Foto: Michael Pöhn (c)
Wiener Staatsoper, 17. September 2019
Elisabeth Kulman, LA FEMME C’EST MOI
Solokonzert mit Band
„La femme cést moi“ – die Frau bin ich: Unter diesem Motto tritt eine der ausdrucksstärksten und besten Mezzosopranistinnen der Welt im renommiertesten Opernhaus der Welt auf: Elisabeth Kulman.
von Manfred A. Schmid (onlinemerker.com)
Eklat an der Wiener Staatsoper: Die mit dem Lied „I Hate Men“ von Cole Porter eröffnete „Multi-Genre Music Show“ von Elisabeth Kulman droht nach der Pause – ausgelöst durch eine wüste Männerbeschimpfung – zu eskalieren. Als sich die männlichen Mitglieder ihrer Band gegen die fortgesetzten Sticheleien zur Wehr setzen, gerät die Sängerin völlig in Raserei. Nachdem auch Staatsoperndirektor Dominique Meyer herbeigeeilt ist und vergeblich versucht, das Ganze zu kalmieren, muss Kulman mit Gewalt von der Bühne entfernt werden, kehrt aber schnurstracks zurück, um mit dem Absingen der Auftrittsarie des Toreadors den Anspruch zu erheben, in der nächsten Vorstellung von Bizets Carmen den Escamillo zu singen…
Giuseppe Verdis köstliche vierstimmige Fuge „Tutto nel mondo e burla“, von ihr allein gesungen (!), beendete – eine Stunde und drei Zugaben später – einen kurzweilige Abend voll augenzwinkernder Seitenhiebe auf die Männer, die – so Kulman – „überall sitzen, nur beim Pinkeln nicht“. Vor allem aber ist es ein Abend mit einem musikalisch fein ausgewählten und von Tscho Theissig mit Witz und großem Können arrangiertem Programm, in dem ein Cross-over aus Klassik, Klezmermusik, Songs und Jazz den Ton angibt.
Elisabeth Kulman singt und zeigt dabei, dass sie tatsächlich in all diesen Genres zu Hause ist und sich souverän darin bewegt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Die Operndiva a. D. wechselt problemlos von der Bizet-Arie „L’amour es tun oiseau rebelle“ oder Mozarts „Ach, ich fühl’s“ in den stimmlichen Habitus einer Musicaldarstellerin – mit Webbers „I Don´t Know How to Love You)“, um sich dann Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ und „Erlkönig“zuzuwenden und gleich darauf mit dem zynischen Lied der „Seeräuber Jenny“ aus Kurt Weill/Bert Brechts Dreigroschenoper eine so überzeugende Interpretation abzuliefern, dass man sie gerne sofort in diesem Stück auf der Bühne erleben möchte. Der Beatles-Song „When I’m Sixty-Four, darf in dieser überraschungsreichen Show-Mischung ebenso wenig fehlen wie Leonard Bernsteins „Somewhere“ aus seiner West Side Story.
Zu Beginn des Abends erklärt die Sängerin, die einst als Sopranistin angefangen hat und inzwischen zum Mezzo bzw. Alt mutiert ist, warum sie in Frühjahr als Fricka – ausnahmsweise doch wieder und nur für dieses eine Mal – auf die Bühne zurückkehren wird. Es sei dies einerseits Ihr Dank gegenüber dem Operndirektor Meyer, der für ihren Rückzug von der Bühne Verständnis gezeigt habe, vor allem aber sei sie diesen unvermuteten Schritt dem Wiener Publikum schuldig, von dem sie sich bei ihrem Rückzug von der Opernbühne nicht angemessen verabschiedet habe. Das wolle sie mit ihrem Auftritt als Fricka endlich nachholen. Ein ganzer Programmschwerpunkt – insgesamt gibt es sechs, die alle exquisit zusammengestellt sind – ist dann auch Wagner gewidmet.
Unter dem pfiffigen Titel „Fricka-Dellen“ gibt es da natürlich eine Kostprobe ihrer Fricka, aber auch der „Walkürenritt“ sowie Ausschnitte aus Tannhäuser und Das Rheingold sind zu hören. Freude bereitet es Kulman offenbar, dass sie in so einem Programm in Rollen auftreten kann, die ihr auf der Opernbühne verwehrt geblieben sind. Dazu gehören etwa die fein vorgetragenen, versonnenen Monologe „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ und „Kann mich auch an ein Mädel erinnern…“ der Marschallin aus Der Rosenkavalier. Wehmütig Gedanken über das Älterwerden.
Begleitet wird Kulman von einer handverlesenen Schar von Top-Musikern. Neben ihrem bewährten Liedbegleiter Eduard Kutrowatz(Klavier) sind dies der Geiger Aliosha Biz und Clara Schwaiger an der Viola, Philharmoniker-Urgestein Franz Bartholomey und sein Kollege Herbert Mayr am Cello bzw. Kontrabass. Gerald Preinfalk mit Klarinette und Saxophon sowie die Akkordeonistin Maria Reuter komplettieren das grandios aufspielende Ensemble, das durch sein intensives, gleichzeitig von bester Laune geprägtes Zusammenspiel brilliert. Die virtuosen Soli werden – wie bei einem Jazzabend – gebührend mit Applaus bedacht. Singend und pfeifend und gegebenenfalls auch mit agierend – siehe die einleitend erwähnte Auseinandersetzung – machen sie lässig und verschmitzt mit. So gibt Kutrowatz etwa als Einspringer in der Walküren-Szene „So ist es denn aus mit den ewigen Göttern“ sogar den Wotan. Von Tscho Theissig stammen nicht nur die originellen Arrangements, sondern er kommt auch als vielseitiger Schlagwerker zum Einsatz.
Das Publikum ist begeistert, dankt der charmant und mit viel Witz und Esprit ans Werk gehenden Sängerin und ihrer Band stehend mit Applaus und erklatscht sich noch drei Zugaben. Neben der schon erwähnten Falstaff-Schlussfuge gehört dazu auch eine Liebeserklärung an die Stadt der Musik – „Wien, Wien, nur du allein“, mit umgetexteten Zeilen, in denen vom „besten Opernhaus“ und dem „kundigsten Publikum der Welt“ die Rede ist. Den offiziellen Schlusspunkt setzte zuvor der durch Edith Piaf weltberühmt gewordene Hit „Non, je ne regrette rien“ von Charles Dumont. Nein, zu bereuen gibt es an diesem Abend tatsächlich nichts. Außer – aus feministischer Sicht vielleicht – folgende Beobachtung: Alle Kompositionen des Abends stammen – von Männern!
Manfred A. Schmid, 18. September 2019
Das dargebotene Cross-over lässt mich mit Dankbarkeit daran erinnern, dass ich vor sechzig Jahren ebenfalls durch Cross-over (Mario Lanza) zum Opernliebhaber geworden bin.
Lothar Schweitzer