"Die tote Stadt" in HH: Die Hauptdarsteller machen keine Werbung für die faszinierende Musik

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Charles Workman, Manuela Uhl,  Staatsoper Hamburg

Foto: © Bernd Uhlig
Staatsoper Hamburg
, 5. Oktober 2018
Die tote Stadt, eine Oper in drei Bildern von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957)

Ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska

Der dreizehnten Vorstellung ging eine Hiobsbotschaft voraus: Statt der erwarteten Allison Oakes wird die Partie der Marietta/Marie von Manuela Uhl gesungen. Gerade am Nachmittag in Hamburg gelandet, hat sie eine kurze Probe absolviert und wird die erkrankte Allison Oakes – am Dienstag Prädikat „absolute Weltklasse“ – vertreten.

Ich saß in der ersten Reihe, direkt vor dem Orchestergraben. Interessante Erfahrung, aber nie wieder. Ich hörte das Orchester sehr gut. Zu gut in Anbetracht der Qualität der Stimmen der beiden Protagonisten: der Tenor Charles Workman als trauernder Witwer Paul und die Sopranistin Manuela Uhl als Marietta/Marie bemühten sich sehr um eine Lautstärke, die das Orchester übertönen würde. Es gelang ihnen leider nur sporadisch und erst dann war zu erahnen, was Korngolds Oper alles transportieren könnte… Woran es lag, dass die Hörbarkeit ihrer Stimmen einfach nicht da war, vermag ich nicht zu sagen. Auch aus der 17. Reihe, wohin ich – um objektiv zu berichten – nach der Pause wechselte, waren die beiden kaum zu hören. Ein Jammer.

Wir wollen nicht übertreiben: „Die tote Stadt“ ist eine schwierige Oper, ein symbolisches Sujet, dass nicht jedem behagt, vor allem wenn man den Zenit des Lebens überschritten hat. Aber da man in die Oper hauptsächlich wegen der schönen, klangvollen, geübten, gut tragenden Stimmen geht, war die Enttäuschung im Publikum recht groß. Das zeigte der sehr spärliche Applaus zwischen den Bildern und ein höflicher Abschied am Ende.

Als ich nach der Pause in die Mitte des Parketts übersiedelte, waren in den Reihen 15 bis 20 nur vereinzelt Menschen anzutreffen. Solche klaffenden Lücken in dem Resonanzkörper namens Publikum tragen nicht zur Hochstimmung bei. Und das an einem Freitag in der „Musikstadt Hamburg“. Die Hamburgische Staatsoper war maximal zu 70 Prozent besetzt. Ein kleines Trauerspiel, in Berlin, München und Wien in dem Ausmaß undenkbar.

Ein Herr zu meiner Rechten sagte auf die Frage, warum es hier so leer sei, dass es jetzt nach der Pause sogar etwas voller sei als zu Beginn der Vorstellung. Viele Zuschauer waren zu spät gekommen, konnten erst nach dem ersten Bild eingelassen werden. Etwas wunderliche Zustände waren es im Parkett der Staatsoper Hamburg an diesem Abend – wohlgemerkt in den Hamburger Schulferien.

Nicht minder wunderlich ging es auf der Bühne zu. Wir schreiben das Jahr 1920. In der neu entstandenen Sowjetunion darf man in der Kunst alles. Diese Welle der Freiheit, bedingt durch die radikale Wendung der Geschichte, bescherte Westeuropa viel Neues. Im Vergleich mit den Dadaisten (irgendein Sinn ist der größte Feind des Poeten) und Expressionisten (man arbeitet mit allen Ängsten, derer man habhaft wird) ist die Geschichte der Trauer eines Ehemanns über seine verstorbene Ehefrau eher harmlos, um nicht zu sagen: bieder.

Der Österreicher Erich Wolfgang Korngold, erst 23-jährig, komponiert “Die tote Stadt” an der Grenze zwischen braver K.u.K.-Musik und Schostakowitsch. Sein Vater Julius, entschiedener Gegner der Atonalität, Wiener Musikkritiker und der beste Manager seines Sohnes, schrieb den Text frei nach dem Schauspiel “Das Trugbild” (“Bruges-la-Morte”) von Georg Rodenbach aus dem Jahr 1892. Der Text erhebt keinerlei Anspruch auf logische Zusammenhänge, Glaubwürdigkeit der Figuren oder Ähnliches. Es ist eigentlich – in bester Manier der Wiener Gesellschaft der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts  – eine Psychoanalyse. Freies Assoziieren auf der Bühne wie bei Professor Freud: Warum nicht? Nichts verstehen, alles annehmen und schauen, was das mit einem macht. Eigentlich erstaunlich, dass der Text aus dem 19. Jahrhundert mit der Musik eines 20-Jährigen einigermaßen zusammengeht. Ich glaubte sogar ein paar mal so etwas wie Synkopen zu hören…

