„Die tote Stadt“ mutiert in ein äußerst lebendiges wie zerrissenes Haus

Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957), „Die tote Stadt“  klassik-begeistert.de, 6. Oktober 2024

Foto Archiv 2021, Tote Stadt, K. F. Vogt, C. Pohl © W. Hoesl

Korngolds Meisterstück „Die tote Stadt“ wurde in München in einem Haus spielend überzeugend und mit modernen Ansätzen inszeniert, musikalisch passt das Paar Miknevičiūtė/Vogt als Marietta/Paul und trägt zum opulenten und doch auch subtilen Sound Korngolds bei.

Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957)
„Die tote Stadt“

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.
Libretto vom Paul Schott

Uraufführung 1920 in Hamburg und Köln

Bayerische Staatsoper Münchner, Nationaltheater, 4. Oktober 2024

von Dr. Bianca M. Gerlich

An der Bayerischen Staatsoper wurde  am 1. Oktober 2024 „Die tote Stadt“ wieder aufgenommen in einer Inszenierung von Simon Stone aus dem Jahr 2019.

Insgesamt viermal steht dieses Stück mit der ungeheuren Klangfülle auf dem Programm. Unglaublich, dass ein junger Mann, Anfang 20, so ein Werk schreiben und komponieren konnte. Hinter dem Librettisten Paul Schott verbirgt sich kein anderer als der Vater Julius Korngold, der das Textbuch zusammen mit seinem Sohn erstellt hat. Das war in Wien und Sigmund Freud hat sicherlich einen gewissen Einfluss auf die Korngolds gehabt. Dennoch ist es ein gar düsteres Thema, das uns 2,5 Stunden in den Bann ziehen wird.
Das ist in München bestens gelungen. Hier ist es gleich ein ganzes Haus und nicht nur ein oder zwei Zimmer wie sonst häufig. Dieses Haus Nr. 37 sieht anfangs von außen recht ordentlich aus, aber dahinter verbirgt sich ein trauriges Leben. Witwer Paul hängt der Vergangenheit an – und so mutiert das ganze Haus zur „Kathedrale des Gewesenen“. Immer wieder werden die benötigten Räume oder die Außenfassade per Drehbühne gezeigt. Das macht Bewegung und offenbart auch einiges. Poster, die an der Wand hängen, fließen später in Pauls sonderbaren Traum ein. Das macht Sinn. Sein Traum als Konglomerat all dessen, was ihn umtreibt, was er gesehen, was er erlebt hat.

Archiv 2021, Tote Stadt © W. Hoesl

Im ersten Bild ist das Haus noch heil, während es ab Bild 2 und Pauls Traum auseinandergerissen ist. Nicht nur die Zimmer sind nun nicht mehr da, wo sie sich im ersten Bild befanden, die Zimmer selbst scheinen auseinandergerissen. Zudem ist es ja auch Mariettas Wohnung, in der die wilde Party mit ihren Theaterkollegen stattfindet. Beide Wohnungen werden vermengt. Es gibt eine obere und untere Etage, Leitern führen hinauf.

Das häusliche Leben findet im dritten Bild und noch immer im Traum seine Steigerung: Das Haus ist nun gefüllt mit Leben. Paul ist verheiratet und hat drei Kinder. Sowohl Paul, seine Frau als auch die Kinder treten dann multipliziert auf und diese vielen Pauls, Maries und Kinder reichen aus, um das Haus zu umstellen. Sie bedrängen Paul förmlich. Dem wird es zu viel und als dann auch noch Marietta die Perücke Maries entweiht, bringt er sie um. Und erwacht aus dem mahnenden Traum und beschließt, sein Leben zu ändern. Am Küchentisch verbrennt er einige Bilder, aber auch Haare von Marie und seine Krawatte. Er hat mit der Vergangenheit abgeschlossen, die Trauer bewältigt. Ein Bild behält er allerdings. Die Trauerbewältigung hat funktioniert: Paul kann sich nach der Katharsis einem neuen Leben zuwenden. In München verlässt er einfach das Haus, in dem der ganze Abend irgendwie gespielt hat.

