Durch Gordon Hamilton wird die Tonhalle Düsseldorf zur zoologischen Wunderkiste

Düsseldorfer Symphoniker unter Gordon Hamilton  Düsseldorfer Symphoniker, Tonhalle Düsseldorf, 3. November 2022

Foto:  (c) Susanne Diesner   

Gordon Hamilton, Dirigent
Julia Smirnova, Violine
Konstantin Manaev, Violoncello
Düsseldorfer Symphoniker

Jörg Mohr, Regie

Joe Hisaishi – Prinzessin Mononoke – The Legend of Ashitaka, 1997
Joe Hisaishi Spirited Away-Suite aus Chihiros Reise ins Zauberland“, 2001
Peter I. Tschaikowsky – Nussknacker-Suite (Auszüge), 1892
John Williams – Main Title (Jurassic Park), 1993
James HornerAlien“-Suite, 1986
Gordon Hamilton – Garden of Animals, 2022
Yuanfan Yang – Duo de Charme, 2022

Düsseldorfer Symphoniker, Tonhalle Düsseldorf, 3. November 2022

Von Daniel Janz

Tiere, Erscheinungen und Gestalten – das sind heute die Inhalte, mit denen die Düsseldorfer Symphoniker unter Gordon Hamilton zum Konzert laden. Dabei ist von Naturgeistern über Dinosaurier, filigranen Gestalten der Märchenwelt bis hin zu furchterregenden Horrormonstern alles dabei. Ein Programm, das sich nicht nur als Publikumsmagnet erweist – besonders erfreulich: Vor allem junge Menschen treibt es heute in den ausverkauften Konzertsaal. Sondern auch Themen, die in Zeiten von Klimawandel und Verdrängung von natürlichen Lebensräumen nicht oft genug betont werden können; Werbung für das „Orchester des Wandelns“ als musikalische Vereinigung gegen die Klimakatastrophe inklusive. Was heute Abend also stattfindet, ist nicht weniger, als ein Statement für das Gleichgewicht von Natur und Mensch.

In diesem Sinne beginnt der Abend mit zwei Musiken des japanischen Film- und Animekomponisten Joe Hisaishi mit Werken, die den Kontakt zwischen Mensch und Naturgeistern behandeln. So ist der Einstieg mit „The Legend of Ashitaka“ aus „Prinzessin Mononoke“ ein sehnsuchtsvolles, fast schon pathetisches Werk mit Hauptlast auf den Streichern. Im Vergleich zu der nachfolgenden „Spirited Away“-Suite aus „Chihiros Reise ins Zauberland“ wirkt es zwar etwas durchschaubar komponiert, kann aber heute Abend durch die Präzision des Orchesters bewegen.

Klanglich liegt die „Spirited Away“-Suite durch ihre Abwechslung jedoch vorne. Es begegnen einem hier ein wunderbar ergreifender Klaviereinstieg, geisterhafte Streicher und Harfe, die sich in versöhnliche Klänge wandeln, raffinierte Bläsereinwürfe, aufbrausende Passagen mit Xylophon und Schlagwerk, dann wieder tänzerisch gestaltete Episoden mit Klavier und Marimba, liebliche Soli und ein abschließendes Hauptthema, dessen Themenkopf an Sibelius fünfte Sinfonie erinnert. Bemerkenswert auch die Hörner, die in einer Klangkraft und Klarheit hervorstoßen, die man nicht so oft erlebt. Hier sitzt es bereits seit der ersten Note – sicherlich auch, weil sich Dirigent Gordon Hamilton (40) selbst als großer Anime-Fan bekennt. Kein Wunder, dass es während dieser Aufführung mehrere Male Szenenapplaus gibt.

Nach einem Vortrag des ersten Hornisten über das „Orchester des Wandels“, in dem er ausgiebig über das Engagement dieser Musikervereinigung im Kampf gegen den Klimawandel am Beispiel von emissionsfreier Schokoladenherstellung wirbt, geht es musikalisch mit einem echten Klassiker weiter. Und das, obwohl Tschaikowsky heutzutage zu Unrecht Gegenstand einer Zensurdebatte ist. Es ist schon bizarr, dass man die Wahl von seiner Nussknacker-Suite mittlerweile als mutigen Schritt bezeichnen muss. Denn die Vorwürfe, die seinem Werk entgegengebracht werden, waren auch schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine lächerlich. Insofern also Dank an den australischen Dirigenten und die Düsseldorfer Symphoniker, dass sie bei diesem Unsinn nicht mitmachen.

