Tonhalle Düsseldorf, 19. September 2025
Düsseldorfer Symphoniker
Christoph Eschenbach, Dirigent – Foto (c): Marco Borggreve
Ben Kim, Klavier
Ludwig van Beethoven – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73
Paul Hindemith – Symphonie „die Harmonie der Welt“
Johannes Brahms – Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68
von Daniel Janz
Wenn Christoph Eschenbach sich die Ehre gibt, ist allein das den Konzertbesuch wert. Allein seine Bruckner- und Mahler-Aufführungen machten den dutzendfach ausgezeichneten Dirigenten und Pianisten berühmt. Darüber hinaus setzt der 85-jährige Großmeister sich stets für die Aufführung zeitgenössischer Musik ein. Steht er also mit einem solchen Werk auf dem Programm, lässt das Großes erwarten. Umso ernüchternder ist es dann, wenn er selbst dieses Programm revidiert.
So geschehen an diesem Konzert zur Saisoneröffnung in der Düsseldorfer Tonhalle. Was war das im Vorfeld für ein Trubel, den Stardirigenten nach mehreren Jahren coronabedingter Pause wieder in der Landeshauptstadt begrüßen zu dürfen. Lokal medial kam dieser Auftritt einem Großereignis gleich. Dementsprechend sorgte es auch für einen spürbaren Aufschrei und fragende Gesichter, als die Presseabteilung der Tonhalle die Programmänderung wenige Tage vor der Aufführung verkündete. Nun steht und fällt ein Konzertabend nicht mit dem Austausch eines Werks. Aber die Frage, die sich stellt ist dann immer, ob der Ersatz auch überzeugen kann.
Ein Beethoven ohne große Spannung
Das erste Werk des Abends ist jedenfalls ein Vertreter jener Kategorie, die klassische Musik als langweilig eher in Verruf bringen. Dabei hat Beethovens fünftes Klavierkonzert seine Momente und auch eine Dramatik, die man herauskitzeln kann. Das steht und fällt aber nicht nur mit der Aufmerksamkeit des Publikums – in der gelungenen Einführung es zum Werk erklärt, das „deep listening“ voraussetzt. Die Aufgabe an Orchester und Solist besteht aber darin, dieses Stück auch zu vermitteln.
Und an dieser Vermittlung hapert es heute. Die Performance des amerikanischen Pianisten Ben Kim gliedert sich ein in jene Reihe von technischen Meisterleistungen, die beeindrucken aber nicht bewegen können. Das Spiel des 55. Gewinners des internationalen Musikwettbewerbs der ARD ist klinisch sauber, ja handwerklich perfekt. Zur Begleitung des meisterlich balancierten Orchesters lässt er Jahre langes Üben und Fingerfertigkeit leicht aussehen. Dafür muss man ihm Anerkennung zollen.
Doch er versäumt es, sein Instrument auch zum Singen zu bringen. An keinem Moment dieses Klavierkonzerts fühlt sich der Rezensent ergriffen oder bewegt.
Besonders im gedankenversunkenen zweiten Satz fällt das auf. Hier die Töne von der Klaviatur perlen zu lassen stellt die größte Kunst am Klavier dar. Kims allgemein eher robuster Anschlag wirkt hier dann doch zu hart, das hat man schon seidener gehört. So bleibt es am Ende bei einer spannungsarmen Aufführung, zu der Kim als Zugabe das Maximum an Technikraffinesse herausholt, als er Bach hinzuzieht. Ja, das beeindruckt aus einer handwerklichen Perspektive. Aber wie der Rezensent schon in seiner Anti-Klassiker-Kolumnefeststellte: Musik, die nur auf Technik zum Selbstzweck beruht, ist letztendlich tote Musik, die sich selbst überflüssig macht.
Anstatt vergessenem Meister gibt es Klassik aus der Retorte
Kaum besser wird dieser Umstand am Hauptwerk des Abends demonstriert. Verwundert, ja fast entrüstet muss man über die Entscheidung sein, dieses auf den letzten Metern auszutauschen. Eigentlich hätte Paul Hindemiths kategorisch unterrepräsentierte „Sinfonie von der Harmonie der Welt“ erklingen sollen. Kurz vor der Aufführung entschied Christoph Eschenbach jedoch, diese Sinfonie gegen Brahms‘ erste auszutauschen, weil er den Eindruck gewonnen habe, dass Hindemith „live im Konzert nicht die Wirkung entfalten kann, die man in einer Aufnahme hört oder in der Partitur liest“. Was er damit meint, bleibt mangels Erfahrung rätselhaft.
Der Rezensent kann diese Begründung jedenfalls nicht nachvollziehen. Darüber hinaus ist Brahms als Ersatz ein eher zweifelhaftes Vergnügen. Einerseits galt er für die Jahrhundertkomposition „ein deutsches Requiem“ bereits zu Lebzeiten als Genie. Andererseits zeichnet die Aufarbeitung von Lebensläufen, wie von Ethel Smyth das Bild eines chauvinistischen und sexistischen Scheusals. Und ausgerechnet dieses Werk auszuwählen, das zu seinen schwächeren Kompositionen zählt und klar seine schwächste Sinfonie darstellt, ist fragwürdig. Hier wurden mehrere Chancen vertan!
Nun steht und fällt die Qualität einer Aufführung aber mit Dirigent und Orchester. Selbst aus mäßigem Material kann Gutes entstehen, wenn die Kompetenzen stimmen. Und das muss man den Künstlern hier lassen – ihnen gelingt ein kleines Kunststück. Diese Sinfonie, der über weite Strecken der Fokus fehlt, formt Eschenbach zu einer Sammlung glänzender Momente, die für sich selbst genommen entzücken können. Der erste Satz entfaltet unter ihm seine Dramatik in vollster Weise und im dritten Satz können Flöten und Oboe gleich mehrere einfühlsam schöne Momente zaubern. Und der vierte Satz gerät zu einem zielstrebigen Fluss mit Wiedererkennungswert.
Entzücken können zum brillierenden Spiel der Streicher auch die über weite Stellen fabelhaften Bläser. Besonders die Hörner rund um Stimmführerin Lisa Michelle Rogers begeistern. Und auch die Pauke sorgt immer wieder für herausragende Momente. In Summe ergibt das eine Leistung, die verdient vom Publikum gefeiert wird. Als Rezensent wünscht man sich in diesem Moment nur, den Vergleich nicht zu kennen. Denn wenn diese Künstler Brahms schwache erste so aufführen, wie genial hätten dann Hindemith Werk kosmischen Ausmaßes hier klingen können? War der Wechsel es also wert? Wenn es nach dem Publikum geht wohl schon. Der Rezensent ist aber klar der Meinung, dass Brahms’ erste kein zufriedenstellender Ersatz war.
Daniel Janz, 20. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at