"Ich ziele nicht darauf ab, eine große Karriere zu machen"

Emmanuel Tjeknavorian,  Interview 2019

Foto: © Uwe Arens

Großes Exklusiv-Interview mit dem Geiger Emmanuel Tjeknavorian

von Antonia Tremmel-Scheinost

Wenigen österreichischen Musikern ist aktuell so großer Erfolg beschieden wie Emmanuel Tjeknavorian. Als Solist bespielt der 24-Jährige die großen Bühnen der Welt, dennoch schlägt er neue Wege ein. Ein Gespräch mit einem stetig Strebenden, der sich in Gelassenheit übt.

Stimmt es, dass Ihre Mutter, selbst eine Pianistin, zu Beginn gegen die potenzielle Musikerkarriere ihres Sohnes war?

Nicht nur das. Meine Mutter sprach sich gegen das Erlernen eines Musikinstrumentes aus.

Wieso?

Meine Mutter wollte mich schützen, sie hat es gut gemeint. Den Lebensweg mit einem Instrument zu beschreiten, birgt durchaus Risiko. Wenn kein entsprechendes Niveau erreicht wird, ist es bekanntlich schwierig, sich beruflich durchzusetzen.

Muss ein Musiker eine abgeschlossene Schulausbildung haben?

Ja! Eine Schulausbildung auf jeden Fall. Das ist ein Muss. Eine musikalische Laufbahn besteht hauptsächlich aus zwischenmenschlichem Kontakt. Soziale Kompetenz erlernt man zu einem Gros in der Schule. Außerdem muss ein Musiker gebildet sein. Um Beethoven oder Brahms spielen zu können, reicht es nicht aus, rein intuitiv musikalisch zu sein.

Haben Sie es je bereut, tatsächlich den Musikerberuf ergriffen zu haben?

Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich zum dem werden soll, der ich bin, oder nicht und demnach auch nie bereut.

Ihre Stradivari ist ein ständiger Begleiter…

Meine Geige ist meine Stimme. Ich habe das Glück, dieses Instrument gefunden zu haben. Es lässt zu, dass ich viele Farben produziere. Man sollte jedoch nie abhängig von seinem Instrument sein.

Das Instrument muss sich dem Spieler unterordnen?

Ja, auf jeden Fall. Es ist mein Werkzeug.

Fühlen Sie sich als Musiker frei?

Im Idealfall fühle ich mich immer frei. In letzter Zeit bin ich in einer wunderbaren Stimmung. Das Gefühl der Freiheit wird auch durch technisches Können ermöglicht. Das Wissen, auf einem Instrument alles machen zu können, ist eine gute Voraussetzung, um sich frei zu fühlen. Es befreit den Kopf. Meine Ambition ist es, mich stets weiterzuentwickeln und zu verbessern. Ich ziele nicht darauf ab, eine große Karriere zu machen.

Tatsächlich?

© Uwe Arens

Ja, wirklich. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles Weitere automatisch kommt. Es gibt für mich eine ultimative Fairness im Leben. Wenn man gut ist und ein gewisses Niveau hat, ist man auf der sicheren Seite.

Ist das Leben fair?

Ja, am Ende ist das Leben fair.

Hebt Sie diese Überzeugung von anderen Musikern ab?

Ich habe sehr hart gearbeitet, um die technischen Mittel zu erlangen, mit denen ich meine Gefühle ausdrücken kann. Sichtlich verstehen Menschen die Sprache, die ich musikalisch spreche. Ob mich das jetzt abhebt, weiß ich nicht.

Ist Ihr Klangprofil ein besonderes?

Letztendlich geht es darum, den Komponisten zu verstehen. Das, was in den Noten steht, hat größte Priorität, nicht ein spezifischer Klang, oder eine subjektive Überzeugung. Es gibt Sachen, die einfach falsch sind. So wie sich die Geige einem Spieler unterzuordnen hat, müssen wir Interpreten den Schöpfern dienen. Wenn man diesem Credo folgt, kommt es zu zauberhaften Momenten in der Musik. Die Wahrheit steht immer in den Noten.

Wie sollte man Sibelius nicht spielen?

