Foto: Petra Lang © Ann Weitz, Düsseldorf
von Jolanta Łada-Zielke
Petra Lang (Mezzosopran) ist sowohl gesanglich als auch pädagogisch tätig. Als selbständige Künstlerin sang sie in den größten Musiktheatern der Welt die großen Mezzo-Partien vor allem in Wagners und Verdis Opern. Sie gibt auch Meisterkurse und Vocal-Coaching für junge Sänger, nach dem von ihr entwickelten eigenen Konzept „PetraLangKlang“. Bei den Bayreuther Festspielen sang Petra Lang die Brangäne in „Tristan und Isolde“ (2005/2006) von Christoph Marthaler und Isolde in Katharina Wagners Inszenierung (2018/2019). Sie trat ebenfalls als Ortrud im „Lohengrin“ von Hans Neuenfels in den Jahren 2011, 2013, 2014 und 2015 auf. Dieses Jahr hat sie diese Partie in der Yuval Sharons Inszenierung gesungen.
Wir treffen uns zum Interview in einem der ruhigen Cafés in Bayreuth und tragen für alle Fälle Masken.
klassik-begeistert: Wie finden Sie das diesjährige Arbeitsklima bei den Bayreuther Festspielen?
Petra Lang: Viele von uns waren froh, wieder in Bayreuth auftreten zu dürfen. Natürlich hat jeder Künstler versucht, vorsichtig zu sein, um nichts zur weiteren Verbreitung dieses Virus beizutragen. Wir haben bis zu den Endproben Masken getragen. Den „Lohengrin“ haben wir auf der Probebühne außerhalb des Festspielhauses vorbereitet, also hatte ich kaum Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, die an anderen Produktionen teilgenommen haben. Und das hat mir gefehlt. Normalerweise trifft man sich in der Kantine, oder unternimmt etwas Nettes zusammen, wie eine Geburtstagsfeier oder Ausflüge. Dieses Jahr hat das alles leider nicht stattgefunden. Wir sind für uns selbst verantwortlich und müssen einander vor der eventuellen Ansteckung schützen. Außerdem ist das auch für die Festspielleitung umständlich, wenn jemand positiv getestet ist, und man muss kurzfristig eine Vertretung finden.
klassik-begeistert: Dieses Jahr haben Sie Ortrud gesungen. In dieser „Lohengrin“ Inszenierung von Yuval Sharon finde ich diese Figur feministisch – sie steht auf der Seite von Elsa und versucht sie zu befreien.
Petra Lang: Ich sehe Ortrud eher als eine Art Katalysator dafür, dass Elsa sich zutraut, die verbotene Frage ihrem Gatten zu stellen. Ich kann keine positive Seite von Ortrud weder in der Musik noch in der Figur selbst finden. Sie hat einen starken Willen, das Reich der alten Götter wieder einzusetzen, und kämpft dafür. Ich glaube, ein solcher „positiver“ Eindruck kommt daher, dass ich die „Sympathie“ für Elsa nur spiele, weil wir dies mit dem Regisseur abgestimmt haben. Ortrud ist eine machtbesessene, gierige Frau, die für ihre eigene Wahrheit mit allen Mitteln kämpft. Zwar bringt sie Gottfried nicht um, schafft ihn aber aus dem Weg und manipuliert den Telramund. Solche Figuren treffen wir auch im täglichen Leben. Wenn man die Situation der Frauen im Mittelalter in Betracht zieht, ist hier Ortrud als starke Persönlichkeit eine Ausnahme. In dieser Produktion erscheint die Männerwelt als Marionetten, Motten und Fliegen, die nichts zu sagen haben. Das finde ich in dieser Inszenierung sehr treffend.
klassik-begeistert: Kommen wir jetzt zu dem Thema Ihrer pädagogischen Tätigkeit, die Sie auch online ausüben. Mit welchen Problemen wenden sich die Studenten an Sie?
Petra Lang: Manche jungen Menschen sagen, sie kommen mit dem Singen nicht weiter und fragen sich, ob das ein richtiger Beruf für sie ist. Die anderen verstehen nicht, was ihr Professor von ihnen verlangt. Manche Dinge sind einfach zu lösen, und ich rate, mit dem Gesangslehrer zu reden und ihm offene Fragen stellen. Es melden sich bei mir aber auch viele traumatisierte Studenten, zwischen denen und ihren Professoren keine Kommunikation läuft, häufig auf der Basis, dass der Professor keine Ahnung hat, wie er den Studenten weiterführen soll. Manchmal kommt es vor, dass jemand Gesang unterrichtet, der noch nie auf eine Bühne getreten ist.
klassik-begeistert: Wirklich???
