Melis Demiray und Wolfgang Resch © Armin Bardel
Die österreichische Erstaufführung der Oper “Passion” von Pascal Dusapin bietet ein Theatererlebnis mit betörender Musik und geglückter Inszenierung. Die Mitwirkenden, das Regieteam und der Komponist wurden mit einhelligem Beifall belohnt.
Pascal Dusapin “Passion”
Libretto: Pascal Dusapin und Rita de Letteriis
Eine Produktion der Neuen Oper Wien
Lei: Melis Demiray
Lui: Wolfgang Resch
Gli altri: PPCM Vokalensemble der Kunstuniversität Graz
amadeus ensemble-wien
Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Das MuTh, Wien, 10. Oktober 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
Liebe tötet – mit diesem Wort Elektras könnte man den Inhalt der Oper “Passion” von Pascal Dusapin kurz umschreiben. Das Libretto ist poetisch, impressionistisch vieldeutig, um nicht zu sagen unklar. Es erzählt keine Handlung, sondern reflektiert die wechselnden Empfindungen zweier prototypisch gedachter Menschen, des Mannes (Lui) und der Frau (Lei).
Für die Umsetzung auf der Bühne hat sich der Regisseurin Ursula Horner eine Geschichte aufgedrängt, die von bestürzender Aktualität ist und ein Problem unserer Gesellschaft schonungslos offenlegt – die Gewalt von Männern gegen Frauen.
Ursula Horners Interpretation des recht rätselhaften Texts ist sicher nicht die einzig mögliche, dürfte aber laut eigener Aussage den Intentionen des Komponisten recht nahe kommen. Die Geschichte, die auf der Bühne erzählt wird, ist die der Liebe zwischen der Frau und dem Mann; die Liebe, die an seiner Unfähigkeit scheitert, eine auf gegenseitiger Achtung und Zuneigung basierende Beziehung aufzubauen und zu bewahren.
Diese Unfähigkeit wird drastisch mit seinem an Fetischismus gemahnenden Bedürfnis gezeigt, ihre Kleidungsstücke zu horten, ja ihr Korsett und ihre Schuhe selbst zu tragen. Als sie versucht, der immer bedrohlicher werdenden Situation zu entfliehen, scheitert sie an sich selbst und an seinem verzeifelten Festhalten. Nach einem letzten grotesken Versuch von seiner Seite, sie an sich zu binden, greift er zum letzten ihm verbliebenen Ausweg und erwürgt sie. Der Hochzeitsschleier wird zum Leichentuch.
Der Regisseurin ist eine szenisch faszinierende Realisierung dieser tragischen Geschichte gelungen. Der Bariton Wolfgang Resch als Mann und die Sopranistin Melis Demiray als Frau leisten Erstaunliches in der Darstellung der beiden von ihren Emotionen zerrissenen Figuren. Dazu kommen Die Anderen (Gli altri): sechs Vokalisten, drei Frauen und drei Männer, die uns sozusagen in die Köpfe der Protagonisten schauen lassen. Die Personenführung lässt im Verein mit dem Bühnenbild von Norbert Chmel, den Kostümen von Melanie Jane Frost und dem Lichtdesign von Vasil Lisichov einprägsame und ästhetisch hinreißende Bilder entstehen, die den poetisch verschlüsselten Text mit szenischem Leben erfüllen.
Pascal Dusapin hat für das Werk eine bestrickende Klangwelt erfunden, die die Zuhörer hypnotisch in den Bann zieht und bis zum Ende gefangen hält. Das kleine Orchester besteht aus einem Streichquintett, acht Bläsern, Cembalo, Keyboard, Harfe und Oud, der orientalischen Kurzhalslaute. Dazu treten raffinierte elektronische Klänge, die den emotionalen Höhepunkten zusätzlichen Nachdruck verleihen. Die Protagonisten sind nicht nur sängerisch stark gefordert; Dusapin verlangt von ihnen wie auch von den Anderen hörbares Atmen, Ächzen, Stöhnen und Flüstern.
Melis Demiray und Wolfgang Resch sind gesanglich makellos, keine geringe Leistung angesichts der physischen Anforderungen der Regie. Die Partie der Frau ist deutlich dramatischer angelegt als die des Mannes und verlangt etliche Spitzentöne, die Demiray ohne Probleme bewältigt.
Ebenso überzeugend sind die sechs Mitglieder des PPCM Vokalensembles der Kunstuniversität Graz. Die Regie verlangt von ihnen ein großes, fast tänzerisches Bewegungsrepertoire. Der Kontrast der schwarz kostümierten “Anderen” mit den ganz in Weiß gekleideten Protagonisten trägt stark zum visuellen Zauber der Inszenierung bei.
Die Musik der Oper enthält bewusste Anklänge an Barockmusik und speziell Monteverdi. Davon zeugen etliche Passagen des Cembalos und der Oud, die vorwiegend klassisch tonal gehalten sind. Ansonsten herrscht eine sehr freie Tonalität mit interessanten harmonischen Einfällen, exquisiter Instrumentierung und großer atmosphärischer Dichte. Das Atmen der Sängerinnen und Sänger findet sich auch im Orchester wieder, besonders in den Soli der Flöte und der Bassklarinette. Der Fluss der Musik ist ruhig, mit feinen emotionalen Facetten und einigen dramatisch zugespitzten Höhepunkten. Walter Kobéra leitete das ensemble amadeus-wien umsichtig mit ruhiger Hand.
Am Ende dankte herzlicher Applaus im leider nicht voll besetzten Haus allen Mitwirkenden und dem Regieteam. Der Dirigent konnte dem Publikum den Komponisten präsentieren; die beiden wurden ebenfalls mit lauten Beifallskundgebungen bedacht.
Ich kann die durchwegs gelungene Produktion der Neuen Oper Wien allen Klassikbegeisterten vorbehaltlos empfehlen – sie haben noch drei Gelegenheiten, einen eindrücklichen Musiktheaterabend zu erleben!
Dr. Rudi Frühwirth, 10. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weitere Vorstellungen: Sonntag, 13. Oktober 2024/Dienstag, 15. Oktober 2024/Donnerstag, 17. Oktober 2024 kalender
Rudis Klassikwelt 5: Bläserquintette des 20. Jahrhunderts klassik-begeistert.de, 20. Juni 2024