Bayreuther Festspiele 2024 © Enrico Nawrath
Wird am Grünen Hügel eine Phase der Rückkehr zu einem werkbezogeneren Inszenierungsstil, der die originären Ideen und Werkaussagen Richard Wagners wieder mehr in den Mittelpunkt rückt, eingeleitet?! Das wäre insbesondere im Hinblick auf das Jubliäumsjahr 2026 mit einem neuen „Ring“ sehr interessant.
Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2024 (Eröffnung)
Richard Wagner, Tristan und Isolde
von Dr. Klaus Billand
Nach dem sehr gelungenen „Interims“-„Tristan“ von Roland Schwab, den die Bayreuther Festspiele relativ kurzfristig als fast chorloses Stück in der Pandemie einschoben, um ihn bei möglichen Corona-Attacken auf den Chor alternativ spielen zu können, war manchem unklar, dass nach nur zwei Jahren eine weitere Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ stattfinden sollte.
Die Verträge mit dem isländischen Regisseur und Bayreuth-Debutanten Thorleifur Örn Arnarsson waren allerdings schon länger vorher beschlossen. Umso gespannter war man nun, was da an einer möglichen neuen Lesart der „Handlung in drei Aufzügen“ kommen würde, und man wurde doch zu großen Teilen enttäuscht.
Örn Arnarsson mit Bühnenbildner Vytautas Narbutas, Kostümbildnerin Sibylle Wallum, dem Licht von Sascha Zauner mit dramaturgischer Unterstützung von Andri Hardmeier stellt vor allem auf die Vergangenheit von Tristan und Isolde ab, auf ihre Vorgeschichte, die sich vor langer langer Zeit bereits einmal in einem kurzen glücklichen Momente kennen und damals schon lieben gelernt hätten bzw. tatsächlich haben.
„Er sah mir in die Augen…“ wird somit zum Keyword der Produktion, aus der Erzählung Isoldes an Brangäne aus dem 1. Aufzug über ihr erstes Zusammentreffen mit Tristan. Daraus folgt nun eine Optik und Dramaturgie, die stark rückwärtsgewandt ist.
Während im 1. Aufzug noch bisweilen recht langweiliges Stehtheater auf der Bayreuther Riesenbühne geboten wird, mit durchaus schlüssigen Assoziationen auf eine Schiffsüberfahrt mit dicken Tauen von der Decke, Bühnennebel und Wasserspielen, so blickt man im 2. Aufzug in einen verrosteten Schiffstorso mit einer Unzahl an Kulturelementen und -assoziationen fast jeder Art, ein regelrechtes Antiquitäten-Panoptikum.
Da ist von alten Marmorstatuen aus der Römerzeit über dicke Bücher, Spiegel, Zahnräder, Lampen, Koffer und was immer man in alten und umsatzschwachen Antiquitäten-Läden so findet, alles dabei. Die beiden Protagonisten und später auch Marke wuseln nun in diesem Szenario herum, ohne dass man immer klar erkennen kann, wo sie gerade sind, zumal Leuchten im Schiffsrumpf Gegenlicht erzeugen. Die Rolle der drei Protagonisten wird damit eher heruntergefahren, als dass sie hervorgehoben wird, wie das Roland Schwab in seiner Inszenierung gemacht hatte und Örn Arnasson ja auch will.
Die Handlung verflacht, meist singen Tristan und Isolde weit voneinander entfernt – sich nicht ansehend – vor sich hin. Personenregie, höchst bedeutsam in diesem unübersichtlichen Umfeld, ist eher Mangelware. Was gemacht wird, machen offensichtlich die Künstler weitgehend mit ihrer Erfahrung selbst. Das hatten wir schon im „Ring“ von Tankred Dorst.
Im 3. Aufzug ist der Schiffsrumpf auf kleine Teile geschrumpft. Tristan siecht auf einem nun zusammengeräumten Haufen von Antiquitäten vor sich hin, in den auch Kurwenal und Marke steigen müssen. Das an sich gute Regie-Konzept, auf die Vergangenheit der beiden Liebenden und damit ihre Vorgeschichte abzustellen, versandet und bleibt gar unklar in der zu plakativen Darstellung von Vergangenheit symbolisierenden Antiquitäten.
Eine „dramaturgische Vergangenheitsbewältigung“ findet also nicht statt… Als das Regieteam relativ spät vor den grauen Schlussvorhang trat, gab es einen veritablen Buhsturm und stark abnehmenden Applaus. Einer des Teams wollte schnell die Sänger hinzuholen, was aber eine lange Weile dauerte…
Camilla Nylund sang und spielte eine einnehmende Isolde mit ihrem farbigen lyrisch-dramatischen Sopran. Sie steckt anfangs in einem Brautkleid, das sie fast bewegungsunfähig erscheinen lässt, voll mit Schriftzügen zu ihrem Schicksal als kommende Braut Markes und ewige Geliebte Tristans.
