"Wenn die Not auf's Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht" – starker Chorgesang schenkt Gänsehaut bei Hänsel und Gretel im Parktheater Lahr

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel  Gastspiel des Theaters Pforzheim im Parktheater Lahr, 6. Februar 2024

Foto © Sabine Haymann

Hänsel und Gretel
Oper von Engelbert Humperdinck

Libretto: Adelheid Wette, nach den Brüdern Grimm

Musikalische Leitung:  Florian Erdl
Inszenierung: Dorothea Kirschbaum
Ausstattung:  Johanna Maria Burkhart
Dramaturgie:  Dr. Inken Meents
Licht: Tino Langmann
Choreinstudierung: Daniel Roos

Hänsel:  Jina Choi
Gretel:  Elisandra Melian
Vater:  Daniel Nicholson
Mutter:  Dorothee Höhnisch
Knusperhexe:  Lilian Huynen
Sandmännchen/Traumännchen:  Lou Denès

Projektchor der Unterstufe des Clara-Schumann-Gymnasiums Lahr
Statisterie des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim

Gastspiel des Theaters Pforzheim im Parktheater Lahr,  6. Februar 2024

von Kathrin Beyer

Ich erzählte es an dieser Stelle schon einmal, dass ich nicht mal eben schnell in ein renommiertes Haus gelange, um dort die großen Inszenierungen anzuschauen und dass ich aus diesem Grund viele lokale Konzerte besuche, die mir schon so manche Sternstunde bescherten.

So geschehen gestern.

Das Theater Pforzheim gastierte in meiner Heimatstadt mit der  Oper „Hänsel und Gretel“.

Auch wenn der Dienstag der ungünstigste aller Wochentage ist, da ich einen überlangen Arbeitstag habe, würde ich die Vorstellung nie verpassen, auch wenn ich es Mittwochmorgen kurz bereue.

Dorothea Kirschbaum holt die Handlung der Oper in die Gegenwart.

Die Inszenierung ist modern und auch für Kinder geeignet, bleibt dabei aber durchaus märchenhaft.

Vieles ist schlüssig, manches erschließt sich mir nicht.

Interessant war, dass das szenische Spiel schon während der Ouvertüre begann. Man sieht Mutter Gertrud am Tisch sitzen, stumm prüft sie Ausgaben und Einnahmen, die offensichtlich zum Verzweifeln sind.

Die Mutter betreibt ein Café, welches nicht läuft, die Musikerkarriere des Vaters liegt auf Eis ( besonders dann, als ein Gläubiger das Instrument mitnimmt), der Kühlschrank ist leer, der Mägen auch und für beides besteht keine Chance gefüllt zu werden. Die Kinder, Hänsel und Gretel, sind zwar auch hungrig, aber dennoch fröhlich.

Die ganze Familie kommt in moderner Kleidung und mit Chucks, Nikes und Sneakers daher. Sie mögen Jazz und  Harry Potter.

Not macht zornig und vielleicht auch ungerecht.

Weil ihre Kinder nicht, wie angewiesen, helfend Hand angelegt haben, stattdessen einfach nur Kinder waren und obendrein einen Topf zerbrachen, in dem Milch war, schickte sie die sehr wütende Mutter in den Wald, um Erdbeeren zu sammeln.

Die Kinder gingen, der Vater kam, hatte gut ver- und eingekauft; einem guten und reichlichen Abendmahl für alle stand also nichts im Weg, außer, dass nicht alle da waren.

Die Mutter erzählt, der Vater ist entsetzt und erzählt auch… von der Knusperhexe.

Beide machen sich auf die Suche.

Die Kinder sind auf einem Markt gelandet, mit einem Royal Donut- und einem Obststand. Die Hexe ist Inhaberin eines Gartencenters. Die Nacht kommt, Hänsel weiß den Heimweg nicht, der Rest ist theoretisch bekannt.

In dieser Inszenierung träumten die Kinder, dass ihre Eltern sie finden, sich zu ihnen legen und gemeinsam ein Buch lesen.

Meine Schwiegertochter erzählte mir in der dann folgenden Pause, dass sie sich auf den großen Auftritt der Hexe freue. In der Tat machten ihre bisherigen Darbietungen Lust auf mehr.