Man sollte keine Emotionen simulieren. Sibelius erlaubt, in die Tiefe zu gehen, wie wenig andere. Effekthascherei wäre hier ein Gräuel.

Apropos Sibelius, wie sehen Sie das Phänomen Wettbewerb?

Der Sibelius-Wettbewerb brachte mir Aufmerksamkeit, doch was die Öffentlichkeit nicht weiß, ist, dass ich vor dem Wettbewerb sowohl bei meiner Agentur unterschrieben habe, als auch die Nominierung für „Rising Stars“ erhielt. Wettbewerbe gibt es wie Sand am Meer, es gilt eher, das erweckte Interesse auf lange Sicht zu nutzen. Ein Wettbewerbsgewinn impliziert nicht automatisch eine große Karriere.

Wogegen ich mich übrigens strikt ausspreche, sind die Programme mancher Kinderwettbewerbe. Ein siebenjähriges Mädchen ein Paganini-Violinkonzert spielen zu lassen, ist für mich missbräuchlich. Kinder dürfen nicht ihre Psyche und Physis opfern, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Es ist an Wettbewerbsadministratoren, klare Linien zum Schutz derer, die sich nicht wehren können, zu ziehen. Dennoch spreche ich mich nicht pauschal gegen Kinderwettbewerbe aus, sie sind für die Jüngsten durchaus Motivation und Ansporn.

Ihr eigener Weg war ein recht organischer…

Organisch trifft es gut. In meiner Jugend gab es eine Zeit, zu der ich nur leere Saiten gezogen habe, weil meine Bogenhand nicht optimal war. Ich habe definitiv kein Paganini-Konzert gespielt. Bis heute nicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Ihr Vater ist ein bekannter Dirigent. Wie steht es um Ihre Versuche dahingehend?

Sehr gut! Ab Juni absolviere ich monatlich ein Konzert als Dirigent. Das Dirigieren ist meine Zukunft.

Nicht das Geige spielen?

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Mein Ziel ist es, der vielleicht erste Geiger zu sein, bei dem es ausnahmsweise nicht heißt: „Das ist ein Geiger, der dirigiert halt ein bisschen“. Ich möchte als Geiger und Dirigent gleichermaßen wahrgenommen werden. Die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist mit dem Dirigieren sehr früh anzufangen. Ich bin jetzt 24, ein gutes Alter, um zu beginnen. Mit 35 oder 40 Jahren hingegen ist man als Geiger bereits „abgestempelt“ und hat relativ wenig Chancen, sich als Dirigent zu emanzipieren.

Sie haben allerdings jetzt schon als Geiger für mehr Aufsehen gesorgt als manch 40-jähriger…

Durchaus, aber die Tatsache, dass ich noch jung bin, wird mir helfen.

Ihr Pensum als Geiger ist enorm. Sind Sie dirigentischer Autodidakt?

Nein, dieser eklatante Fehler unterläuft vielen. Dirigieren ist ein Handwerk! Das Sibelius-Violinkonzert habe ich ja auch nicht ohne Geigenunterricht gespielt. Eine Sibelius-Symphonie ohne Dirigierunterricht zu dirigieren, wäre gleichermaßen unmöglich. 2015 habe ich sogar vorgehabt, ganz mit dem Geigenspiel aufzuhören. Seit 2014 unterlaufe ich die harte Kapellmeisterschule meines Vaters. Privates und Berufliches versteht er wunderbar zu trennen. Mein Wunsch zu dirigieren kommt nicht von ungefähr, es ist ein Langzeitprojekt.

Ein hartes Geschäft.

Ja, aber Qualität setzt sich meiner Meinung nach stets durch. Deshalb arbeite ich als Dirigent genauso hart wie als Geiger. Untertags spiele ich Geige, doch nach dem Konzert stehen Partiturlesen und die Verfeinerung der Schlagtechnik auf dem Programm. Ich nehme das Dirigieren sehr ernst und freue mich auf alle damit verbundenen zukünftigen Aufgaben.

Gibt es ein Leben nach der Musik?

Für mich ist die Frage gleichzusetzen mit der Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Ich bin gläubig, für mich gibt es das.

Antonia Tremmel-Scheinost, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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