Bewegender Bühnenabschied in Berlin: Waltraud Meier gab ihre allerletzte Vorstellung als Klytämnestra in „Elektra“

Elektra, Richard Strauss  Staatsoper Unter den Linden, 20. Oktober 2023

Waltraud Meier © Jakob Tillmann

Auf dem Nachhauseweg überkommt mich ein starkes Gefühl von Traurigkeit: Waltraud Meier fehlt mir schon jetzt.

Elektra
TRAGÖDIE IN EINEM AUFZUG (1909)

Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal
Im Gedenken an Patrice Chéreau anlässlich seines 10. Todestages

Besetzung:

Klytämnestra: Waltraud Meier
Elektra: Ricarda Merbeth
Chrysothemis: Vida Miknevičiūtė
Orest: Lauri Vasar
Aegisth: Stephan Rügamer
Die Aufseherin: Cheryl Studer
u.a.

Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor

Musikalische Leitung: Markus Poschner

Inszenierung: Patrice Chéreau

Staatsoper Unter den Linden, 20. Oktober 2023


von Kirsten Liese

Als Klytämnestra hat schon manche Große ihre Bühnenlaufbahn beendet. Dass sie für Waltraud Meier als letzte Rolle übrig bleiben würde, hätte ich nicht gedacht. Aber nun hat es sich gefügt, dass die Mezzosopranistin alle ihre Wagnerpartien, mit denen sie Geschichte schrieb, schon lange abgelegt hatte, und die Berliner Staatsoper noch einmal die Elektra  in der Inszenierung von Meiers „Lebensregisseur“ Patrice Chéreau zu dessen zehntem Todestag auf den Spielplan gesetzt hat. – Eine ideale Konstellation, um den Abschied auf Raten, der 2015 mit der letzten Isolde begann, zu vollenden.

Ein so bedeutsames Ereignis will sich freilich niemand entgehen lassen. Trotz nasskaltem Wetter ist die Berliner Staatsoper bis auf den letzten Platz rappelvoll.  Berlin feiert den Abschied der grandiosen Sängerin emphatisch wie eine Königin! Hatte Meier noch in einem Interview zuvor bedauert, dass in den vergangenen Jahren die Blumen ausblieben: Diesmal fliegen imposante Sträuße von allen Seiten. Alleine kann sie die vielen Buketts kaum bewältigen.

Waltraud Meier © Jakob Tillmann

Die nicht enden wollenden Bravorufe, der starke Beifall beziehen sich dabei vor allem auf die enorme Lebensleistung der gebürtigen Würzburgerin, die sich in der Wagnerwelt kaum wegdenken ließ und allen voran mit der Isolde identifiziert wurde.

Dank ihrer starken Bühnenpräsenz und ihrer Stimme, die sie nach wie vor in alle Register gut zu führen versteht, wird die große Szene von Meiers Klytämnestra zum Ereignis der Vorstellung. Geheimnisvoll düster setzt sie zu dem Monolog  an: „Ich habe keine guten Nächte“.

Das Rollenporträt allerdings, das Patrice Chéreau mit ihr geschaffen hat –  Klytämnestra als eine noch halbwegs stabile Frau im besten Alter – packt mich, wenn ich ehrlich bin, nicht in gleichem Maße wie das einer Christa Ludwig, Brigitte Fassbaender oder Anny Schlemm, die diese Figur vor mehr als 30 Jahren abgründiger und maroder als schon ältere Frau am Stock anlegten, schwer behangen mit den Klunkern, von denen im Libretto die Rede ist, und seelisch ein Wrack.

Dass Daniel Barenboim, der für Meier wichtigste Dirigent, die letzte Vorstellung nicht dirigieren konnte, ist freilich sehr schade. Wenngleich auch gesagt sei, dass Markus Poschner die Berliner Staatskapelle an diesem Abend zwischen den eruptiven dramatischen Ausbrüchen und lyrischen Einlagen sehr gut ausbalanciert hat. Noch im Fortissimo ließ sich ein kompakter, voller, runder Klang vernehmen.

Waltraud Meier © Jakob Tillmann

Nicht recht glücklich wurde ich mit Ricarda Merbeth als Elektra. Die nötige Durchschlagskraft hat sie, und das scheint dem Publikum, das an diesem Abend alle Sänger feiert wie die denkbar größte Starbesetzung, zu reichen. Aber ein großes Volumen allein macht noch keine Elektra. Was dieser Stimme fehlt, ist eine  Leuchtkraft und Schönheit. Dieser Sopran tönt stumpf und herb.