Sie erschien im ersten Akt als freundliche Nachbarin bei der Familie, um ihnen den Topf Milch zu bringen. Des Weiteren kam sie hinzu, als Mutter Gertrud schlief, deckte diese zu und klaute etwas; was das war, hat sich mir nicht erschlossen. Das Warum dieser Aktionen habe ich nicht verstanden, im Gegenteil, es hat mich eher irritiert.

Dennoch hat auch mich das Wie fasziniert.

Vor dem Hexenritt befragte sie das Publikum nach dem Befinden und während des Hexenrittes war sie im Publikum unterwegs, auf der Suche nach Kindern.

Ihre Sprechstimme hat mich beeindruckt, ganz rau und tief…
Ihre Ausstrahlung und Spielfreude hat Lust auf mehr gemacht.

Ich wiederum erzählte meiner Schwiegertochter, dass es einige Momente gab, die für mich nicht schlüssig waren.

So hat ja die Szene, als der Vater von der Gefahr der Hexe und der daraus resultierenden Angst um seine Kinder singt, durchaus etwas dramatisches. Diese Szene geriet viel zu humoristisch. Der Vater sang und tanzte mit dem Besen; keine Ahnung, warum die Mutter so in Panik geriet, wahrscheinlich nur, weil sie das Libretto kannte.

Foto © Sabine Haymann

Ich an ihrer Stelle hätte eher das Gefühl, er wolle mich veralbern.

Das fand ich bedauerlich.

Auf dem Markt hat Hänsel sich den Korb voller Erdbeeren zusammengeklaut, Mutters Auftrag war erfüllt. Die Geschwister freuen sich und diese Freude artet in einer Erdbeerschlacht aus. Hunger war ihnen ein steter und schmerzlicher Begleiter, es fällt mir schwer zu glauben, dass man in diesem Fall Essbares durch die Gegend wirft.

Aber sei es drum…

…wir freuen uns auf das Finale!

Über Nacht wurde, wie von Zauberhand, aus dem Donutstand ein Knusperhäuschen und der Obststand verwandelte sich in Hänsels Käfig.

Das weitere Geschehen dürfte Ihnen allen bekannt sein.

Auch in dieser Inszenierung soll Hänsel gemästet und verspeist werden und die clevere Gretel rettet die Welt vor der Hexe, die als Lebkuchen aus dem Ofen kommt. Ende gut, alles gut! Wobei das Ende, der Chorgesang, mehr als gut ist, er ist vortrefflich!

Aber dazu später mehr.

Lilian Huynen als Hexe, ich schrieb es schon, war erstklassig. Sie zeigte sich böse, aber auch amüsant, einfallsreich und umtriebig. Ihre Bühnenpräsenz könnte als atemberaubend bezeichnet werden.

Die Gesangsstimme würde ich als angemessen knarzig, böse und spröde bezeichnen. Es machte den Anschein, als hätte die Sängerin diebische Freude an ihrer Rolle und koste jeden Moment bewusst aus. Schauspielerisches und gesangliches Talent gingen hier Hand in Hand, das ist nicht selbstverständlich.

Es war ein Genuss, das zu erleben.

Jina Choi wartete mit einer warmen und dunklen Mezzosopranstimme auf, die mühelos das Orchester überstrahlte. Sie erwies sich als gute Besetzung für den Hänsel.

Das Gleiche gilt für Elisandra Melián, deren helle, klare und in den Höhen weiche Sopranstimme bestens zur Gretel passte.

Schauspielerisch meisterten beide ihre Rollen gut, es ist ja nicht ganz einfach, Kinder darzustellen, wenn die eigene Kindheit schon ein paar Jahre zurückliegt.

Dorothee Höhnisch war für mich der Inbegriff einer verzweifelten Mutter, sowohl sängerisch als auch mimisch. Schon in der ersten Szene brachte sie die gefühlte Ausweglosigkeit ohne Worte sehr eindringlich zum Ausdruck. Als sie dann noch singen durfte, hörte ich Sorge und Verbitterung aus ihrer Stimme förmlich heraus. Schwoll ihr kraftvoller, klarer Sopran vor Zorn und Verbitterung an, dann hatte er eine Wucht, die überraschte und bis in die letzte Ecke des Saales drang.