Andreas Schager spielte und sang einen depressiven Tristan mit seinem gewohnt intensiven Charisma, alles gebend, was er hat, auch stimmlich, und das ist viel! Dennoch verfiel er ab der zweiten Strophe des 3. Aufzugs wieder in zu lautes Singen, um es diplomatisch zu sagen, was kleinere Einbrüche derselben im Finale zur Folge hatte. Dennoch, er gab eine äußerst packende und einnehmende Interpretation des Tristan.
Günther Groissböck sang einen enttäuschenden Marke mit seinem klangvollen Bass und berückendem Spiel.
Christa Mayer war eine erstklassige Brangäne mit vollem Mezzo und eindrücklicher Rollengestaltung. Ólafur Sigurdarson sang den Kurwenal mit kräftiger Stimme, aber etwas holzschnittartig. Birger Radde war ein sängerisch und darstellerisch hervorragender Melot und hat sicher in Bayreuth und anderswo noch Größeres vor. Daniel Jenz als Hirt, Matthew Newlin als Junger Seemann und Lawson Anderson als Steuermann rundeten das Ensemble klangvoll ab.
Semyon Bychkov leitete das Festspielorchester im 1. Aufzug sehr zurückhaltend, eher begleitend als Akzente setzend, was dann im 2. Aufzog besser wurde. Insgesamt aber fehlte bei seiner Interpretation eine deutlichere musikalische Sprache und Intensität, wie man sie hier von anderen Dirigenten gewohnt ist – eine Wahrnehmung allerdings aus der 30. Reihe. Der wie immer von Eberhard Friedrich geleitete Festspielchor war gewohnt gut und intensiv.
Eines muss man aber hervorheben. Es wird in diesem neuen „Tristan“ das Stück erzählt, es war zu jedem Moment wiederzuerkennen und weit weg von jeglicher regietheatralischer Verfremdung.
Dieser „Tristan“ ist somit die erste Inszenierung am Grünen Hügel, neben dem nur pandemisch bedingten „Tristan“ von Roland Schwab, der nicht dem (zum Teil überzogenen) Regietheater zuzuordnen ist, wie zuletzt der „Ring“ von Valentin Schwarz und jener zuvor von Frank Castorf, sowie der „Holländer“, der „Parsifal“, streckenweise auch der „Tannhäuser“.
Wird damit am Grünen Hügel eine Phase der Rückkehr zu einem werkbezogeneren Inszenierungsstil, der die originären Ideen und Werkaussagen Richard Wagners wieder mehr in den Mittelpunkt rückt, eingeleitet?! Das wäre insbesondere im Hinblick auf das Jubliäumsjahr 2026 mit einem neuen „Ring“ sehr interessant.
Dr. Klaus Billand aus Bayreuth, 26. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025
„Günther Groissböck sang einen enttäuschenden Marke mit seinem klangvollen Bass und berückendem Spiel.“- sollte wohl heißen:
„…sang einen enttäuschten Marke…“?
Dorothea Gruß
Der Satz erscheint sonst widersprüchlich. Hab ich auch eben gedacht.
Jürgen Pathy
Lieber Herr Billand,
Endlich eine Inszenierung, die nicht dem verfremdenden Regietheater zuzuordnen ist. Und dennoch scheint kaum jemand glücklich darüber zu sein. Na wenn das kein Grund ist, um all die Regietheater-Zweifler ins Grübeln zu bringen, was dann?
Jürgen Pathy
Geschätzter Kollege Pathy,
Das Nicht-Regietheater muss eben mit genausoviel Erfahrung und tiefer Kenntnis des Werkes gemacht werden (was in Bayreuth bei „Tristan“ nicht gegeben war), damit es gut und anders als nur traditionell wird – wie das Regietheater, welches auch immer wieder mit unzureichender Werkkenntnis schiefgeht.
Es gibt eben kein Schwarz/Weiß, wie Sie es vielleicht gern hätten. Es gibt nur schlechtes und gutes Musiktheater. Eigentlich eine Binsenweisheit…
Klaus Billand
„Es gibt nur schlechtes und gutes Musiktheater.“
Danke, dass Sie es erwähnen, Herr Billand. Auf die Frage modern oder classical staging, antworten viele Künstler mit „smart staging“! Merci. Ich wollte den Punkt bewusst pointiert hervorheben.
Dennoch tendieren modere Inszenierungen vermehrt dazu, die Rücksicht auf Sänger zu vernachlässigen. Sonst hätte Simon Stone zum Beispiel bei seiner Wiener-„La Traviata“-Inszenierung, den Alfredo beim „Libiam…“ nicht so weit hinten auf der Bühne platziert. Damit stellt er Flórez, seinem Premieren-Alfredo, schon ein Bein. Die sich ständig drehende Bühne erschwert den Rest. Da sprechen wir noch gar nicht von Werkkenntnis – die dürfte Stone schon haben -, sondern rein vom Handwerk. Und dem Egoismus der Regie, ihre Ideen rücksichtslos in den Mittelpunkt zu stellen.
Jürgen Pathy