Petra Lang: Leider ja. Man hat nicht immer einen Blick in den Lebenslauf des Lehrers, aber es ist blöd, wenn ein Mangel an der szenischen Erfahrung ans Licht kommt. Ich frage mich, wie kann ein solcher Lehrer jemanden ausbilden? Junge Menschen gehen davon aus, an der Musikhochschule sind wirklich ausgewählte Fachkräfte. Natürlich gibt es KollegInnen, die richtig arbeiten, fachlich ausbilden und die Studenten ernst nehmen. Ich bin jedoch auf viele Fälle gestoßen, die eine Psychotherapie erfordert haben. Einmal war es die einzige Lösung, ein Urlaubssemester zu nehmen. Erst danach konnte diese Person einigermaßen wieder kommen. Ich finde es sehr traurig, dass solche Sachen überhaupt passieren.
klassik-begeistert: Falsche Stimmbildung kann auch gesundheitliche Probleme, wie Knötchen an den Stimmbändern, verursachen.
Petra Lang: Das muss gar nicht so weit gehen. Aber ich kannte eine Studentin, die der Professor zu singen genötigt hat, als sie erkältet war. Das Ergebnis war Dysphonie. Glücklicherweise fand die Frau richtige Ärzte, auch die Logopäden, die das Problem genau diagnostizierten und die richtige Behandlung, ohne Eingriffe, angewendet haben. Aber eine solche Erfahrung hinterlässt eine psychische Belastung. Ich frage die jungen Leute: Warum habt ihr das so weit kommen lassen? Wenn ich merke, dass jemand übergriffig gegen mich ist, oder dass ich mich unwohl fühle, distanziere ich mich zuerst davon und dann renne ich einfach weg. Junge Leute behandeln Musikhochschulprofessoren oft als Orakel und suchen die Schuld bei sich selbst, weil sie vielleicht nicht genug üben. Dabei hat der Lehrer nicht immer recht. Ich würde es nicht sagen, wenn das ein Einzelfall wäre.
klassik-begeistert: Wie kann man feststellen, ob die Schuld auf der Seite der Studenten oder beim Lehrer liegt?
Petra Lang: Dieser Professor, von dem ich gerade erzähle, behauptete, dass man auf hohe Töne mit Gewalt hauen und viel Luft puschen muss, weil es alle Sänger angeblich so machen. Das ist nicht nur übergriffig, sondern hat auch mit der Wahrheit nichts zu tun. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man nicht mit bloßem Auge sehen kann, was im Körper des Sängers vor sich geht. Bei Instrumenten ist es viel einfacher. Ich habe zuerst Geige studiert, und dabei ist es relativ einfach zu begreifen, wie es funktioniert. Ich sehe den ganzen Bewegungsapparat und kann ihn muskulär spüren. Der Lehrer erkennt sofort, was der Schüler falsch macht und gibt Ratschläge. Das ist beim Singen nicht der Fall. Ein junger Adept der Gesangskunst hat häufig große Angst, dass es herauskommen könnte, dass er etwas nicht weiß. Deshalb versucht er immer die Schuld bei sich selbst zu suchen. Natürlich macht ein Student oft Fehler, aber sein Lehrer soll ihm einen Freiraum schaffen, damit er den richtigen Weg erkennen kann. Man verlässt eine Hochschule mit keinem „Kochrezept“, anhand dessen man singen soll. Das ist ein langer Prozess, also muss man auch Geduld aufbringen. So sehe ich das als die Aufgabe des Lehrers, anstatt zu behaupten: das ist MEINE Technik, ICH mache das so. Ich würde nie von einem jungen Sänger verlangen, dass er genauso wie ich singt. Es ist sehr hilfreich, sich mit der Physiologie der menschlichen Stimme und des Körpers gut auszukennen. Ich hatte großes Glück, dass meine Gesangslehrer wirklich mit der Methodik und Physiologie gut vertraut waren. Dank ihnen habe ich meinen eigenen Weg gefunden.
klassik-begeistert: Soll ein Gesangslehrer eher ein guter Beobachter als ein Führer sein?
Petra Lang: Man sagt, Luciano Pavarotti hat von seinem Lehrer Ettore Campogalliani erst nach drei Jahren des Unterrichts gehört: „Jetzt hast du’s gefunden, jetzt ist es richtig“. Die aktive, persönliche Suche ist im Gesang entscheidend. Es reicht nicht, wenn der Lehrer einen tröstet, dass es „irgendwie, irgendwann“ kommen wird. Manchmal steht das Richtige ein Millimeter daneben, und man kreist nur rum, ohne diese Stelle zu treffen. Natürlich braucht man einen guten Instinkt, um Sänger zu werden, das geht aber nicht schnell. Das ist ein Ergebnis der Reife und eigener Arbeit.
Interview: Jolanta Łada-Zielke, 19. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lesen Sie bitte am Mittwoch, 21. September 2022 den 2. Teil des Gesprächs.
Richard Wagner, Lohengrin Bayreuther Festspiele, 14. August 2022