Musikalisch sehr ausgereift – da kann man dem Philharmonischen Staatsorchester nur gratulieren zu dem 13. Abend – sowie klar geführt und sauber phrasiert unter Leitung von Roland Kluttig. Es hätte eine gelungene Vorstellung sein können…

Allerdings beunruhigt mich folgendes: Wenn man bedenkt, was in ganz Europa in den frühen 1920er-Jahren los war, kann man über die Harmlosigkeit des Sujets nur den Kopf schütteln: Sieben Millionen Tote allein auf der deutschen/österreichischen Seite im Ersten Weltkrieg, 20 Millionen Opfer der Spanischen Grippe. “Schüttelkrankheit” an jeder Ecke. Und hier betrauert ein Mann den Tod einer Frau mittels Anbetung ihrer blonden Haare. Es geht Richtung Fetischismus, Haarfetischismus. Sonst kommt noch: Satansmesse, Aufbäumen gegen die katholische Kirche, die Stadt Brügge als Sinnbild der erstarrten Seele des trauernden Paul. Ich frage mich, warum man diese Oper heute wiederbelebt. Ich finde keine Antwort.

Üppige Szenenbilder, vor allem im 2. und 3. Bild (man spricht hier von Bildern, nicht von Akten), sind stilistisch perfekt, erinnern tatsächlich an herrliche Gemälde der holländischen Meister. Die Hamburger Alsterspatzen, mindestens 20 Kinder, die teilweise wie gelähmt durch die Szene tapsen, waren schon sehenswert. Aber was ich am meisten vermisste, war der große Atem der Musik gepaart mit schön gesungenen Arien.

Auch Charles Workman ist nur ein guter, aber alles andere als ein sehr guter Tenor: Er leistete sich den ganzen Abend über Fehler und ist auch Lichtjahre entfernt von der Klang-Reinheit und -Schönheit eines Klaus Florian Vogt.

Das war keine Werbung für die faszinierende Musik – genauso wenig wie das Ensemblemitglied Alexey Bogdanchikov als Frank/Fritz. Am Dienstag wie am Freitag blieb er total blass, ja, es blieb in weiten Teilen ein Rätsel, ob dieser Sänger überhaupt ein Bariton ist. Sein mittleres und vor allem sein tieferes Register sind viel zu schwach ausgeprägt. Viril und männlich ist sein Gesang wirklich nicht, sein Dauer-Vibrato ist unangemessen, ja bisweilen nervend, die weltberühmte Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ blieb blass, beliebig und ausdruckslos. Im Internet gibt es Dutzende bessere Versionen!

Und noch etwas: Wie erklärt man den kurz vor der Pubertät stehenden Chorknaben und –mädchen das Sujet?

Teresa Grodzinska, 6. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

Text von Julius und Erich W. Korngold
nach dem Roman “Bruges-la-Morte” von Georges Rodenbach (Pseudonym: Paul Schrott)
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung: Roland Kluttig
Chor der Staatsoper Hamburg
sowie Hamburger Alsterspatzen
13. Vorstellung seit der Premiere am 22. März 2015

Ein Gedanke zu „Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Charles Workman, Manuela Uhl,
Staatsoper Hamburg“

  1. Liebe „Kritikerin“, das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich habe das eben erst gelesen. In welcher Vorstellung waren Sie denn? Ich habe die Vorstellung in Reihe 5 etwa Mitte gehört und ganz anderes als Sie. Frau Uhl hat die Vorstellung gerettet. Sie ist kurz vorher eingeflogen, wie der Abendspielleiter erläutert hat. Von falschen Tönen kann gar keine Rede sein. Ich kenne das Stück vermutlich besser als Sie, habe ich doch vor Jahren bei der Einstudierung in Palermo mitgewirkt. Ich kenne das Stück also bestens. Vor wenigen Tagen haben ich den Dirigenten, Herrn Kluttig, in Graz getroffen und ihn nach dieser Vorstellung gefragt, er hat mir gesagt, das sei einfach Unsinn. Frau Uhl hätte wunderbar gesungen und keine musikalischen Fehler gemacht, obwohl sie so kurzfristig eingesprungen ist. Anderes zu behaupten stimmt einfach nicht. Wie kommen Sie dazu so etwas zu behaupten. Ich bin sehr verärgert.
    Harry Höpner

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