Fairerweise sei dazu gesagt, dass mir außer Nina Stemme, die womöglich die Partie inzwischen auch schon abgelegt hat, aktuell keine Sängerin einfällt, die diese Partie besser meistern könnte. Evelyn Herlitzius jedenfalls, die zur Premiere fulminant die Elektra sang, ist mittlerweile wohl selber schon zu einer Klytämnestra herangereift.

Hinzu kommt: Ich hatte das Glück, in meinem Leben so herausragende Elektras wie Birgit Nilsson, Leonie Rysanek, Gwyneth Jones oder Hildegard Behrens zu hören, dass ich stark verwöhnt bin. Allen voran Nilsson, deren Sopran selbst in den größten dramatischen Momenten Power mit silberner Schönheit verband, wird wohl unerreicht bleiben.

Aber zurück zur Berliner Elektra an der Staatsoper. Als Chrysothemis gelang Vida Miknevičiūtė – seit ihrer Sieglinde im jüngsten Staatsopern-Ring unter Christian Thielemann, ein neuer Stern am Wagnerhimmel – eine achtbare Leistung. Ihre Stimme tönt groß und deutlich runder und voller als der von Merbeth, aber restlos glücklich wurde ich mit ihrem Vortrag auch nicht. Einige Spitzentöne bewegen sich dicht an der Grenze zum Schrei. Zudem tut sie sich im Dialog mit Elektra  („Eh ich sterbe, will ich auch leben!“ ) schwer,  schlank Linien zu singen.

Die Textverständlichkeit hält sich bei ihr und Merbeth ebenfalls in Grenzen.

Den Orest sang mit profundem Bariton aber unauffällig in der Rollengestaltung Lauri Vasar.

Die restlichen kleineren Partien waren ebenfalls rundum solide besetzt, über einen überraschend großen Sonderbeifall durfte sich Cheryl Studer in der kleinen Partie der Aufseherin freuen. Allerdings: Etwas Abgründiges, Unheilvolles, Düsteres ging von der Produktion nicht aus. Sie wirkte trotz der tragischen Ereignisse nahezu steril, ließ mich seltsam unberührt.  Vielleicht lag das auch an der Abendspielleitung, wenn ein Regisseur selbst nicht mehr die Proben leiten kann, macht sich das natürlich bemerkbar. Chéreau, der Jahrhundertregisseur, wird mir dennoch wohl vor allem mit seinen grandiosen Inszenierungen des Ring und von Tristan und Isolde  in Erinnerung bleiben.

Waltraud Meier © Jakob Tillmann

Unter normalen Umständen würde sich mir diese Elektra nicht besonders einprägen. Aber dass ich Waltraud Meier, die ich über 30 Jahre ihres Wirkens journalistisch begleitete bis in nahezu alle Abschiedsabende hinein, nun nie mehr singend hören werde,  kann ich immer noch nicht fassen. Immerhin waren es 47 Jahre einer Laufbahn – eine lange Zeit!!

„Jetzt habe ich nichts mehr auszudrücken, Tschüss!“ sagte sie ganz am Ende kurz und schmerzlos ins Mikrofon, nachdem Noch-Intendant Matthias Schulz und der Orchestermusiker Matthias Glander sie mit persönlichen Worten gewürdigt hatten. Und nimmt die einschneidende Zäsur in ihrem Leben mit der Grandezza der Marschallin leicht wie das Ende einer Liebe.

© Kirsten Liese

Mir kommt das noch unwirklich vor. Noch sehe ich Waltraud Meier vor mir, als Isolde, schön und ewig jung mit der Pracht ihrer langen Rothaarperücke, dann kommt noch einmal die Stimme dazu in Erinnerung, mit dieser enormen Leuchtkraft und all der Sinnlichkeit darin, und dem Prickeln, das sich im zweiten Liebesakt zwischen Bühne und Graben einstellte, wenn Daniel Barenboim unten stand. War es das?

Auf dem Nachhauseweg überkommt mich ein starkes Gefühl von Traurigkeit: Waltraud Meier fehlt mir schon jetzt.

Kirsten Liese, 21. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, ELEKTRA Tiroler Landestheater, Innsbruck, Premiere am 11. Juni 2023

Richard Strauss, Elektra Staatsoper Hamburg, 24. Januar 2023

Sommereggers Klassikwelt 168: Annie Krull, die Sängerin, die „Elektra“ kreierte klassik-begeistert.de, 11. Januar 2023

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