Archiv 2021, Tote Stadt © W. Hoesl

Das zerrissene Haus macht Sinn. Auch wurden einige moderne Übersetzungen geliefert, z.B. singt Marietta das bekannteste Stück „Glück, das mir verblieb“ als Karaoke-Einlage, das Mikrofon hatte ihr Paul statt einer Laute in die Hand gedrückt. Das Stück spielt also eher in der Gegenwart als am Ende des 19. Jahrhunderts. Trauerbewältigung und Vereinsamung sind immer aktuelle Themen, dazu kommt noch aufopfernde Krankenpflege und das Miterleben des Zugrundegehens des geliebten Menschen. Marie wird in München schwer krank gezeigt, vermutlich Krebs, denn ihr Haar stammt von einer Perücke, sie war glatzköpfig und ganz zerbrechlich.

Korngolds „Die tote Stadt“ ist sehr beeindruckend, zum Glück steht das Stück nun regelmäßig auf den Programmzetteln. Laut Musikern ist dieses Stück schwierig zu spielen und zu singen. Lothar Koenigs leitet das Orchester bravourös und versteht es den Rausch der Musik zu vermitteln.

Archiv 2021, Tote Stadt © W. Hoesl

Manchmal ist das Orchester ein wenig zu laut, da wäre ein bisschen mehr Zurückhaltung zugunsten der Sänger angebracht.

Sean Michael Plump (Frank/Fritz) und Jennifer Johnston (Brigitta) singen solide, werden aber ab und an vom Orchester leider zugedeckt.

Schlussapplaus © Bianca Gerlich (Jennifer Johnston, Vida Miknevičiūtė, Klaus Florian Vogt, Sean Michael Plumb vlnr)

Das Hauptrollen-Duo ist überragend. Die aus Litauen stammende Sopranistin Vida Miknevičiūtė singt eine frische und mitreißende Marietta. Die Stimme ist nicht schrill, dennoch zuweilen auf wohltuende Art übersprudelnd. Sie überzeugt mit ihrer schauspielerischen Leistung, ihre Marietta ist frech, durchsetzungsfähig, aber auch kokett, sie weiß, was sie will. Auch durchschaut sie Paul sehr schnell, das wird hier deutlich.

Klaus Florian Vogt weiß ebenso schauspielerisch wie sängerisch zu überzeugen. Paul, der hier den förmlich gekleideten, wohl situierten Witwer darstellt, ist fieberhaft erregt, wenn jemand die heiligen Hinterlassenschaften seiner Frau berührt, die selbst er nur mit blauen Latexhandschuhen zu berühren wagt. Herrlich, wie Vogts Händen zittern und er aufgeregt hin und her geht. Pauls manische Besessenheit springt über.

Vogt  singt den Paul sehr lyrisch, viele Töne erklingen im sanften Pianissimo, auch die Höhen. Das ist wohltuend, denn Paul ist ein eher stiller Mann, der darüber so sehr erschrickt, Marietta im Traum ermordet zu haben, dass er hier seinem Leben eine neue Wendung geben will. Vogt singt ihn fast bürgerlich unaufgeregt, denn Paul ist kein Dämon, Finsterling oder sonst wie mit düsterer Seele ausgestatteter Sonderling.

Was Paul widerfahren ist, kann jedem passieren, der einen lieben Menschen verloren hat. Die Zartheit in Vogts Stimmung zeugt von Pauls großer Verletzlichkeit, das kontrastiert gut mit Miknevičiūtės jugendfrischer Farbgebung.

Das war ein sehr eindrücklicher Abend auf hohem künstlerischen Niveau.

Dr. Bianca M. Gerlich, 6. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt Staatsoper Hamburg, 19. Juni 2024

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt Staatsoper Hamburg, 5. Juni 2024

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt ENO English National Opera, 28. März 2023

Ein Gedanke zu „Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957), „Die tote Stadt“
klassik-begeistert.de, 6. Oktober 2024“

  1. „Die Zartheit in Vogts Stimmung zeugt von Pauls großer Verletzlichkeit“
    Die Zartheit in Vogts Gesang rührt mehr von seiner völligen Uneignung für das heldische tenorale Fach her, dem die Rolle des Paul eindeutig zuzurechnen ist. Säuseln ist da nicht das richtige Stilmittel!

    Peter Sommeregger

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