5 der bekanntesten Parts aus dem Nussknacker gibt es heute zu hören: Die Anfangsouvertüre, den Marsch, den Tanz der Zuckerfeen, Tanz der Rohrflöten und den Blumenwalzer. Und was der australische Dirigent aus dem Orchester herausholt, grenzt an hohe Kunst. Der Einstieg erscheint noch ein wenig zu temperamentvoll, aber spätestens ab dem Tanz der Zuckerfeen siegen die sanften und filigranen Töne. Da fühlt sich der Rezensent an die Aufführung im Staatlichen Kreml in Moskau erinnert, die er 2019 unter politisch normaleren Verhältnissen erleben durfte. Heute Abend verzaubert auch der Blumenwalzer am Ende und setzt einen richtigen Höhepunkt vor der Pause. Lob gilt hier auch der subtilen und sehr stimmigen Licht- und Bildregie, die das Ganze wunderbar unterstützt. Erneut verdient Applaus.

Bemerkenswert auch, wie dieses Orchester vom ersten Ton an präsent ist und den Saal mit voller Klangkraft füllt. Bei seinen letzten Besuchen in der Tonhalle ist dem Rezensenten häufig ein zum Teil matter oder zu leiser Klang aufgefallen. Das stellt heute überhaupt kein Problem dar und lässt die Vermutung zu, dass diesem Problem durch entsprechende Akzente des Dirigenten begegnet werden muss.

Und Akzente setzt Hamilton mit Bravour. In Folge glänzen nach der Pause auch die beiden Hollywood-Filmmusiken des Abends. John Williams Soundtrack zu „Jurassic Park“ gießt für sich genommen bereits die Wunder neu erschaffenen Lebens in Noten. Heute wird er zu einem wahren Hochgenuss. Nur die Trompeten wirken zu Beginn etwas verhalten, erlangen aber spätestens, als die Hörner in ihr glorreiches Fanfarenmotiv dazustoßen eine majestätische Ausstrahlung.

Die anschließende Alien-Suite von James Horner wird gar zum Spektakel. Hier darf das Orchester einmal richtig losdonnern. Pauken, Trommeln, klirrendes Metall, Gong – es rumst und kracht. Alle haben ihren Auftritt zu teils bedrohlich grollenden Wellen der Angst, stürmisch schmetterndem Getöse aus Trompeten und Holzbläsern und dann wieder gespenstisch verloren wirkenden Streicherlauten. Die Folge: Jubel im Saal. Das ist so eine ergreifende Musik, das lässt sich eigentlich nicht mehr toppen.

Julia Smirnova, Violine und Konstantin Manaev, Violoncello (c) Susanne Diesner

„Die Entscheidung, als letztes Werk des Abends ein Doppelkonzert zu präsentieren ist auch deshalb trotz Uraufführungscharakter und Förderung durch den Deutschen Musikrat gewagt. Denn der Anspruch ist hier nicht, mit bombastischem Konzertfuriosum für einen „Rausschmeißer“ zu sorgen. Was Gordon Hamilton in Zusammenarbeit mit dem New Classic Duo (Julia Smirnova – Violine und Konstantin Manaev – Violoncello) unter dem Titel „Garden of Animals“ komponiert hat, ist feine, oft leise und filigrane Klangkunst mit Liebe fürs Detail. In einer 5-sätzigen Suite für Solovioline, Solocello und kleines Orchester präsentieren sie malerisch ausgestaltete Szenen aus der Natur, die durch folgende Titel klar identifiziert werden:“

1.) Two seagulls around crushing waves – Zwei Möven über brausenden Wellen

2.) The tiger contemplates the ants – Der Tiger beobachtet die Ameisen

3.) The bee contemplates the harmonic series – Die Biene betrachtet die harmonische Serie

4.) Evening in the garden – Abend im Garten

5.) Horses in blue grass – Pferde im blauen Gras

Und die Anklänge an diese Titel gelingen größtenteils. Sei es das Heulen der Möwen oder das Tapsen der Ameisen, das Julia Smirnova (25) aus Komsomolsk-on-Amur, Russland, an ihrer Violine gekonnt durch Zupfen ihrer Saiten mit Fingerhüten imitiert. Oder das Knurren des Tigers, für das der in Berlin lebende Deutsch-Russe Konstantin Manaev (39) mit einem Gummiball über den Rücken seines Cellos streicht. Überhaupt dürfte der Solocellist der Gewinner dieses Werks sein. Alleine in seiner Ausdrucksvielfalt stellt er bereits ein kleines Orchester dar. Und auch das Summen der Bienen im dritten Satz oder das Leuchten von Glühwürmchen in der fabelhaft instrumentierten Garten-Szene – ja selbst das Wiehern der Pferde gestalten beide Solisten im Wechsel wunderbar klangmalerisch mit modernsten Mitteln.

Julia Smirnova, Violine und Konstantin Manaev, Violoncello (c) Susanne Diesner

Allerdings hört der Rezensent in Satz 1 keine Meereswellen schlagen, sondern fühlt sich an Hügel oder einen Bergsee erinnert. Und auch das volksweisenhafte Motiv im letzten Satz, das zunächst vom Solocello vorgestellt und dann von den Bässen aufgegriffen wird, ergibt erst durch Zusatzinformationen einen Zusammenhang mit dem – diesmal nicht so hilfreich gewählten – Titel. Laut Veranstalter öffnet sich die Musik hier nämlich „auf organische Weise und folgt virtuosen und musikalischen Pfaden… eine mystische Ode an das Netz der empfindungsfähigen Wesen“.

Genial ist indes, wie diese Musik – trotz Mini-Orchester – immer ihre Wirksamkeit behält. Denn im Gegensatz zu vielen anderen modernen Kompositionen verliert sich Hamiltons Werk nicht in verkopftem Kleinklein, avantgardistischen Exzessen, konzeptuellem Wirrwarr oder absurden Klangexperimenten. Nein, er hat seine Musik, inklusive Einweben von Tierlauten, auf den Punkt gebracht: Es bleibt plastisch und kohärent. Selbst virtuose Stellen, die beide Solisten hervorragend darbieten, oder Klangmalereien, für die Manaev zwischen seinem normal gestimmten und einem zweiten Cello wechselt, überzeugen. Der Rezensent ist deshalb der Meinung, dass diese Musik in allen Musiksälen gespielt gehört. Im umjubelten Abschlussapplaus mit nahezu geschlossenen Standing Ovations sieht er seine Auffassung bestätigt.

Doch diesen nahezu perfekten Abschluss krönen die beiden Solisten noch mit einer Zugabe. Als wäre eine Uraufführung nicht genug, präsentieren sie hier als zweite Welturaufführung des Abends das Werk „Duo de Charme“ des chinesischen Jungkomponisten Yuanfan Yang. Hier brillieren sie im Dialog miteinander. Als würden Cello und Violine umeinander tanzen – zunächst rasen sie aufeinander zu, dann finden sie sie in geruhsamer Zweisamkeit. Und wer hätte es anders erwartet: Auch für dieses musikalische Kleinod gibt es verdienten, tosenden Applaus. Man merkt, dieses Konzertformat mit einem perfekt durchdachten Konzept ist selbst bis zur letzten Minute noch für erfreuliche Überraschungen gut. Da wird die Vorfreude auf die nächste Ignition-Veranstaltung am 8.3.2023 nur umso größer. Dann wohl – wie Gordon Hamilton bereits zum Schluss verriet – mit noch mehr Anime-Musik.

Daniel Janz, 5.11.2022,

für klassik-begeistert.de

Daniel Janz, 5. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Neue Philharmonie Westfalen, Benjamin Pope, Filmmusiken von Hans Zimmer und John Williams, Tonhalle Düsseldorf, 8. April 2022

#IGNITION, Düsseldorfer Symphoniker, Gordon Hamilton, Dirigent Tonhalle Düsseldorf, 19. Januar 2022

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