Einfach nur schön.

Daniel Nicholson war für mich leider nicht der Inbegriff des Vaters. Manchmal überlegte ich, ob er wirklich ein Bariton ist, oder ein Tenor mit einer baritonalen Stimmfärbung. Ich mochte die Stimme nicht so sehr, sie klang etwas blechern und wenig kraftvoll. Darstellerisch fand ich ihn eher oberflächlich, wenig ernstzunehmend.

Das Bühnenbild war sehr gelungen. Ich habe sehr großen Respekt vor der Herausforderung, die Bühne so zu gestalten, dass sie für Gastspielreisen geeignet ist und dennoch wirkungsvoll daher kommt. Letzteres ist eindeutig gelungen.

Die Badische Philharmonie Pforzheim, mit  ihrem jungen Dirigenten Philipp Haag, war bestens aufgelegt.

Meine Schwiegertochter, die selber Querflöte spielt, nannte es „on point“.

Sie fand, dass das Orchester es wunderbar geschafft hat, das Geschehen auf der Bühne zu untermalen, dass aber auch das Orchester manchmal so eindringlich war, dass es durch das Geschehen auf der Bühne untermauert wurde.

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass das Zuhören Spaß gemacht hat.

Der Kinderchor, der sich aus den erlösten Lebkuchenkindern formiert, war ein Projektchor der Unterstufe des hiesigen Clara-Schumann-Gymnasiums. Da mich die gesangliche Leistung dieses Chores sehr beeindruckt hat, habe ich mit dem Chorleiter, Daniel Roos, telefonisch Kontakt aufgenommen, um etwas mehr zu erfahren.

Sehr freundlich gab er mir Auskunft und so erfuhr ich, dass die Anfrage aus Pforzheim, ob dieses Projekt vorstellbar ist, schon vor einem Jahr kam. Da das Clara-Schumann-Gymnasium eine musisch ausgerichtete Schule ist, gibt es schon einen Unterstufenchor, bestehend aus 45 singenden Kindern, und so wurde zugesagt. Das Problem: Nur 25 Sänger wurden für die Opernaufführung benötigt.

So entstand die Idee, die auch umgesetzt wurde, einen Projektchor zu gründen. Kinder, die Lust auf die Operneinstudierung haben und sich das auch zutrauen, sollten sich melden. Es hat sich exakt die gewünschte Anzahl Kinder gemeldet und seit September 2023 probte der Chor ein Mal wöchentlich 1,5 Stunden.

So gab es zwischenzeitlich zwei Chöre der Unterstufe an der Schule. Der eine probte für ein Weihnachtskonzert, der andere für die Oper.

Das Weihnachtskonzert habe ich leider nicht gehört, bin mir aber sicher, dass es ein Erfolg war.

Die gestrige Leistung der Kinder verdient Hochachtung. Die erste und einzige Probe mit dem Orchester war unmittelbar vor der Aufführung, die Aufregung kann man sich vorstellen und am Ende hat alles wunderbar geklappt. Chapeau!

Mit dem starken Chorgesang aller SängerInnen: „Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht“ wurde eine Gänsehautstimmung erzeugt, die sich nach dem Vorhang in tosendem Beifall Bahn brach.

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass Adelheid Wette, die Schwester Engelbert Humperdincks, das Märchen ursprünglich als häusliche Theateraufführung plante. Sie bat ihren Bruder lediglich um die Vertonung einiger Verse. Der häusliche Abend wurde so erfolgreich, dass die Geschwister planten, ein Singspiel daraus zu machen. Humperdincks Begeisterung wuchs immer mehr, so dass es am Ende eine abendfüllende Oper wurde.

Ich würde sagen, Glück für uns!

Kathrin Beyer, 7. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel Wiener Staatsoper, 30. Dezember 2023

Hänsel und Gretel, Märchenoper von Engelbert Humperdinck Theater Lübeck, 9. Dezember 2023

Hänsel und Gretel, Märchenoper von Engelbert Humperdinck Theater Lübeck, 22. Dezember 2022

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel, Staatsoper Hamburg, 12. Dezember 2021

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