Foto: © Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl
„In Zeiten, in denen die Genderdebatte und die Emanzipation von der Norm abweichender Geschlechterrollen ein viel diskutiertes Thema ist, trifft diese Tragikomödie einen sensiblen Nerv und der Regisseur Stefano Vizioli spielt virtuos mit den immer neuen Verwicklungen der Handlung, die nahezu drei Stunden lang durchaus spannend bleibt, und immer neue Überraschungen bereit hält.“
DVD-Rezension: Pietro Antonio Cesti, La Dori
NAXOS 2.110676
Accademia Bizantina
Ottavio Dantone
von Peter Sommeregger
Neben Francesco Cavalli gilt Pietro Antonio Cesti als einer der herausragenden Komponisten der venezianischen Oper der Barockzeit. 1652 wurde er an die Hofkapelle des Erzherzogs Ferdinand Karl berufen, und entfaltete in Innsbruck eine erfolgreiche Tätigkeit. Als dritte der für Innsbruck geschriebenen Opern erlebte 1657 La Dori hier ihre Uraufführung.
Das Werk trat rasch einen Siegeszug durch ganz Italien an und avancierte zu einer der am meisten gespielten Opern des 17. Jahrhunderts, geriet aber später wie auch Großteile der Opern jener Zeit in Vergessenheit. Im späten 20. Jahrhundert gab es drei Wiederbelebungsversuche, bevor die Oper im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der alten Musik 2019 am Ort ihrer Uraufführung erneut präsentiert wurde.
Der Regisseur Stefano Vizioli, dem im Tiroler Landestheater nur eine vergleichsweise kleine Bühne zur Verfügung stand, machte aus der Not eine Tugend. In den Bühnenbildern von Emanuele Sinisi und den Kostümen von Anna Maria Heinreich gelingt ihm eine atmosphärisch dichte, turbulente Inszenierung der verwirrenden Handlung um persische und ägyptische Prinzen, die zum Teil in weiblicher, umgekehrt aber auch männlicher Verkleidung auftreten und ein Feuerwerk überraschender Wendungen mit sich bringt.
Waren bei der Uraufführung noch praktisch alle weiblichen Rollen von Kastraten verkörpert worden, so ist in dieser Aufführung nur die alte Amme Dirce mit dem Tenor Alberto Allegrezza besetzt, der Perserprinz Oronte mit dem Countertenor Rupert Enticknap. Der ägyptische Prinz Tolomeo, der in der Handlung als Mädchen namens Celinda verkleidet auftritt, wird aber tatsächlich von einer Sopranistin, Emöke Barath verkörpert. Die Titelfigur Dori widerum, als Sklave Ali „undercover“ unterwegs, findet in der Mezzosopranistin Francesca Ascioti eine überzeugende Darstellung.
Das komplizierte Beziehungsgeflecht der Protagonisten untereinander, vor allem ihr Verwirrspiel durch Verkleidung und Geschlechtertausch entfesselt ein höchst amüsantes Drama, das zu immer neuen Pointen und Überraschungen führt. In Zeiten, in denen die Genderdebatte und die Emanzipation von der Norm abweichender Geschlechterrollen ein viel diskutiertes Thema ist, trifft diese Tragikomödie einen sensiblen Nerv und der Regisseur Stefano Vizioli spielt virtuos mit den immer neuen Verwicklungen der Handlung, die nahezu drei Stunden lang durchaus spannend bleibt, und immer neue Überraschungen bereit hält. Hier gelingt ein dichtes, reizvolles Kammerspiel, in dem die Sänger nicht nur stimmlich gefordert sind.
Auch musikalisch hat Cestis Oper viel zu bieten. Selbst die Nebenfiguren werden vom Komponisten liebevoll charakterisiert und dürfen sich als Solisten beweisen. Die Accademia Bizantina unter ihrem Dirigenten Ottavio Dantone begleitet die Sänger sensibel, profiliert sich gleichzeitig aber auch als stilsicherer Klangkörper.
Das Spiel mit getauschten Identitäten verleiht dem Stück eine erstaunliche Aktualität, die ihm möglicherweise zu einer abermaligen Popularität verhilft. Neugierig wird man gleichzeitig auch auf weitere Werke Cestis. Noch harren viele Werke aus seiner Feder einer Wiederentdeckung!
Peter Sommeregger, 19. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik.begeistert.at