kooperative Zusammenspiel zwischen Solist und einzelnen Orchestermitgliedern wie Flöte und Streichern oder Dirigent Alpesh Chauhan aus Birmingham, Großbritannien. Ab und an tropft die Innigkeit aus den Bässen zum Perlton des Klaviers. Dann regnet im dritten Satz eine warme Dusche über die Zuhörer. Dadurch formen sie ein fast symbiotisches Wechselspiel der Klänge.

Gekrönt wird dieser fabelhafte Gesamteindruck mit einer feurigen Klangexplosion. Holzbläser, Blech, Streicher, Schlagzeug – alle liefern zum Farbspiel des Klaviers und den präzisen Einsätzen von Dirigent Chauhan ein geniales Finale ab. Spätestens hier erklärt sich auch, warum Rachmaninow seltener zu hören ist, als es schön wäre. Das üppige Orchesterspiel und auch das Rasen über die Tasten wollen gelernt sein! Aber heute gibt man sich keine Blöße. Ob Dirigent, Orchester oder Solist – alle liefern!

Susanne Diesner Photography for Art_sternzeichen_Alpesh Chauhan, Simon Trpčeski

Zum Schlussapplaus ist deshalb klar: Simon Trpčeski zu gewinnen war die richtige Entscheidung! Ohnehin kennt man den gebürtigen Mazedonier im Rheinland bereits – so rührte er das Publikum auch letztes Jahr in einem wahnsinnig bewegenden Konzert in Köln, dessen einziges Manko die Anreise mit der Deutschen Bahn war. Übrigens auch damals mit der Vocalise von Rachmaninow als Zugabe im Sinne einer „Botschaft für eine bessere Welt“. Nun also auch in Düsseldorf, wo diese Botschaft zusammen mit dem ersten Cellisten des Orchesters ebenfalls eindeutig gelingt!

Weniger eindeutig gestaltet sich indes die Sinfonie von Erich Wolfgang Korngold, dem berühmten Hollywood-Komponist der 1930er Jahre, der sich durch seine Flucht in die USA vor dem Naziregime in Deutschland rettete. Bei diesem selten gespielten Werk bleibt über weite Strecken unklar, was es denn sein will: Avantgardistische Melodieführung trifft auf Phrasen aus der Filmmusik, gepaart mit ausgefallenen Klangfarben, die in einer abstrakt an Sonatenhauptsatzform angelehnten Struktur versteckt sind. Das Ergebnis ist Reizüberflutung wie bei einem übermütigen Koch: Vom allem ein bisschen, einmal munter durchgerührt und am Ende doch überwürzt.

Schon der erste Satz ergießt sich in diesem Zuviel. Lange findet man nur Motivfetzen, die ihre Zeit (zu lang) brauchen, um melodischem Fluss zu finden. Erst mit einem Flötensolo zur Mitte gelingt ein ergreifendes Element. Die Auflösung von dem sonst vor sich hindonnernden Leitrhythmus findet aber erst eine Stunde später statt, als er im letzten Satz neu aufgenommen wird und vom kecken Hauptthema dort entschärft wird. Da ist man vom ständigen Wechselspiel aber emotional längst ausgestiegen.

Susanne Diesner Photography for Art_sternzeichen, Alpesh Chauhan

Dazwischen liegt ein Spiel der Kontraste. Satz 2 ist ein von Blechstößen getriebenes Hetzen der Streicher und Holzbläser, das in oft irritierenden Momenten die Stimmung auflöst und flirrende Klänge wie Sonnenstrahlen durchbrechen lässt. Für sich genommen spannend, in Kombination lässt es den Rezensenten aber komplett kalt. Vielleicht hätte hier mehr Ruhe besser gewirkt? Wobei man fairerweise sagen muss, dass Orchester und Dirigent sich genau an die schwere Partitur halten. Spannend auch, dass nach diesem Satz sehr viel Gemurmel im Publikum stattfindet; gefühlt ist da zwischen feuriger Begeisterung und kompletter Ablehnung alles dabei.

Susanne Diesner Photography for Art_sternzeichen, Alpesh Chauhan

Musikalischer Höhepunkt in diesem Kuddelmuddel ist der dritte Satz, der wie ein warmgüldener Sonnenuntergang erst sehr schwermütig einsteigt, harmonisch dann aufhellt und auf einen dramatischen Ausbruch zusteuert, der sich aber auf halber Strecke verebbt und erst im zweiten Anlauf erfüllt. Schade, dass Korngold hier gefühlt den Bogen überspannt. Durch das zwischenzeitliche Abebben in Ziellosigkeit erlebt dieser Satz seinen wahren Durchbruch gefühlt 200 Takte zu spät. So wird der Moment der Ekstase durch die Komposition selbst für den Rezensenten verpasst. Das hätte man gradliniger und insgesamt auch mit mehr Fokus komponieren können.

Letztendlich erklärt sich von selbst, warum Korngolds Sinfonie so selten gespielt wird. Die Hoffnung, dass seine Hollywood-Klangsprache sich auch in eine Konzertform übersetzen ließ, konnte diese Sinfonie nur bedingt erfüllen. Dennoch ernten Dirigent und Orchester verdient Applaus. Denn ob aus Höflichkeit oder ehrlicher Begeisterung – mindestens wie sie sich in beide Werke reingekniet und sie tadellos aufgeführt haben, hat Respekt verdient. So möchte man das in Zukunft gerne öfter sehen und hören. Ob Klassiker, verschmähtes Juwel oder Experiment – wir dürfen uns bereits auf die nächsten Überraschungen freuen, die hier bald aufgespielt werden dürften!


Daniel Janz, 1. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Prague Philharmonie, Gabriel Bebeşelea, Dirigent, Rachmaninow und Dvořák Kölner Philharmonie, 22. März 2023

Düsseldorfer Symphoniker, Axel Kober, Dirigent Tonhalle Düsseldorf, 28. Juni 2024

Düsseldorfer Symphoniker, Axel Kober, Dirigent Tonhalle Düsseldorf, 28. Juni 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert